nachgeahmt. Dagegen ist die Illustrationskunst, insbeson¬
dere die Technik der Illustration, von Bedeutung für unse¬
ren Gegenstand. Hierzu mag die mittelalterliche Buch¬
malerei gerechnet werden, die herrliche Initialformen
schuf. Die gemeinsam mit der Illustration in Holz ge¬
schnittenen Schriftformen der Blockbücher halfen, die
kernige Schwabachertype zu bilden. Bei jeder Buchgestal¬
tung müssen Schrift und Illustration sowohl nach ihrem
Grauwert als auch nach ihrem Ausdruck aufeinander ab¬
gestimmt werden.
Selbstverständlich berühren sich auch die Schrift und die
Ornamentkunst. Den bestimmenden Einfluß hat dabei im
allgemeinen die Schrift. Die Schriftkunst brachte pracht¬
volle ornamentierte Schriften und Schmuckinitialen. Na¬
türlich büßen solche Schriften an Lesbarkeit ein, aber sie
steigern ihre Ausdruckskraft und sind ein Mittel zur Be¬
reicherung der Buchkunst und der Aussage.
Die Zusammenstellung der wichtigsten Einflußquellen
auf das Werden der Schrift soll damit abgeschlossen wer¬
den. Es ist die Aufgabe der folgenden Kapitel, die jeweils
maßgebenden unter den vielfältigen Einflüssen zu zeigen
und durch die Klärung der historischen Zusammenhänge
tiefer in das Wesen der Schrift einzudringen.
Als Ergebnis der bisherigen Untersuchungen soll fest¬
gehalten werden: Die Schrift im allgemeinen entwickelt
sich trotz zeitweiliger Rückschläge durch das Anreichern
neuer und das Absterben alter Formen zur leichteren
Schreibbarkeit und besseren Lesbarkeit. Die Schriftkunst
als Teil des Überbaus entwickelt sich dagegen wie die
Architektur und die anderen Künste in engem Zusammen¬
hang mit der Gesellschaft. Da die Schriftkunst aber nur ein
Teilgebiet der Schrift darstellt, ist die ständige wechsel¬
seitige Beeinflussung der Handschrift und der künstle¬
rischen Schrift selbstverständlich.
12
VON DER HÖHLENMALEREI ZUR RÖMISCHEN KAPITALE
Des Daseins eigentlichen Anfang macht die Schrift. Heraklit
jL/as Verhältnis zur Schrift war bei allen Völkern und
Menschen abhängig von der Art und Weise, wie sie ihren
Lebensunterhalt bestritten. «Die Arbeit», sagte Engels, «ist
die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und
zwar in einem solchen Grade, daß wir in gewissem Sinn
sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaffen.»4
Und mit der gesellschaftlichen Arbeit entstanden die An¬
fänge der Schrift. Die Organisationsform der Arbeit be¬
dingte neben der Sprachstruktur der Völker, die sich die
Schrift aneigneten, die Stufen der Entwicklung zur Laut¬
schrift.
Eine kurze und fragmentarische Übersicht der ersten
Etappen der Schriftentwicklung könnte etwa so aussehen:
i. Vorstufen der Schrift
2. Ideenschriften
3. Wortbild- und Wortlautschriften
4. Silbenschriften
5. Lautschriften
Die gegenständlichen Vorstufen der Schrift entsprachen
einer sehr frühen Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung,
der Zeit, in der sich unsere Vorfahren von gesammelten
Früchten und Wurzeln ernährten. Steinhaufen zum Wie¬
derfinden bestimmter Plätze, abgeknickte Zweige oder
Einkerbungen in Bäumen zur Wegbezeichnung mögen am
Beginn dieser Entwicklung als Verständigungszeichen ge¬
dient haben. Auch die Knotenschrift wird zu den Vorstufen
gerechnet, und im gewissen Sinne haben sich diese Verstän¬
digungsmittel durch den Knoten im Taschentuch und das
Ankerben der Wirtshausschulden bis in die jüngste Ver¬
gangenheit erhalten. Bei den meisten Formen der Vorstufe
der Schrift handelt es sich lediglich um Gedächtnisstützen
(Mnemogramme).
Die Schrift und die Zeichnung haben den gleichen Ur¬
sprung. Dies zeigt sich schon daran, daß die Wörter für
Schreiben, Zeichnen und Malen in vielen Sprachen eine ge¬
meinsame Wurzel haben. Es ist wahrscheinlich, daß
Höhlenmalereien und Petroglyphen Jagddarstellungen
4 Engels, Friedrich: Dialektik der Natur. Berlin 1952.
5 Vergleiche: FÖLDES-PAPP.Karoly: Vom Felsbild zum Alphabet.
Dresden 1970. Desgleichen: Laming, Annette: Lascaux - Am
Ursprung der Kunst. Dresden 1959.
und Zauberzeichen sind. Sie entsprechen der Kulturstufe
der frühen Jägervölker und fanden sich bis in die jüngste
Vergangenheit noch bei einigen Stämmen Afrikas, Austra¬
liens und Amerikas.
Nach den zahlreichen Funden zeichnerisch-malerischer
Kunst aus der Wende der Altsteinzeit zur Jungsteinzeit
bzw. in der ersten Kulturperiode der letzten Eiszeit (60000
bis 40000 v.u.Z.) beschäftigten sich viele Wissenschaftler
mit den damit auftauchenden Problemen. Die früher vor¬
herrschende Theorie, daß mit den Tierdarstellungen die
Jagd günstig beeinflußt werden sollte (sympathetische
Magie), wird in der letzten Zeit wieder in Frage gestellt.6
Doch finden sich auf vielen Malereien in enger Verbindung
mit den Tieren Darstellungen von Pfeilen, Speeren, Schleu¬
dern und Fallgruben. Während die Tiere selbst über¬
raschend naturgetreu dargestellt wurden, sind die Jagd¬
werkzeuge schon stark symbolisiert.
Die Menschen dieser frühen Periode wohnten als Grup¬
penfamilien in Höhlen und größeren Hütten mit ver¬
schiedenen Feuerstellen zusammen. Jede dieser Gruppen
war wirtschaftlich selbständig, und es bestand unter ihnen
kaum die Notwendigkeit eines schriftlichen Kontakts. In
den Höhlenzeichnungen ist die Absicht einer Mitteilung an
andere nicht erkennbar, aber es ist zu vermuten, daß es
sich um das Festhalten eines Erlebnisses handelt. Diese
frühen Zeichnungen sind also keine Bilderschriften, son¬
dern eine zeichnerische Vorstufe des Schreibens, aus der
sich in der Folge die Ideenschrift entwickelte.
Ideenschriften findet man in einem späteren Stadium der
Urgemeinschaft. Nach dem Rückgang des Eises (etwa
10 000 v. u. Z.) vervollkommneten die Menschen ihre Werk¬
zeuge. Neben dem Sammeln von Wurzeln und Früchten
und der Jagd begannen sie, sich die Natur zu unterwerfen.
In geografisch günstigen Gebieten, die sich durch aus¬
reichende Bewässerung und warmes Klima auszeichneten,
wurden Haustiere gezüchtet und Nutzpflanzen angebaut.
Die Menschen lebten in größeren Gemeinschaften, in Hor¬
den oder Sippen, zusammen. Die fortgeschrittenere Tech¬
nik bedingte einen regeren Gedankenaustausch. Im Irak,
in Ägypten, im iranischen Hochland, in Syrien und Mittel¬
asien fand man solche Anfänge von Ideenschriften. Diese
ІЗ