ich eine gewisse ,Abrundung' in den Ecken zwischen senk¬
rechten und waagrechten Zügen entfernte. Dies dient dazu,
ihnen mehr Ungezwungenheit zu geben, sie voneinander
zu unterscheiden und die Schriftzüge klarer zu machen...
Der Unterschied, den man zwischen meinen Kursiv¬
schriften und denen früherer Zeiten... finden wird, ist weit
größer. In einigen Schriften kann man die Hand des großen
Meisters, der sie schuf, erkennen, und zwar an der Sicher¬
heit und Gleichmäßigkeit der Züge, aber man kann auch
eine gewisse altertümliche Art wahrnehmen, die zu ver¬
bessern ich für das beste hielt. Aus diesem Grunde bin ich
meinem eigenen Geschmack gefolgt, indem ich sie unse¬
rem Schreibstil ein wenig näherbrachte und vor allen
Dingen den Unterschied zwischen den Hauptschriftzügen
und den Schraffierungen deutlich machte.»23
Interessant ist der HinweisFouRNiERS auf die veränderte
Handschrift seiner Zeit. Indem er die Oberlängen der Ge¬
meinen mit den Versalien auf Linie brachte, mißachtete er
die von den alten Meistern gemachten Erfahrungen, die
optischen Gesetze, die nicht immer mit den Erkenntnissen
des Maßstabs und Zirkels übereinstimmen.
Die bisher genannten Schriftkünstler machten sich um
die Weiterentwicklung der Renaissance-Antiqua verdient.
Die Antiquaschriften des Barocks bezeichnet man als Über¬
gangsantiqua. Ihre Kennzeichen gegenüber der Renaissance-
Antiqua sind ein größerer Kontrast von Grund- und Haar¬
strichen und feinere Serifen. Die frühen holländischen und
englischen Übergangsschriften sind dabeiim allgemeinen brei¬
ter, die französischen und die späten holländischen schmaler
laufend. Die Kursiv entspricht den veränderten Formen
der Antiqua. Die Unterschiede in der Höhe der Versalien
und den Oberlängen der Gemeinen, wie sie besonders in
den Schriften von Jenson und Aldus Manutius auf¬
traten, verschwinden zum Nachteil des Gesamtschriftbil¬
des. Auch der lebendige Wechsel in der Schreibrichtung,
der Garamonds Kursivschriften ihren besonderen Reiz
verleiht, weicht einer gleichmäßigen Richtung bei allen
Abstrichen. Die technische Vervollkommnung der Typen¬
herstellung führt zu einer relativen Einengung der künst¬
lerischen Phantasie.
Unverkennbar hatte die Technik des Kupferstichs be¬
reits die Formänderungen der Antiqua und Kursiv beein¬
flußt, aber noch bedeutsamer wurde der Einfluß des Sti¬
chels auf die Kalligrafie der lateinischen Schreibschriften,
und es erscheint ratsam, einige Worte über diese grafische
Technik vorauszuschicken. Der Kupferstich, bereits seit
dem fünfzehnten Jahrhundert bekannt, später von Dürer,
Mantegna und verschiedenen Künstlern der Renaissance
angewendet, wurde im Barock zur führenden Reproduk¬
tionstechnik. Beim gewöhnlichen Kupferstich wird die
Zeichnung seitenverkehrt mit einem Stichel in eine po¬
lierte Kupferplatte eingegraben, mit einem Tampon einge¬
schwärzt, die auf der unbearbeiteten Oberfläche befind¬
liche Farbe abgewischt und von den tieferliegenden Linien
gedruckt. Der Kupferstich ermöglichte besser als der Holz¬
schnitt die Darstellung der wirklichen Natur in ihrer Stoff¬
lichkeit und Modellierung. Da die Wiedergabe im Kupfer¬
stich nicht in einem Druckgang mit der Typografie, wie
etwa beim Holzschnitt, möglich ist, wurde es zur Gewohn¬
heit, dem Buch ein Kupferstichblatt (Frontispiz) vorzuhef¬
ten. Auch in der Musiknoten- und Landkartenherstellung
wurde der Kupferstich verwendet. Daneben gab es Kupfer¬
stichwerke in großer Zahl. Die Schreibmeisterbücher, die
bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts im Holzschnitt
reproduziert wurden, erschienen später ebenfalls im Kup¬
ferstich. Zuerst hatte man versucht, die Schriften in den
Kupferstichen nach den geschriebenen Formen zu kopie¬
ren, dabei waren die Rundungen der Serifen mit dem Grab¬
stichel besonders mühevoll nachzuahmen, und der vor¬
wärtsdrängende Schreibduktus konnte beim langsamen
spiegelverkehrten Stechen nur schwer verstanden werden.
Viel leichter war es, statt des dynamischen Schreibzugs
symmetrische Kurven und statt der Serifen dünne Fußlinien
zu machen. Durch den formbildenden Einfluß des Stichels
veränderten sich die Schriften der Kupferstiche in dieser
Richtung, und langsam folgten auch die typografischen
Schriften dem Ausdruck der Kupferschriften, denn das häu¬
fige Nebeneinander von Kupferstich und Satz verlangte
eine Übereinstimmung.
Eines der reizvollsten Gebiete der barocken Schriftkunst
ist die kalligrafisch modulierte lateinische Kursiv oder Kurrent
der Schreibmeister. Noch einige Jahrzehnte länger als auf
dem Feld der Druckschriften bestimmten die Italiener die
Kalligrafie der Spätrenaissance. Nach den bereits erwähn¬
ten Schreibmeisterbüchern des Giovanni Francesco
Cresci, die in ihren Kursivschriften bereits barocke For¬
men zeigen, brachten Giulantonio Hercolani,
Francesco Periccioli und vor allem der artistische
Piranesi (1640) lateinische Kanzleischriften mit figür¬
lichen Federspielen und einer für die barocke Kalligrafie
kennzeichnenden Virtuosität.
Doch schon am Ende des sechzehnten Jahrhunderts
wuchs der Einfluß der französischen Schreibmeister. Die
italienischen Kursivschriften wurden zum Teil übernom¬
men, zum anderen Teil auch mit den fortlebenden Tradi¬
tionen der französischen Form der gotischen Bastarda und
der Schreibschrift Financière verbunden. Dabei entstand
eine ganze Reihe von Variationen der lateinischen Kanzlei¬
schrift, die unter verschiedenen Bezeichnungen und Bin¬
dungen an bestimmte Berufsgruppen gepflegt wurden. Als
bedeutendste französischeKalligrafen können wohl Lucas
Materot und Louis Barbedor genannt werden, die
um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts in Paris ihre
Schriftsammlungen veröffentlichten. Eine Besonderheit
ihrer Schriften sind die teilweise übertriebenen Schwell¬
züge, die nicht in erster Linie durch die unterschiedlichen
Strichrichtungen der Breitfeder, sondern vor allem durch
den Druck der schreibenden Hand auf die fein zugeschnit¬
tene und tief gespaltene Feder entstanden. Trotzdem be¬
sitzen die französischen Kursivschriften Rondo und Bâtarde
23 Fourni e RS Vorrede zu den Modèles. Aus: Paul Beaujon: Pierre
Simon Fournier. London 1928.
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Vergleiche die Abbildungen auf den Seiten 172 bis 174
Abbildungen 271/272 Anweisung cum Schreiben der Letra bastarda von Juan de Palanco
klare Formen und einen angenehmen ornamentalen Reiz,
während die vereinfachte und offenbar schneller zu schrei¬
bende spätere Form Bâtarde coulée nüchtern und etwas ma¬
nieriert wirkt.
Nächst Frankreich entwickelten sich die Niederlande zu
einem Zentrum der Kalligrafie. Seit 1604 erschienen von
Jan van den Velde verschiedene kalligrafische Muster¬
bücher, denen solche von Maria Strick, David Roe-
lands und Charpentier folgten. Druckschreibschriften
holländischer Art sind vor allem von J.F.Rosart und
Fleischmann bekannt geworden.
Bereits in der Spätrenaissance hatte die italienische Can-
cellaresca auf der iberischen Halbinsel Eingang gefunden
und war durch Juan de Y ciar vielseitig abgewandelt wor¬
den. Ein besonders schönes Schreibbuch erschien 1650 in
Madrid von Joseph de Casanova unter dem Titel Pri¬
mera parte del arte de escribir todas formas de letras, und neben
Palomares und Servidori soll noch Juan de Polanco
hervorgehoben werden, der um 1719 in seiner Arte nuevo de
escribir die Proportionen seiner Letra bastarda zu erklären
versucht. Im selben Jahre trat auch der portugiesische Mei¬
ster Manoel de Andrade mit einem schönen Schreib¬
buch hervor, dessen figürliche Federspiele erwähnenswert
sind. Die genannten Schreibmeister stehen für die hohe
Kultur der Kalligrafie in Spanien und Portugal während
des Barocks.
Parallel zur Entwicklung der Druckschriften bildete sich
in England in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhun¬
derts ein vorzügliches Schreibwesen. Die Anlage und die
Texte der englischen Schreibmeisterbücher waren vor¬
wiegend auf den Handel und die Geschäftskorrespondenz
abgestimmt. Bis zur Mitte des siebzehnten Jahrhunderts
war die englische Version der gotischen Bastarda, die secre¬
tary hand, noch weit verbreitet, doch danach gewannen die
round hand und die italian hand die größere Bedeutung. Zu
den wichtigsten englischen Schreibmeistern gehören John
Seddon (etwa 1695). Shbllby (1709). Charles Snell
(1712), John Bland (1739) und G eorge В ickham (1743).
Langsam stabilisierte sich die round hand zu einer über¬
persönlichen Form, die in den Schreibkontoren Europas
und Nordamerikas als Anglaise, als englische Handschrift,
hohes Ansehen genoß und noch in der Gegenwart als eng¬
lische Schreibschrift gelegentlich eingesetzt wird.
In Deutschland ging die Schriftentwicklung teilweise
andere Wege. Vorherrschende Schriften waren die Frak¬
tur, die Fraktur-Kanzlei und die deutsche Kurrent. Durch
die Religionskriege, den Dreißigjährigen Krieg und die
Kleinstaaterei bedingt, verfiel das Schriftwesen und zeigte
Vergleiche die Abbildungen auf den Seiten 164 bis 171,175 bis 180 sowie 198 bis 200
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