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88 Abbi/duHg 133 Textur-Schriftband auf einem gotischen Tafelbild. Ende des 1%.Jahrhunderts
DIE SCHRIFTEN DER RENAISSANCE
jL/ie Renaissance ist die interessanteste und fruchtbarste
Epoche in der Entwicklung unserer Schrift. In dieser Stil¬
periode entstanden neue Formen, von denen noch einige
in der Gegenwart als beispielhaft und gültig anerkannt
werden: die Inschriften-Majuskel der Renaissance, die
Renaissance-Antiqua (humanistische Minuskel, Mediäval),
die Renaissance-Kursiv (humanistische Kursiv, Mediäval-
Kursiv), die lateinische Handschrift (Humanistenhand¬
schrift), die deutsche Kurrentschrift, die Schwabacher und
die oberrheinische Schrift, die Fraktur und die sogenannten
arabischen Ziffern.
Die Renaissance, die in Italien um die Mitte des vierzehn¬
ten Jahrhunderts und in Frankreich und den übrigen Län¬
dern in Europa teilweise beträchtlich später begann und
etwa in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts endete, ist
die Zeit des Übergangs von der zweiten in die dritte Phase
des Feudalismus. Die ökonomische Grundlage blieb die
Feudalrente, aber ihre Form hat sich vom Natural- zum
Geldzins gewandelt. Die Einführung der Geldrente machte
die Fürsten von ihren Geldgebern abhängig und erschüt¬
terte das feudale Machtgefüge in seinen Grundfesten,
zeigte die ökonomische Kraft des jungen Bürgertums und
führte zu einer neuen Kultur, die sich auch in der Schrift¬
kunst äußerte.
Friedrich Engels schreibt über die Renaissance und
ihre kulturellen Anschauungen : «Das Königstum, sich stüt¬
zend auf die Städtebürger, brach die Macht des Feudal¬
adels und begründete die großen, wesentlich auf Nationali¬
tät basierten Monarchien, in denen die moderne bürger¬
liche Gesellschaft zur Entwicklung kam... In den aus dem
Fall von Byzanz geretteten Manuskripten, in den aus den
Ruinen Roms ausgegrabenen antiken Statuen ging dem er¬
staunten Westen eine neue Welt auf, das griechische Alter¬
tum; vor seinen lichten Gestalten verschwanden die Ge¬
spenster des Mittelalters; Italien erhob sich zu einer un¬
geahnten Blüte der Kunst, die wie ein Widerschein des
klassischen Altertums erschien und die nie wieder erreicht
worden... Die Schranken des alten Erdkreises wurden
durchbrochen, die Erde wurde eigentlich jetzt erst ent-
14 Engels, Friedrich: Dialektik der Natur. Berlin 1952.
Ansehen und Macht des Buchdrucks liegt nicht nur in der Ver¬
gangenheit. Sein Einfluß in der Gegenwart macht ihn çu einem
wirksamen Bewahrer menschlichen Fortschritts. Er ist der
Diener aller Künste und Gewerbe und ein äußerst wirksamer
Arbeiter in der Werkstatt der Welt, der cur Verfeinerung der
Kultur des Zeitalters beiträgt. Thomas Carlyle
deckt und der Grund gelegt zum späteren Welthandel und
zum Übergang des Handwerks in die Manufaktur, die wie¬
der den Ausgangspunkt bildete für die moderne große
Industrie. Die geistige Diktatur der Kirche wurde gebro¬
chen; die germanischen Völker warfen sie der Mehrzahl
nach direkt ab und nahmen den Protestantismus an, wäh¬
rend bei den Romanen eine von den Arabern übernomme¬
ne und von der neu entdeckten griechischen Philosophie
genährte heitere Freigeisterei mehr und mehr Wurzel
faßte und den Materialismus des achtzehnten Jahrhunderts
vorbereitete. Es war die größte progressive Umwälzung,
die die Menschheit bis dahin erlebt hatte.»14
In der Renaissance wurzelt die Schriftspaltung, die dem
deutschen Schriftschaffen der folgenden Jahrhunderte das
Gepräge gibt. In dieser Periode findet sich am ehesten der
Schlüssel zum Verständnis der Entwicklung und Verände¬
rung der Formen.
Als Ursache des Übergangs von der gotischen Schrift zur
Antiqua, zu den Repliken älterer Figuren der Römer- und
Karolingerzeit, werden in der entsprechenden Literatur
verschiedene Begründungen angeführt. Beispielsweise
wird die Veränderung des Beschreibstoffes, die Ablösung
des Pergaments durch das wohlfeilere Papier, als Ausgangs¬
punkt der Wiedereinführung der Antiqua betrachtet.
Durch den billigen Beschreibstoff war man in der Lage,
wird gefolgert, häufiger und auch schneller und flüchtiger
zu schreiben. Die dem Schnellschreiben entgegenstehen¬
den Ecken und Spitzen der Gotisch wurden abgeschliffen,
die Formen ausladender, weicher, rundlicher gestaltet, und
auf diese Weise sollte man wieder zu den durch ältere
Manuskripte bekannten Formen zurückgekehrt sein. Die
Einführung des Papiers, das dadurch ermöglichte schnel¬
lere Schreiben und die Verbreitung der Schreibkunst be¬
günstigten zwar meines Erachtens viele der schnell schreib¬
baren Formen, sie können aber die verschiedene Einstel¬
lung der Völker Nord- und Südeuropas zur Schriftreform
nicht begründen.
Auch die Gemeinsamkeit im Stilwandel der Architektur
und der Schrift vermag das in dieser Zeit beginnende
Nebeneinanderbestehen von Antiqua und Fraktur im
Zentrum Europas nicht zu erklären. Die gleichzeitigen
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