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Abbildung 252 Figuren-Alphabet des Giacomo Franco, цдб
DIE ÜBERGANGSSCHRIFTEN DES BAROCKS
JL/as sechzehnte und das siebzehnte Jahrhundert brachten
Europa den Übergang von den Renaissance- zu den klassi¬
zistischen Schriften. In dieser Zeit gewann der Kupferstich
Einfluß auf die Buchkunst, und der Stichel wurde zum wich¬
tigsten formbildenden Werkzeug, mit dem man exaktere
Formen der Antiqua und verschlungenere der Fraktur er¬
reichen konnte. Die wichtigsten Schriften des Barocks sind
die Übergangsantiqua und -kursiv, die Fraktur, die Kanzlei,
die lateinische und deutsche Schreibschrift und die orna¬
mentierte Schrift.
Am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts finden wir die
schönste Schriftgestaltung in den Niederlanden. Durch die
günstige Lage an der Rhein- und Scheidemündung hatten
sich der niederländische Handel, das Handwerk und die
Manufaktur günstig entwickelt. Die spanische Besetzung
des Landes rief den Widerstand der holländischen Bürger
hervor, der sich zuerst in kirchlich-reformatorischen Be¬
strebungen äußerte und im Unabhängigkeitskampf der
Niederlande seinen Ausdruck fand.
Im Gegensatz zu Deutschland ging man in den Nieder¬
landen, in denen das Bürgertum die führende Kraft war
und die Bestrebungen der Humanisten nachhaltiger wirk¬
ten, zur Antiqua über. Die gotische Schrift blieb lediglich
der Bibel und religiösen Texten vorbehalten. Auch die
lateinische Handschrift wurde eingeführt. Damit löste sich
Holland aus der Schriftgemeinschaft mit Deutschland.
Nach fast hundertjährigem Freiheitskampf der Nieder¬
länder mußten die Spanier 1648 die Unabhängigkeit der
nördlichen Provinzen anerkennen. Die Gründung der
niederländischen Republik war der Sieg der ersten bürger¬
lichen Revolution. Die Beseitigung der absolutistischen,
feudalen Schranken brachte eine schnelle und breite Ent¬
wicklung der Produktivkräfte, und dem wachsenden Reich¬
tum folgte eine Blüte der Kultur und Kunst. Die neue, bür¬
gerliche Freiheit förderte den Buchdruck. Dadurch er¬
rangen die Niederlande eine führende Stellung im euro¬
päischen Verlagswesen.
Die berühmten Druckergcschlechter Elzevier und
Plantin und die hervorragenden Schriftschneider van
Dyck, Voskens und andere waren weit über die Grenzen
ihrer Heimat bekannt. In Antwerpen druckte Plantin
Nach den allernotwendigsten Dingen cum Leben ist nichts kost¬
barer als die Bücher. Die Buchdruckerkunst, die sie erzeugt,
leistet der Gesellschaft beträchtliche Dienste und unermeßliche
Hilfen. Sie dient daçu, den Bürger çu unterrichten, den Fort¬
schritt von Wissenschaft und Kunst cu erweitern, den Geist çu
пй/tren und си pflegen und die Seele %u erheben: ihre Pflicht ist
es, der Vermittler und wichtigste Verkünder der Weisheit und
der Wahrheit çu sein; mit einem Wort: der Schilderer des Gei¬
stes. Man könnte sie also im wahrsten Sinne des Wortes die
Kunst der Künste und die Wissenschaft der Wissenschaften
nennen. Pierre Simon Fournier
noch mit den Typen von Garamond, Granjon und
Le Bè. Plantin genoß sogar das Privileg des spanischen
Königs Philipp IL, sympathisierte aber heimlich mit den
radikalen Schwärmern und druckte illegal deren revolu¬
tionäre Schriften. Sein Schwiegersohn Moretus konnte
Peter Paul Rubens für die Mitarbeit gewinnen, dessen
Werkstatt eine größere Zahl von Titelkupfern für seine
Druckerei lieferte.
In der Universitätsstadt Leyden druckte seit etwa 1592
Ludwig Elzevier, später setzten seine Söhne, Enkel und
Urenkel das Werk fort. Die schönsten Schriften der Elze-
viers schnitt Christoph van Dyck, der «de beste mee-
ster van sijnen en onsen üjdt» genannt wurde und der als
freier Stempelschneider für verschiedene Druckereien
Hollands arbeitete. Es ist aber zweifellos übertrieben, wenn
man in England sagt, daß van Dyck die Schriften Gara¬
monds verbessert hätte und daß alle Elzevierschriften von
seiner Hand herrührten.
Durch Enschedé wurde nachgewiesen, daß eine ganze
Reihe der Elzevierschriften von der Frankfurter Gießerei
Luther-Egenolff bezogen wurde. Die Figuren van
Dycks sind breiter, kraftvoller, aber weniger geistvoll als
die Vorbilder Garamonds. Der Ruhm der holländischen
Antiqua ist eher ihrer technischen Vollkommenheit und
den Werbungsmethoden tüchtiger holländischer Kauf leute
zu danken. Die holländischen Schriften überragen auf
jeden Fall die anderen des siebzehnten Jahrhunderts und
bilden die Vorlage für die weitere Schriftentwicklung in
Europa. Besonders Caslon und Baskerville, die Eng¬
land zum neuen Schriftzentrum in Europa machten,
stützten sich auf die Arbeit van Dycks.
Neben van Dyck wirkten in Holland im siebzehnten
Jahrhundert die Brüder Voskens und Anton Janson,
im achtzehnten Jahrhundert der Nürnberger Fleisch¬
mann und J.F.Rosart.
Johann Michael Fleischmann, der 1701 in Nürn¬
berg geboren wurde, lernte in seiner Vaterstadt Stempel¬
schneiden und Schriftgießen und machte sich als Geselle
auf die Wanderschaft. In Frankfurt arbeitete er ein Jahr bei
der Lutherschen Gießerei und seit 1728 in Amsterdam für
verschiedene Gießereien. Von 1743 bis zu seinem Tode
Vergleiche die Abbildungen auf den Seiten 160 und 161
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