in Frankfurt a. Main in kurzer Folge die Palatino, eine aus
dem Schreiben entstandene Antiqua im Renaissance-
Charakter, die als Aldus-Buchschrift auf die Linotype über¬
tragen wurde. Zur selben Familie gehören die beiden Vcr-
salalphabete Michelangelo und Sistina, deren edle Proportio¬
nen ästhetischen Genuß bereiten können. Bei Stempel und
bei der Linotype wurde 1958 und i960 die Optima, eine
serifenlose Antiqua, herausgebracht, die in dieser Art einen
Höhepunkt darstellt.
In der DDR sind als Schriften twerfer vor allem Herbert
Thannhaeuser (f) und Hellmuth Tschörtner be¬
kannt. Von Herbert Thannhaeuser erschienen eine ganze
Reihe Schriften, von denen die Liberta mit ihren zehn Gar¬
nituren und die Magna eine Hervorhebung verdienen. Die
Tsc/tört?ier-Antigua und -Kursiv, eine Variation der Renais¬
sance-Antiqua, wird bevorzugt für Belletristik eingesetzt.
Es würde wahrscheinlich zu weit gehen, wenn ich alle in
diesem Buch abgebildeten Satzschriften einzeln kommen¬
tieren würde, für den Leser und Schriftkenner wird die
eigene Betrachtung und der Vergleich mit anderen ähn¬
lichen Schriften nützlicher sein.
Rückblickend erscheint die Periode seit William Mor¬
ris wie eine neue große Renaissance der Schriftkunst. Zum
einen wurden neue Leserschichten an das Buch herange¬
führt, und ein breites Interesse an Bildung und Literatur
war die Voraussetzung für Spitzenleistungen der Buch- und
Schriftkunst. Zum andern erkannte die kapitalistische
Warenwerbung die Bedeutung origineller und schöner
Schriften für den Werbeerfolg. Und der große Bedarf an
Schriften war den Gießereien ein Anlaß, Künstler zu Rate
zu ziehen.
Abbildung 365 Frakturkursiv von Hermann Zapf
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Die ersten Jahrzehnte waren die Zeit der großen Pio¬
niere der Schriftkunst. Es gab mutige Vorstöße in Neu¬
land, an den neuen Aufgaben wuchsen die Besten und sam¬
melten ihre Erfahrungen. Die nächste Generation erhielt
meistens bereits eine solide kalligrafische Ausbildung.
Das Kapitel über die «Renaissance der Kalligrafie» berichtet
über diese Bewegung, aus der viele Typenentwerfer ka¬
men. Die meisten sahen im Entwerfen einer eigenen Satz¬
schrift die erwünschte Gelegenheit, ihre eigenen künst¬
lerischen Vorstellungen zu demonstrieren.
Doch etwa seit der Jahrhundertmitte weicht dieBegeiste-
rung für neue Satzschriften einer nüchternen Einschätzung.
Fast alle sogenannten Künstlerschriften mit individuellem
Ausdruck werden kaum noch verwendet, während die
besten Repliken klassischer Formen und gute neutrale
Schriften gültig bleiben. Brot- oder Leseschriften rechtfer¬
tigen sich nur noch, wenn sie gleichzeitig auf der Setz¬
maschine vorhanden sind. Die Entwicklung von Maschinen¬
satzschriften erfordert jedoch einen wesentlich höheren
materiellen Einsatz, und bei Lichtsatzmaschinen ist der
voraussehbare Absatz äußerst beschränkt, weil kaum ein
Verschleiß eintritt. Dem starken Rückgang an neuen Ent¬
wicklungen in den westlichen Ländern steht ein Nachhole¬
bedarf der sozialistischen Länder gegenüber, die gegen¬
wärtig durch Schriftwettbewerbe schneller zu guten neuen
Schriften kommen wollen.
Ein anderes Kennzeichen der letzten Jahrzehnte ist eine
nahezu wissenschaftliche Planung der Neuentwicklungen.
Psychologen und Physiologen werden über die Probleme
der Lesbarkeit zu Rate gezogen. Es wird notwendig, in die
Anatomie der lateinischen Buchstaben einzudringen.
Abbildung 366 Freie Schriftformen in einem Plakat von Pierre Bonnard. 1894 2.15