Abbildung 104 Fränkische Bastarda
Abbildung 105 Böhmische Bastarda
Abbildung 106 Handschrift von Jan Hus
ufci* two.
jes
С^^ЩС
Abbildung 107 Bastarda aus einem gotischen Schreibbuch
gcnib tktiôicmtvamms ttncai
gm* Ucrania Tfufpinjs. etcfpU
осп*іхсш* fuum twit» Xu с
Abbildung 108 Rotunda
Abbildung 109 Rotunda
тшмКЫшг 1*хсш itti ©Ли» mctncícrtnr-Oíi*
fiteerî fhli t^anctmtactiv -^гигсшитсл (¡фг
Abbildung 110 Gotico-Antiqua
Schriftbild. Eine besonders reizvolle Form hat die englische
Bastarda, in England als Chancery hand bezeichnet, die
meist sehr eng und mit spitz auslaufenden senkrechten
Unterlängen geschrieben wurde und von der einzelne
Elemente auch in der für die Wiegendrucke С axtons ver¬
wendeten Textur erkennbar sind.
Während die Textur vorwiegend für lateinische Texte
verwandt wurde, wird die Bastarda die Schrift für Werke
der Nationalsprache. Für die im frühen Mittelalter offi¬
ziell noch wenig anerkannten Schriftsteller der National¬
sprachen erschien die schneller schreibbare Bastarda eine
genügende Form. Doch mit der wachsenden Anerkennung
der entstehenden Nationalliteratur stieg auch die Achtung
vor den Schriften, in denen diese Werke geschrieben wur¬
den. Im Keim entstand hier bereits das Problem der natio¬
nalen Form in der Schriftkunst.
Die Grundlage für alle epigrafischen und Buchschriften
ist immer die Handschrift. Verfällt die allgemeine Hand¬
schrift, dann kann auch die künstlerische Schrift nicht mehr
lange bestehen. Erreicht die Handschrift im allgemeinen
ein hohes Niveau, so bleiben auch Spitzenleistungen der
künstlerischen Schrift nicht aus.
Die Lese- und Schreibkunde verbreitete sich im drei¬
zehnten, vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert in den
Städten. Da vervielfältigte Schreibvorlagen fehlten, form¬
ten die Schreibmeister die bekannten und beliebten Ba-
stardaschriften für den täglichen Gebrauch um. Private
Schriftstücke jener Zeit sind allerdings kaum erhalten; die
auf Pergament geschriebenen amtlichen Schriftstücke sind
meist sehr zierlich in einer der Bastardavarianten geschrie¬
ben, allerdings mit einer feiner zugespitzten Feder. Das
Kennzeichen der gotischen Kursiv oder Kurrent ist immer
ihre schnelle Schreibbarkeit.
Die meisten gotischen Handschriften vereinigen auch Les¬
barkeit und Schönheit. Sie folgten nicht der allgemeinen
gotischen Tendenz und erstrebten nicht die Betonung der
Senkrechten, wie etwa die Textur. Durch die drängende
Vorwärtsbewegung des Schnellschreibens wurden die
Figuren breiter, und manche waren leicht nach rechts ge¬
neigt. Der meist rechts-kursiven Lage von s und f und der
Rechtsschwünge der Oberlängen von b, h und 1 stehen
Gegenbewegungen des nach links gezogenen Schaftes von
d und v gegenüber. Dieses reizvolle Spiel von Bewegung
und Gegenbewegung in den Ober- und Unterlängen ver¬
leiht der gotischen Kurrent ihre eigenwillige Schönheit.
Die Rundgotisch oder Rotunda zeigte bereits eine Rück¬
entwicklung des Vertikalprinzips bei den Buchschriften.
Sie wurde seit Beginn des vierzehnten Jahrhunderts im
wirtschaftlich weiter entwickelten Italien heimisch, das die
Textur nie völlig aufnahm. Es ist nicht ausgeschlossen, daß
bei ihrer Geburt die alte beneventanische Schrift Pate
stand. Die Rotunda verzichtete auf den rautenähnlichen
Abschluß der Schäfte oben und unten. Die ersten Schäfte
des n und m, auch fund s enden mit einem leicht konkav
eingewölbten waagrechten Abschlußstrich. Der Erken¬
nungsbuchstabe der Rundgotisch ist das zweistöckige a,
66
Vergleiche die Abbildungen auf den Seiten yy, 80 und 81
dessen unterer Teil klein gehalten ist. Die Rundgotisch
läuft breiter und ist wesentlich besser lesbar als die Textur.
Ihre Formen wurden bald auch nördlich der Alpen be¬
kannt, erlangten aber nie den beherrschenden Einfluß wie
in ihrem Ursprungsland Italien ; in Spanien jedoch wurde
sie zu einer Art Nationalschrift und von den ersten spani¬
schen Buchdruckern fast ausschließlich verwendet.
Neben der Rundgotisch entstand, ebenfalls in Italien, die
Gotico-Antiqua oder «fere humanística», wie Ehrle sie nennt.
Diese Form tritt uns zuerst in der Handschrift Petrarcas
(1304 bis 1374) entgegen und setzt sich dann in den Hand¬
schriften der Humanisten immer stärker durch. Durch die
Beschäftigung mit den alten klassischen Manuskripten, die
zumeist in der karolingischen Minuskel überliefert sind,
erschien den Gelehrten die ältere Form vertraut und ach¬
tenswert, die Textur dagegen weit- und wesensfremd. Die
Humanisten forderten bereits im vierzehnten Jahrhundert
die nationale Einigung Italiens und die Abschaffung der
kirchlich-feudalen Fesseln; sie vertraten damit die An¬
schauung des entstehenden Bürgertums. Ihrer politischen
und philosophischen Abneigung gegen die Scholastik des
Mittelalters entspricht auch ihre ästhetische Ansicht von
den Schriftformen. Sie schaffen im Keim die Form, die
später als humanistische Minuskel die gotischen Schriften
ablösen wird. Die Schlacken und Bestandteile der Gotik,
von denen sich die neue Schrift nicht sofort frei machen
kann, rechtfertigen den Namen Gotico-Antiqua. In
Deutschland, Frankreich und England gewinnt diese Form
erst bei den Frühdruckern Bedeutung.
Die beliebtesten Initialen der Gotik waren immer noch
die in zusammensetzender Technik geschriebenen Unzial-
formen, die mit gezeichneten farbigen Ornamenten be¬
reichert wurden. Die Ornamentik ändert sich von den
frühgotischen Palmettenmotiven zum sogenannten Fleu-
ronnéestil, den deutschen Maiglöckcheninitialen. Diese
Initialen gehören zum Schönsten, was uns die Buchkunst
der Gotik schenkte. Als Farben dienen meist Blattgold, ein
mit Eiweiß gebundenes Blau und ein mit Eigelb gebunde¬
nes Rot. Der Buchstabenkörper wurde in der deutschen
Initialkunst durch eine oder mehrere Begleitlinien vom Or¬
namentkörper getrennt und seine Bewegung in die Orna¬
mentform weitergeleitet. Bei einfacheren Werken sind die
Versalien am Anfang der Kapitel durch senkrechte blaue
oder rote Pinselstriche im Buchstabenbild hervorgehoben.
Mit der fortschreitenden Arbeitsteilung des Mittelalters
entstand ein besonderer Beruf des Rubrikators (Miniator),
der in die vom Textschreiber freigelassenen und markier¬
ten Flächen das Initial einzeichnete oder -malte.
Die in Stein gehauenen Schriften auf Denkmalen oder an
Bauten wurden in der Hochgotik ebenfalls in Textur aus¬
geführt. War bisher die römische Kapitale die geeignete
Schrift für die Verwendung in der Architektur, so erkämpf-
9 Dieser Satz Goethes, der in der Fachliteratur über Schrift häufig
zitiert wird, ist nicht völlig gesichert. Man vergleiche hierzu die
Untersuchung von Albert Giesecke: Goethe und die deutsche
Schrift. In: Archiv für Buchgewerbe 1934. Heft 6.
Vergleiche die Abbildungen auf den Seiten 82,83 und 86
Abbildung 111 Metallschnitt. 15.Jahrhundert
te sich am gotischen Bau die Minuskel in ihrer ornamenta¬
len Gitterwirkung diesen Platz. Auch sie erreichte eine
feierliche Monumentalität und offenbarte ihre ganze
Schönheit in gemalten und gemeißelten Formen an Glas¬
fenstern und Mauern der gotischen Kirchen.
Das besondere Merkmal der gotischen Schriften ist ihre
Vertikaltendenz, und der Sinn des Nach-oben-Strebens
zeigt sich am deutlichsten bei einem Vergleich mit der
gotischen Architektur. Goethe sagte darüber: «Die deut¬
sche Schrift ist in ihrem Schmuck den gotischen Bauten
vergleichbar, die den Blick zur Höhe ziehen und uns mit
Staunen und Bewunderung erfüllen.»8 Das Nach-oben-
Streben der gotischen Dome sollte den Gläubigen ihre
Ohnmacht vor dem Jenseitigen zeigen, auch der dunkle
Schriftteppich einer Textur läßt das Sakrale und Irrationale
der Mystik ahnen.
Die gotische Architektur bedurfte natürlich auch stati¬
scher Voraussetzungen. Die neuen konstruktiven Möglich¬
keiten, der Spitzbogen und der außerhalb des Gebäudes
stehende Strebepfeiler, erlaubten den gotischen Baumei¬
stern eine gewaltige Vergrößerung der Kirchenschiffe. Diese
technische Überlegenheit verhalf dem städtischen Stil der
Gotik zum Vorrang über den Burgenstil der Romanik, und
erst das gotische System der Bogenverstrebungen ermög¬
lichte die durch überschlanke Pfeiler betonte Vertikalten¬
denz und mag auch dazu angeregt haben.
67