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Abbildung 353 Eckmann-Schrift
Wie fich in der Architektur ein vollerSchein
des ganzenWogens einer Zeit und äußeren
Lebens eines Volkes widerspiegelt, fo deu¬
tet die Schrift Zeichen inneren Wollens, fie
verrät von Stolz und Demut,vonZuverficht
und Zweifel der Gefchlechter. BEHRENS
Abbildung 354 Behrens-Antiqua
N DEN WASSERN
iZU BABEL SASSEN
WIR,UNDWEINE-
TEHWENNWIRAN
ZION GEDÄCHTEN
Abbildung 355 Ehmcke-Rustika und Initial
maßvoll und zuchtvoll eingesetzt sind und eine fast klas¬
sische Form entstehen ließen.
Auch in Deutschland wurde durch die Ideen von Mor¬
ris, die zu einem wesentlichen Teil auch von dem belgi¬
schen Architekten Henry van de Velde verbreitet wur¬
den, eine Erneuerung der Schriftkunst eingeleitet. Bereits
seit der Münchner Kunstausstellung im Jahre 1876 zeigten
sich Reformbestrebungen verschiedener Künstler. Der
Münchner Verleger Georg Hirth schrieb 1884, man
müsse «über den unförmigen Moloch der Stil- und Ge¬
schmacklosigkeit Herr werden».35 Wie in England und den
USA wurden auch in Deutschland eine Reihe Privatpressen
gegründet, als erste 1907 die Januspresse von Carl Ernst
Poeschel und Walter Tiemann in Leipzig, später die
Rupprecht-Presse und die Bremer Presse in München,
schließlich die überragende Cranach-Presse des Harry
Graf Kessler und verschiedene andere. Für diese Pres¬
sen entstanden verschiedene schöne Schriften; Kessler
beauftragte erst Morris'Freund Emery Walker mit der
Zeichnung einer Replik der Jenson-Antiqua und später
Edward Johnston mit dem Entwurf einer Kursiv, einer
Gotico-Antiqua und einer griechischen Unziale. Die Bre¬
mer Presse druckte mit der sehr schönen Schrift in der Art
einer frei geschriebenen Renaissance-Antiqua von Willy
Wieg and und verwendete prachtvolle Initialen von Anna
Simons.
Auf diese Künstlerin gehen andere, vielleich noch wich¬
tigere Anregungen für das deutsche Schriftschaffen zurück.
Als Peter Behrens 1903 die Leitung der Düsseldor¬
fer Kunstgewerbeschule übernommen hatte, bat er erst
Edward Johnston um die Durchführung von Schreib¬
kursen, doch Johnston vermittelte seine Schülerin und
Übersetzerin Anna Simons, die dann in aller Stille für das
eingehende Studium der besten Schriften früherer Epochen
und den schöpferischen Wert des handwerklichen Schrei¬
bens wirkte. Peter Behrens, E.R.Weiss und Fritz
Helmut Ehmcke trugen ihre Erfahrungen weiter.
Auch die Impulse des Wiener Schriftpädagogen Rudolf
von Larisch, der den ornamentalen Wert des Schrei¬
bens hervorhob, waren nicht ohne Bedeutung für die deut¬
sche Schriftkunst vor und nach dem ersten Weltkrieg. Und
die deutschen Schriftgießereien förderten die Versuche der
sogenannten Künstlerschriften, die allerdings wegen ihres
betont persönlichen Ausdrucks nur für eine kurze Zeit¬
spanne erfolgreich waren.
Auf Anregung des Offenbacher Schriftgießers Karl
Klings por zeichnete der Maler Ott о Eckmann (1865 bis
1902) eine Antiqua-Pinselschrift, die im Jahre 1900 heraus¬
kam und gegenüber dem Schwulst des Eklektizismus et¬
was völlig Neues war. Eckmann hatte sich von den Pinsel¬
zeichnungen der Japaner, auch von Beardsley und Mor¬
ris beeinflussen lassen, aber nicht wie Morris eine histo¬
rische Form nachgeahmt. Die Eckmann-Schrift wurde ihrer
kräftigen Wirkung wegen in Reklamedrucksachen und als
Auszeichnungsschrift gerne verwendet, aber als Werk¬
schrift konnte sie sich ihrer betonten Originalität wegen
nicht durchsetzen.
Peter Behrens (1868 bis 1940) war Architekt, Maler
und Schriftzeichner. Wenn man bei der Eckmann-Schrift
von einem malerischen Einfluß sprechen konnte, so bei den
Behrensschriften eher von einem Einfluß der Architektur.
In seiner Antiqua, die 1908 geschnitten wurde, versucht
Behrens das Problem des Gegensatzes der gezeichneten
Versalien und geschriebenen Kleinbuchstaben durch einen
einheitlich angewandten Federzug zu lösen. Er kommt bei
dieser Synthese gelegentlich auf Figuren der Schrift, die
zwischen der römischen Kapitale und der karolingischen
Minuskel die Verbindung schuf, der Unziale. Behrens be¬
tonte den fließenden Rhythmus des Schreibens und Lesens :
«Man nimmt eine Schrift beim Lesen wahr wie den Flug
eines Vogels oder den Galopp eines Pferdes. Beides ist eine
graziöse, wohltuende Erscheinung, ohne daß man die ein-
35 Aus einem Brief von Hirth, abgedruckt in dem Aufsatz von Anne¬
marie Meiner: Die Münchener Renaissance. In: Gutenberg-Jahr¬
buch 1935. Seite 315.
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zelnen Gliedmaßen der Tiere oder die momentanen Stel¬
lungen erkennt. Es ist die Gesamtlinie, und diese ist auch
das Wesentliche bei der Schrift.»30 Die Frage, ob die Antiqua
oder die Fraktur die der deutschen Sprache gemäßere
Schrift sei, bewegte damals viele Gemüter. Entschieden
wandte man sich gegen eine administrative Regelung, die
nach einer Debatte im deutschen Reichstag geplant war.
Vorübergehend glaubte man die Lösung in einer Bastard¬
form zu finden. Eugen Diederichs meint 1911: «Aus
dem Gefühl für das organisch Gewordene und dem Ver¬
ständnis, welche künstlerischen Werte in der deutschen
Schrift, speziell in der Barockschrift, liegen, bin ich sehr da¬
für, die Entwicklung, die vielleicht auf eine Bastardform
beider Schriften hinausgeht, nicht bürokratisch-intellek¬
tuell zu unterbinden... Auch möchte ich einen solchen
Schritt als eine Vergewaltigung bezeichnen, der keineFort-
bildung ist, sondern nur die Verbindung zum Vergangenen
aufhebt, anstatt das Vergangene weiter zu entwickeln.»37
Trotz solcher Versuche einer Synthese sind die Eigenarten
beider Schriftarten in den folgenden Jahren eher noch mehr
hervorgehoben worden.
Zu den Pionieren der neueren deutschen Buchkunst muß
auchFRiTzHELMurEHMCKEgezähltwerden. Zusammen
mit Kleukens und Belwe gründete Ehmcke im Jahre
1900 die Steglitzer Werkstatt und druckte mit beschränk¬
ten, rein handwerklichen Mitteln gute, geschmackvolle
Akzidenzen. Seine Schriften - bekannt sind die Ehmcke-
Anliqua und die Ehmcke-Mediäval - entstanden aus der ge¬
schriebenen Form. Durch die von ihm 1913 gegründete
Rupprcchtpresse, seine künstlerischen und theoretischen
Arbeiten und seine Lehrtätigkeit übte er großen Einfluß
auf eine ganze Generation deutscher Schrift- und Buch¬
künstler aus.
Rudolf Koch (1876 bis 1934) wurde als Meister der ge¬
brochenen Schriften bekannt. Seine christliche Weltan¬
schauung war Wurzel und Inhalt seines Schaffens, und sein
Ziel war, eine der Bibel entsprechende Schrift zu finden.
Beim Schreiben mit der Breitfeder, aus dem die meisten
Schriften Kochs erwuchsen, beachtet und nützt er den
Gegensatz zwischen den verbindenden ornamentalen Fi¬
guren m, n, u, i und den komplizierten, die mit ihren
Ober- und Unterlängen die Lesbarkeit bedingen, b, d, g,
p, q usw. Nacheinander entstanden von 1906 bis 1914 die
kräftige Deutsche Kochschrift, die zarte Frühling und die
Maximilian. Nach dem Kriege entwarf er die Koch-Antiqua,
die Marathon, die Klingsporschrift, die Wallau, die Kabel und
die Claudius. Aus dem Versuch, Versalien durch Punzen¬
einschläge aus dem Metall heraus zu formen, entstand die
Neuland, und anschließend schnitt der Künstler die Peter-Jes¬
sen-Schrift, die von ihm lange geplante Bibel-Gotisch.
36 Behrens, Peter: Von der Entwicklung der Schrift. Schriftprobe
der Rudhardschen Schriftgießerei. Offenbach 1902.
37 OsciiiLEWSKi, Walther G.: Eugen Diederichs. In: Imprimatur
IX, 1940.
38 Tiemann, Walter. Aus einer Zitatensammlung des Archivs für
Buchgewerbe und Gebrauchsgraphik. 1934. Heft 6.
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Abbildung 356 Fette Fraktur von Rudolf Koch
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Abbildung 357 Deutsche Kurrent von Rudolf Koch
Aus hoher Verantwortlichkeil vor der Schrifttradition
ging der Kunsterzieher und Buchkünstler Walter Tie¬
mann (1876 bis 1951) an seine Arbeit. «Es ist der Qualitäts¬
gedanke, der im kleinsten Bezirke wirkend, auch die
schlichteste, dem einfachen Gebrauch dienende Sache zu
einer Vollkommenheit zu bringen vermag, die letzten
Endes das sichtbare Zeichen des kulturellen und zivilisa¬
torischen Niveaus eines Volkes ausmacht. Denn nicht nur
das Genie, der Außergewöhnliche, ist der Träger des Grals¬
bechers der Kultur, sondern die Summe ungezählter Ein¬
zelleistungen von handwerklicher, technischer und ge¬
schmacklicher Qualität gibt einem Volke das Gesicht seiner
kulturellen Höhe.»38 Im Gegensatz zum Schreiber Rudolf
Koch entwirft er überlegend und abwägend seine Figuren
mit dem Zeichenstift. Von seinen über zwanzig Schriften
möchte ich wenigstens die Kleist-Fraktur, die Ticmann-An-
tiqua und die Antiqua Offizin nennen.
Auch E.R.Weiss (1875 bis 1942) war Maler und kam
durch seine Freundschaft mit dem bekannten Verleger
Eugen Diederichs zur Buchkunst. An seiner Weiß-An¬
tiqua, die er bei der Bauerschen Gießerei herausbrachte,
arbeitete er von 1906 bis 1928, doch für diese prächtige
Antiqua-Familie mit ihren drei Kapital-Alphabeten und
ihrer anmutigen Kursiv rechtfertigte sich jeder Arbeits¬
aufwand. Weiss, der Klassiker seiner Generation, schrieb
im Begleittext zu seiner Weiß-An tiqua: «Ich wünsche uns,
daß man sieht und versucht, daß diese Schriften sich gut
einfügen in die unzerstörbare Tradition der Buchstaben¬
formen und daß sie doch von heute sind, wie ja jede Gene¬
ration die alten Formen verwandelt, wie es ihr gemäß ist,
Vergleiche die Abbildungen auf den Seiten 200 und 221
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