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Abbildung 152 Versalkonstruktion von Albrecht Dürer
Abbildung 153 Versalkonstruktion des Amphiareo
Frankreichs einen allgemeinen Niedergang. Er fällt zu¬
sammen mit dem Ende der französischen Renaissance.
In Italien hatten neben den Frühdruckern die Schreib¬
meister der Renaissance großen Anteil an der Herausbil¬
dung der neuen Formen. Mit der Erfindung der Druck¬
kunst schrumpften die Aufträge der Kalligrafen, aber die
Verbreitung der Bildung erschloß vielen eine neue Arbeits¬
möglichkeit als Schreiblehrer. Es entstand eine Schreib¬
meisterliteratur, die heute erst in den Anfängen wissen¬
schaftlich erforscht ist und herrliche Schätze der Schreib¬
kunst birgt.
Das Streben der Künstler nach Naturerkenntnis zeigte
sich damals in der Tendenz, Harmonie und Proportionen
in meßbare Verhältnisse zu fassen. Nach den Werken über
die Proportionen des menschlichen Körpers und die For¬
men der Architektur erschienen solche über die Maßver¬
hältnisse der Buchstaben. Die früheren Schreiber machten
ihre Kurven nach dem Augenmaß, die Kalligrafen der
Renaissance erhofften, eine höhere Qualität mit Winkel
und Zirkel zu erreichen. Die erste Anregung zu diesen
Forschungen kam von den humanistischen Gelehrten.
Bereits am Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts er¬
wachte das Interesse für die Inschriften antiker Denkmäler.
Die erste geometrische Konstruktion einer Antiqua-Kapi¬
talschrift fertigte der Veroneser Kunstsammler und Kunst¬
historiker FELiCEFELiciANoim Jahre 1463. Er sagte über
seine Formen: «Dieses habe ich, Felice Feliciano, in
antiker Art wiedergefunden nach vielen Marmortafeln,
wie sie in Rom und anderwärts sich befinden.»16 Vermutlich
in enger Zusammenarbeit mit Leonardo da Vinci oder
Mantegna überarbeitete und verbesserte der Mathema¬
tiker Fra Luca Paccioli die Angaben von Feliciano.
Unabhängig von beiden erschien 1480 das Schreibbüchlein
des Damiano da Mo ile, der seine Versalformen auf dem
Alphabet der Trajanssäule aufbaute.
In schneller Folge entstehen nun die Schreibbüchlein von
Sigismondo de Fanti (1514), Torniello (1517) und
Vicentino (1522). Der Einfluß der Schreibmeister auf die
Typografie beginnt bei de Fanti, der bereits Anweisungen
über die Titelgestaltung gibt. Mit Vicentino fließen die
kalligrafischen Formen der Schreibmeister in die Figuren
der Typen über. Er empfiehlt bei der Schriftgestaltung:
«Der Abstand zwischen Wort und Wort soll so breit sein
wie ein n. Buchstaben an Buchstaben aber soll man so
reihen, daß der weiße Zwischenraum so breit ist wie der
Abstand der beiden Senkrechten des n.»1" Giovanni
Tagliente (1524) legt weniger Wert auf die Konstruktion
der Versalien und bevorzugt die verschiedenen Formen der
Kursiv. Viele Zeichnungen und Formulierungen der
Schreibmeisterliteratur werden von früheren Ausgaben
übernommen. UgodaCarpi wiederholt fast bis ins Detail
ältere Vorbilder. Verini (1527) brachte die Versalien in
Beziehung zum menschlichen Körper und zu Vitruvs
architektonischen Gesetzen. Das Büchlein des Giambat¬
tista Palatino, das zuerst 1540 erschien, wurde beson¬
ders volkstümlich und brachte es auf sechs Auflagen.
Vespasiano Amphiareo fand eine neue und vereinfach¬
te Quadrateinteilung mit acht waagrechten Streifen.
Fernando Ruano, Schreiber beim Vatikan, geht in
seinen Untersuchungen (1554) noch einmal zurück auf die
alten Vorbilder: «... so habe ich denn, als ich schreiben
wollte, die Regeln und Maße der alten Schriftzeichen den
zahlreichen Bauwerken Roms mit Verstand entnom¬
men.»17 Einen Höhepunkt der bisherigen Entwicklung
15 Bertieri, Raffaello: Italienische Kalligraphen im 16. Jahrhundert.
In: Philobiblon 1929. Vergleiche auch: Feiice Feliciano Veronese.
Herausgegeben von G. Mardersteig. Verona i960.
16 Bertieri, Raffaello: Italienische Kalligraphen im 16. Jahrhundert.
In: Philobiblon 1929.
17 Bertieri, Raffaello: Italienische Kalligraphen im 16. Jahrhundert.
In : Philobiblon 1929.
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Vergleiche die Abbildungen auf den Seiten 128,130,134,135,140 bis 143
bringt das Werk von Cresci, das 1570 erschien, mit einer
Fülle eindrucksvoller Schrifttafeln.
Die italienischen Schreibmeister legen das Hauptgewicht
auf die Konstruktion der Antiquaversalien und die Formen
der Kursiv; sie zeigen nur nebenbei Beispiele der Gotisch,
der Rundgotisch und verschiedener Schmuckformen. Die
Kalligrafen der Renaissance erweckten die römische Kapi¬
tale wieder zu neuem Leben, ihre Konstruktionen hatten
jedoch auch wesentliche Nachteile. Es sind dies die Mängel
jeder Konstruktion: Der optische Eindruck von richtiger
Komposition kann nicht durch Messung und geometrische
Konstruktion ersetzt werden, und die beim Schreibvor¬
gang ständig wechselnde Strichstärke kann in der tech¬
nischen Zeichnung nicht genügend berücksichtigt werden.
Selbst das genaueste Messen entbehrt des Lebendigen, das
unwillkürlich beim Schreibvorgang mit einfließt. Aber es
ist das Verdienst der Schreibmeister, durch ihre Konstruk¬
tion harmonische Richtmaße gegeben zu haben.
Die Quelle der kursiven Formen war die Handschrift der
Humanisten. Diese bildete sich durch das schnelle Schrei¬
ben der humanistischen Minuskel. Sie zeichnet sich durch
Klarheit, Einfachheit und leichte Lesbarkeit aus. Nach dem
Grade ihrer Sympathien zu den humanistischen Ideen
wurde die humanistische Handschrift übernommen, und
dadurch entstanden vielfältige Schattierungen und Ab¬
wandlungen. Der Schreibmeister Palatino unterschei¬
det die Cancellaresca romana, die römische Kan^leischrift, die
Lettera di brevi der päpstlichen Kanzlei, die Cancellaresca
bastarda und die Cancellaresca formata, bei welcher die Her¬
kunft der Kursivtypen offensichtlich wird. Die Unterschiede
der genannten Schriften erschöpfen sich in leichten Ab¬
wandlungen der Ober- und Unterlängen. Die Kaufmanns¬
und Notarschriften Italiens zeigen sich als Übergangs¬
formen zwischen der gotischen und der humanistischen
Schreibschrift mit teilweise sehr schönen Figuren und deut¬
lichen Beziehungen zu den deutschen Handschriften. Seit
der Renaissance unterscheidet man in der Handschrift
zwischen langem s in der Mitte des Wortes, dem Schluß-s
am Ende des Wortes und dem scharfen ß. Die Formen der
lateinischen Handschrift, der Kursiv und der Antiqua,
wurden in Deutschland durch die Werke italienischer
Schreibmeister, durch die deutschen Humanisten und die
aus Italien zurückgekehrten deutschen Drucker bekannt.
In Deutschland beschäftigte sich Albrecht Dürer in
seiner «Underweysung der Messung mit Zirkel und Richt-
scheyd» mit den Arbeiten der italienischen Schreibmeister.
Wahrscheinlich kannte Dürer die Zeichnungen von
da MoiLE und Paccioli; vielleicht lernte er diese wäh¬
rend seines Aufenthaltes in Italien kennen. Daß Dürer,
der nach Italien reiste, um «Geheimperspektive zu lernen»,
dort auch die antike Schrift studierte, veranschaulicht die
Bedeutung, die damals die Antiquaform besaß. Auch
Dürers Versalalphabet ist von denen seiner Vorgänger
nicht wesentlich verschieden.
In Frankreich war es der bereits vorn erwähnte Gelehrte
Geoffroy Tory, der in seinem Buch «Champfleury» sich
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Abbildung 154 Titelseiten des Vicentino
Abbildung 155 Bastarda von Geoffroy Tory
Abbildung 156 Mercantesca
Abbildung 1J7 Kalligrafische Kursiv
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Abbildung ijS Cancellaresca corrente
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Abbildung 159 Cancellaresca formatella
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