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К. Das phönikische Kaph wurde zum griechischen Kap¬
pa. Bereits die archaische römische Schrift besaß das fertige
Grafem des К mit dem Lautwert k, es wurde aber nur vor
a und о sowie vor Konsonanten eingesetzt. In der Halb-
unziale und in der karolingischen Minuskel bildete der
senkrechte Schaft eine Oberlänge.
Das Grafem Kk ist eine Senkrechte, an dessen rechte Seite
ein Winkel angesetzt ist, dessen Schenkel nach rechts unten
und rechts oben weisen. Es entspricht dem Phonem k.
L. Das phönikische Lamedh besaß bereits ein dem Ver¬
sal L ähnliches Grafem, doch das griechische Lambda war
eher ein A ohne Querstrich und mußte beim Richtungs¬
wechsel der Schrift eine Drehung erfahren. In der jüngeren
römischen Kursiv wurde die Ecke des Winkels abgeschlif¬
fen, und die Senkrechte bildete sich zur Oberlänge.
Das Grafem Li ist eine Senkrechte mit einem unten nach
rechts gehenden Querstrich. Es entspricht dem Lautwert 1.
M. Manche Forscher führen die Genesis des M zurück
auf die ägyptische Hieroglyphe einer Eule (im Ägyptischen
Mulac). Aus der hieratischen Schrift hätten demnach die
Phöniker das vereinfachte Silbenzeichen mit dem Lautwert
mu übernommen und daraus ihr Mem gebildet, die Aus¬
gangsform wieder für das griechische My. Die Römer haben
diese Form ohne Änderungen übernommen. Durch das
schnelle Schreiben schliff sich die eckige Figur in der älteren
römischen Kursiv zu einer Wellenlinie ab und erhielt in
der Unziale eine symmetrische Form. In der jüngeren rö¬
mischen Kursiv wurde der linke Strich mit selbständigem
Ansatz als Abstrich eingeführt, der letzte Abstrich blieb
lange Zeit noch nach innen eingebogen.
Das Grafem Mm besteht aus drei oben verbundenen
Abstrichen und steht für den Laut m.
N. Aus dem phönikischen Nun wurde das griechische
Ny, dessen Form auch im archaischen Latein noch nicht
fixiert war. Erst etwa im vierten Jahrhundert v.u.Z. ist
die gegenwärtige Versalform gefunden worden. Durch das
schnelle Schreiben war die Minuskelform bereits in der
jüngeren römischen Kursiv geprägt, doch in der karolingi¬
schen Buchschrift wurde die Versalform noch lange, bis ins
elfte Jahrhundert, beibehalten.
Das Grafem Nn besteht aus einer Senkrechten, bei der
oben die Verbindung zu einer zweiten rechts folgenden
Senkrechten eingeleitet wird. Es besitzt den Lautwert n.
O. Dem phönikischen Konsonantenalphabet gehörten
einige Halbkonsonanten an, deren Grafeme bereits im
frühgeschichtlichen Alphabet für Vokale eingesetzt wur¬
den. Der Kreis (ajin) wurde für den Laut о übernommen,
und diese eindeutige Form hat alle Stilwandlungen der
Jahrtausende überstanden. Für den Umlaut ö setzte man
in der gotischen Kursiv ein kleines e über das o, später auch
einen oder zwei Punkte. Die anglonormannischen und die
nordischen Handschriften bezeichnen den Umlaut mit
einer durch den Kreis gehenden dünnen diagonalen Linie.
Der Kreis steht als Grafem für das Phonem o.
P. Die Beziehung des phönikischen Pe zum griechischen
Pi ist nicht leicht erkennbar, und die griechische Form des
Buchstabens hatte sich noch nicht gefestigt, als ihn die
Römer übernahmen. Im archaischen Latein war der Buch¬
stabe oben noch offen, erst an der Wende des zweiten zum
ersten Jahrhundert formte sich der oben angesetzte Bogen.
Der Schaft bildete später bei der Minuskelschrift eine
Unterlänge.
Das Grafem Pp ist eine Senkrechte mit einem oben
rechts angesetzten kleinen Halbkreis. Es bedeutet im
Lateinischen den Lautwert p (im Griechischen und Russi¬
schen r).
Q. Aus dem phönikischen Qoph wurde das griechische
Qoppa, das im klassischen griechischen Alphabet nicht
mehr verwendet wird. Die Römer übernahmen auch dieses
Zeichen für den Lautwert к und hatten damit mit С und
К drei Grafeme für ein Phonem. Das Q wurde allerdings
nur vor einem folgenden u eingesetzt. In der älteren römi¬
schen Kursiv wurde der Schwanz unter dem Kreis größer
und bildete sich in der Halbunziale und der karolingischen
Minuskel zur Unterlänge.
Das Grafem Qq ist eine kreisförmige Figur mit einem
Schwanz oder Abstrich unten oder rechts unten. Es gilt für
den Laut k, wird aber meist nur vor u eingesetzt.
R. Das phönikische Resch hatte eher die Form des latei¬
nischen P oder des griechischen Rho, das wie das russische
Phonem r ebenfalls dem Grafem p entspricht. Die west¬
lichen Kolonien der Phöniker besaßen jedoch eine R-Form,
bei welcher der rechte Abstrich deutlich ausgebildet war,
und deshalb könnte unser Grafem von dort übernommen
worden sein. Etwa im dritten Jahrhundert v.u.Z. war die
heutige Versalform konventionalisiert. In der älteren und
jüngeren Kursiv wurden Halbkreis und rechter Abstrich
immer mehr aufgerichtet, und in der karolingischen Mi¬
nuskel wirkt dieser obere gewellte Querstrich sperrig breit.
Der senkrechte Schaft hatte vorübergehend eine leichte
Unterlänge. Etwa im dreizehnten Jahrhundert war auch
die Minuskelform stabilisiert. Seit der Zeit Karls des
Grossen wurde noch eine zweite r-Form differenziert,
das gekrümmte oder runde r, das aus der früheren Ligatur
OR stammte und den linken Schaft eliminierte. Diese
Form wurde erst nur nach о und später in den gebrochenen
Schriften allgemein nach gerundeten Buchstaben ver¬
wendet.
Das Grafem Rr ist in der Versalform eine Senkrechte,
von deren Spitze ein Halbkreis und ein schräger Abstrich
nach rechts führen, in der Minuskelform rührt von der
Spitze der Senkrechten eine Zunge oder ein kurzer Strich
mit einem Punkt nach rechts. Das Grafem Rr steht für den
Laut r.
S. Das griechische Sigma wird auf einen phönikischen
Buchstaben Schin mit dem Lautwert seh zurückgeführt. In
den griechischen Kolonien in Süditalien findet sich bereits
eine S-Form in der Figur eines stilisierten Blitzes. Etwa
im vierten Jahrhundert v. u.Z. bildete sich die gegenwär¬
tige Versalform. Durch schnelles Schreiben verlängerte
sich diese klassische Form immer mehr, und in der jünge¬
ren römischen Kursiv war bereits die lange Minuskelform
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