Dycks aus dem Jahre 1681 zeigt deutlich, daß besonders
die breiten kraftvollen Versalien mit ihren strichähnlichen
Serifen nicht mehr zur Renaissance-Antiqua gerechnet
werden können. Andere bekannte Formen der holländi¬
schen Antiqua stammen von Anton Jans on und Johann
Michael Fleischmann.
Die englische Form der Barock-Antiqua entwickelten
William Caslon und John Baskerville. Während
Caslon noch stark dem holländischen Vorbild verpflich¬
tet ist, zeigen Baskervilles Schriften bereits originelle
Züge, die aus dem Schreiben entstanden oder dem Schreib¬
buch Shelleys abgelauscht sind.
Die erste französische Form der Barock-An tiqua entstand
in der von Grandjean geschnittenen Romain du roi.
Pierre Simon Fournier le Jeune hat diese Schrift spä¬
ter kopiert und etwas abgeändert. Die modernen Schriften
der Barock-Antiqua sind schwer einzuordnen, weil ihre
grafischen Merkmale teilweise zur Varia-Antiqua tendieren
und individuelle Abwandlungen zeigen. Eindeutig liegen
die Verhältnisse bei der Times-Romain und der Imprimatur-
Antiqua, deren senkrechte O-Achse und strenge Serifen
mit der Barock-Antiqua weitgehend übereinstimmen.
Klassizistische Antiqua
Die ersten Schriften dieser Gruppe entstanden zwischen
1780 und 1820, in einer Zeit, die stilgeschichtlich als Klassi¬
zismus bezeichnet wird. Sie wurde stark durch Kupferstich
und Stichel beeinflußt. Ihre grafischen Merkmale sind :
1. Waagrechte Ansätze der kleinen Buchstaben, senkrechte
Achsstellung der Rundungen
2. starke Kontraste in der Strichdicke
3. rechtwinklig angesetzte Strichform der Serifen.
Frühformen der klassizistischen Antiqua schufen D1 d о t ,
Bodoni und Walbaum. Eine späte Form der klassizisti¬
schen Antiqua (May, Bulmer) läßt die künstlerischen
Qualitäten der Frühform vermissen, wird aber trotzdem
in vielen anonymen Gießereischnitten weit verbreitet.
Gleichzeitig entstanden als Schriften für Auszeichnung und
Reklame die fette und die schmalfette klassizistische Anti¬
qua, die durch den starken Kontrast zwischen fetten
Grund- und feinen Verbindungsstrichen wirkungsvoll er¬
scheinen wollen. Die fetten Abstriche legen wiederum eine
Aufhellung nahe. Deshalb finden wir die meisten lichten
und ornamentierten Schriften im Stile der klassizistischen
Antiqua. In unserem Jahrhundert erschienen mit der Tie-
mann-Antiqua und der Corvini« moderne Formen der klassi¬
zistischen Antiqua.
el el el
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Varia-Antiqua (Freie Antiqua)
Nicht alle Alphabete der Antiqua lassen sich in eine der
historisch gebundenen Gruppen, die Renaissance-, die
Barock- und die klassizistische Antiqua, einordnen. Die
Schriften des zwanzigsten Jahrhunderts tragen teilweise
eigenwillige, individuelle Züge. Bezeichnungen wie Künst¬
lerschriften oder individuelle Schriften würden jedoch die
anderen modernen Schriften deklassieren, als fehle ihnen
künstlerische Ausdruckskraft oder individuelle Eigenheit.
Die grafischen Merkmale der Varia-Antiqua sind indivi¬
duell betonte Abwandlungen der historisch gebundenen
Schriftformen.
In der Zeit des Jugendstils widmeten sich nach einer
Periode des Niedergangs erstmals wieder Künstler der
Schriftgestaltung. Eine starke Bindung an den Jugendstil
zeigen besonders die Eckmannschrift und ähnliche Al¬
phabete, die heute wieder ein größeres Interesse finden.
Viele Schriften der individuellen Form entstanden durch
das Schreiben mit der Breitfeder (Post-Antiqua, Pascal, Op¬
tima). Auch die Delphin, bei der Renaissance-Versalien mit
frei geschriebenen kursiven Kleinbuchstaben gepaart
werden, zeigte einen solchen Weg. Aus praktischen Grün¬
den werden auch die seltenen Formen der Unciale oder so
eigenwillige Schriften wie die Neuland von Koch der
Varia-Gruppe zugeordnet, weil sich für sie die Einführung
einer Hauptgruppe nicht rechtfertigt.
Serifenbetonte Linear-Antiqua (Egyptienne)
Die grafischen Merkmale der Egyptienne sind die balken¬
ähnlichen Serifen.
Ihre frühen Formen entstanden zuerst in England, zum
ersten Mal zeigte sie 1815 Vincent Figgins. Auch die
Italienne, eine schmale Egyptienne, bei der die waagrech¬
ten Verbindungsstriche fetter sind als die senkrechten
Grundstriche, kann zu den Frühformen gerechnet werden.
Etwas später entstand die Clarendon mit fetten Grund-
und dünneren Verbindungsstrichen, deren serifenähnlich
gerundeten Balkenschraffen bereits die Verbindung zur
Antiqua andeuteten. Diese Übergangsform, am besten
wohl Antiqua-Egyptienne bezeichnet, wurde um die Jahr¬
hundertwende in den USA beliebt. Die Formen des zwan¬
zigsten Jahrhunderts, Memphis, Rockwell, Weltantiqua u.a.,
werden gegenwärtig kaum noch verwendet. Dagegen feiern
Egyptienne und Antiqua-Egyptienne eine Auferstehung.
Auch die meisten Schreibmaschinentypen sind übrigens
nach ihren grafischen Formen diesen Gruppen zuzurech¬
nen.
Abbildung 460
Renaissance-Antiqua
Barock-Antiqua
Klassizistische Antiqua
Varia-Antiqua
Serifenlose Linear-Antiqua (Grotesk - Sans Serif)
Die grafischen Merkmale der Grotesk sind :
1. Optisch gleichbleibende Strichdicke
2. keine Serifen.
Die in England und später auch in den übrigen Ländern
Europas und Amerikas erschienenen Frühformen der Gro¬
tesk besaßen die Proportionen der klassizistischen Antiqua.
Die älteste heute noch gebrauchte Serifenlose dieser Art ist
die Akzidenz-Grotesk, deren Proportionen in den neueren
Schriften Helvetica, Univers und Folio grafisch etwas ausge¬
glichen wurden. Eric Gill ging mit seiner Sans Serif auf
die Proportionen der Renaissance-Antiqua zurück, nach¬
dem bereits 1916 Edward Johnston seine Inschriften
für die Londoner Untergrundbahn auf klassische Vorbilder
gestützt hatte. Zwischen diesen Möglichkeiten bewegen
sich auf engem Raum viele Variationen des zwanzigsten
Jahrhunderts. Auch die Steinschrift wird als schmale Gro tesk
dieser Hauptgruppe zugeordnet.
Schreibschriften (Skripten)
Die Typen der Schreibformen entsprechen der geschrie¬
benen lateinischen Kurrent. Ihre Formen sind weitgehend
abhängig vom Schreibwerkzeug. Mehr als alle anderen
Schriften sind sie dem Zeitgeist unterworfen und verraten
Empfinden und Temperament des Schreibers. Ihre grafi¬
schen Merkmale sind:
1. Schräglage
2. dynamisch vorwärtsdrängender Ausdruck.
Neue Schreibformen entstehen häufig aus der Hand¬
schrift und werden über die Kursiv an die Antiquaformen
weitergegeben. Umgekehrt veredeln und beeinflussen die
Antiqua- und Kursivschriften die Schreibformen. Die mei¬
sten Schriften dieser Art wollen als Werbeschriften auf¬
fallen. Sie finden als belebende Akzente ihren Platz in
Akzidenzen, in Zeitungen und Zeitschriften.
Wir können unterscheiden zwischen Schreibschriften,
die mit der spitzen Feder oder der Breitfeder, dem Spitz¬
oder Breitpinsel, dem Stift, der Kreide oder einem anderen
Instrument geschrieben sind.
Die gebrochenen Schriften (Frakturformen)
Die Gruppe der gebrochenen Schriften umfaßt die Textur
oder Gotisch, die Rotunda oder Rundgotisch, die Schwa-
bacher, die Fraktur und die Fraktur-Kurrent.
Die Gotisch fand ihre Ausprägung in der Textur Guten-
bergs und der anderen Wiegendrucker. Durch Caslon,
Fleischmann und den Klassizismus erfuhr sie eine ent¬
sprechende Umformung und erhielt feinere Zierstriche.
Das auffallende grafische Merkmal der gotischen Schrift ist
die konsequente Brechung der Striche der Kleinbuchstaben.
Die Rundgotisch entstand in der Frührenaissance als
Übergangsform der Gotisch zur Antiqua. Ihre Kleinbuch¬
staben sind teilweise gerundet. Das о ist oben rechts und
unten links gerundet, oben links und unten rechts behält es
die Brechung. Die Versalien nähern sich der Form der
Antiqua.
0 0O0
Gotisch Rundgotisch Schwabacher Fraktur
Abbildung 461
Die eigenwilligste der gebrochenen Schriften ist die
Schwabacher. Ihre Formen entstanden aus der gotischen
Kurrent und wurden zur Schrift der deutschen Früh¬
renaissance. Besonders in den Druckschriften des Bauern¬
krieges erlangte die Schwabacher große Beliebtheit. Das
kleine о hat spitze Ecken oben und unten und die Run¬
dungen rechts und links. Weitere Erkennungsbuchstaben
sind das g mit seinen gekreuzten Balken oben rechts und
der eigenartige Versal S.
Die Fraktur wird gelegentlich noch als deutsche Schrift
bezeichnet. Die Schwabacher wäre dies selbstverständlich
nicht weniger. Der Name Fraktur (die Gebrochene) ist
zwar im Verhältnis zur gotischen Schrift nicht richtig, denn
diese ist noch stärker gebrochen, aber ein Vergleich wird in
Zukunft viel eher mit der Antiqua erfolgen, und hier wird
die eingebürgerte Bezeichnung keine Verwechslungen zu¬
lassen. In der Zeit des Klassizismus änderte sich das Gesicht
der Frakturbuchstaben. Abbildung 462 zeigt die Stufen des
Übergangs zur klassizistischen Fraktur.
Das о der Fraktur ist auf der einen Seite gebrochen und
auf der anderen gerundet, die Oberlängen der Gemeinen
sind geschnäbelt. Die Versalien an den älteren Fraktur¬
schriften kann man an den typischen Elefantenrüsseln er¬
kennen. Während die Schwellung des Versals S in der
Luther- und Breitkopf-Fraktur die schräge Federhaltung er¬
kennen läßt, verschiebt sich durch die Einwirkung des
Stichels die Schwellung bei der Walbaum-Fraktur nach
unten und bei der Unger-Fraktur nach links.
Die Anwendungsgebiete der gebrochenen Schriften wur¬
den durch den Übergang zur Antiqua eingeschränkt. Als
Textschrift für entsprechende historische Romane und
Breitkopf-Fraktur Walbaum-Fraktur Unger-Fraktur
Abbildung 462
nn
AbbÜdung 463 Klassische Klassizistische
Fraktur Fraktur
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