Abbildung 206 Versiertes Initial des Amphiareo
Die deutsche Renaissance baute vorwiegend Rathäuser
zur Repräsentation der Macht des Bürgertums. Bei der
Verehrung der Renaissance für die römische Antike war es
klar, daß man auch für Inschriften die römische Kapitale
bevorzugte. Das schönste Architekturdenkmal mit einer
harmonischen Übereinstimmung von Schrift und Architek¬
tur ist in Deutschland das Leipziger Rathaus des Hierony-
mus Lotter, an dem die Antiqua-Versalien einen pracht¬
vollen ornamentalen Fries bilden.
Die Ornamentik der Renaissance begann mit einem
Nachahmen der karolingischen Ornamente des insularen
Flechtwerks und der Auszeichnungsschriften dieser Epo¬
che, vorwiegend der Unziale. Auf die Buchornamentik
wirken in zunehmendem Maße die neuentwickelten
Renaissance-Bauornamente mit reichem Blattwerk, mit
Blüten und Architekturformen. Es bilden sich die Elemen¬
te der klassischen Buchornamentik : der Rahmen, der sehr
oft bei Titelblättern angewendet wird, die Kapital- und
Randleisten, das ornamentierte Initial, das den Text ein¬
leitet, und die Kapitelschlußvignette.
I Die Druckkunst war am Anfang nicht in der Lage, den
reichen Schmuck, der in den Kodizes überliefert war, mit
den neuen technischen Mitteln wiederzugeben. In den
Frühdrucken wurden für die nachträgliche Ausstattung
Abbildung 207 Vergiate Versalien des Amphiareo
freie Räume gelassen. Man unterschied dabei das Rubri¬
zieren (das Einschreiben der Überschrift), das Korporieren
(Einmalen farbiger Initialen), das Florieren und Aus¬
schmücken mit farbigen Leisten und Rahmen und das Ein¬
malen farbiger Miniaturen. Bald ging man dazu über, den
Buchmalern die Arbeit zu erleichtern und mit Holzschnit¬
ten in leichten Konturen die Initialen und Ornamente vor-
zudrucken. Und gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts
wurde die nachträgliche Arbeit immer mehr ausgeschaltet.
Der Rotdruck trat an die Stelle der Arbeit des Rubrikators,
und mit Hilfe von Holzschnitten wurden Initialen, Rah¬
men und Bildnisse in einem Druckgang wiedergegeben.
Erhard Ratdolt, Aldus Manutius und viele
andere Drucker verwendeten Kassetten-Initialen mit
floralen, architektonischen, plastischen und figürlichen
Schmuckelementen. In den Schreibmeisterbüchern des
sechzehnten Jahrhunderts erschienen reich ornamentierte
Versalalphabete, die wiederum zu manchem Initial¬
alphabet die Anregung gegeben haben dürften. Ge¬
schmückte Antiqua- und Kursivminuskeln sind in der
Renaissance jedoch relativ selten, in der Epoche der Re¬
naissance beschäftigen sich die Schriftkünstler vor allem
mit der Veredelung und Veränderung der Grundformen
der Schrift.
Abbildung 208
Venezianische Zierleiste mit Flechtwerk
Abbildung 209
Venezianische Zierleiste mit Rankenwerk
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Vergfeiche die Abbildungen auf den Seiten 144,14$ und 149
Abbildung 210 Renaissance-Textur auf einer Bronçe-Grabplatte. 1528
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