PRINZIPIEN DES
ERFOLGES
о
PHILOSOPHISCHE STUDIE
UBER DIE MEISTERWERKE
DER LITERATUR UND DER
BILDENDEN KÜNSTE ѴОП
HERMANN REINICKE
Ф
VERLAG VON RICHARD WILDENHEIM
BRAUNSCHWEIG 1907
IWtt filile gute Literatur beruht in erster Linie
W A ul auf klarer Einsicht ; alle minderwertige
П wn Literatur beruht auf unvollkommener
w 1 Einsicht oder auf Nachahmung, welche
у VI als Sehen aus zweiter Hand definiert
werden kann. Es gibt Männer von klarer Ein¬
sicht, die nie Autoren werden: einige, weil keine
genügende Anreizung von innen oder außen
ihre Energie der Aufgabe zuwendet, ihren Ge¬
danken literarischen Ausdruck zu geben ; einige,
weil ihnen die entsprechenden Fähigkeiten zu
literarischem Ausdruck mangeln. Aber niemand,
seine Ausdrucksweise sei noch so glücklich und
leicht, bringt jemals gute Literatur hervor, wenn
er nicht für sich selbst sieht und klar sieht. Das
ist ja gerade der Anspruch und die Absicht der
Literatur, anderen das zu zeigen, was sie nicht
sehen konnten ; wenn man nun das für sich selbst
nicht klar sieht, wie kann man es ändern zeigen?
Die Literatur bringt Nachrichten von der Welt
drinnen und von der Welt draußen. Sie erzählt
von den Tatsachen, die beobachtet wurden und
gibt Gefühle wieder, die empfunden wurden;
sie unterbreitet dem Leser Symbole, welche die
fehlenden Tatsachen veranschaulichen oder die
Beziehungen dieser zu ändern Tatsachen, und
entzündet durch die lebendige Darstellung der
Symbole der Bewegung die bewegende Sympatie
Initial aus Serie 5ѲѲ
Geschützte Erzeugnisse
26 Hermann Meinidce
Prinzip der klaren Einsicht 27
Beobachter selbst sprechen, sonst werben nur
Gerüchte in Umlauf gesetzt. Wenn man noch nie
eine Sâuré mit einer Basis sich verbinden sah, so
kann man mir auch nicht belehrend von Salzen
sprechen, und das ist natürlich in höherm Maße
der Fall in Bezug auf verwickeltere Materien.
PRINZIP DER KLAREN EINSICHT
¡TSj^ersönliche Erfahrung ist das Fundament
Б Wm aller editen Literatur. Der Schriftsteller
В muß öie Gedanken gedacht, die Gegen-
V ШМ stände gesehen, die Gefühle empfunden
haben ; andernfalls kann er keine Gewalt über
uns besitzen. Die Bedeutung hängt nicht so sehr
von der Seltenheit als von der Authentizität ab.
Die Niedermetzelung eines wilden Volkstammes,
die wir aus dem Bericht anderer erfahren, bleibt
an herzerschütternder Wirkung sehr weit zurück
hinter einem Mord, der in unserm Beisein ver¬
übt wurde. Unser Mitgefühl für das unbekannte
Opfer mag ursprünglich ebenso träge gewesen
sein als das für den unbekannten Stamm ; aber
es ist angefeuert worden durch die rasche und
lebhafte Eingebung von Einzelheiten, die uns
als Zuschauern sichtbar sind, während eine sehr
starke und angestrengte Phantasie erforderlich
ist, um alle die entzündenden Andeutungen des
fernen Gemetzels heraufzubeschwören. So wenig
würdigen die Schriftsteller die Wichtigkeit der
direkten Vision und Erfahrung, daß sie meistens
über das, was sie selbst gesehen und gefühlt
haben, schweigsam, im Berichten der Erfahrung
Initial aus Serie 600
anderer aber weitläufig sind ; sie werden sogar
heftig angetrieben zu sagen, was, wie sie wissen,
andere denken und was man folglich erwarten
kann, daß sie selbst denken sollten. Sie sind
gleichsam entsetzt über die eigene Individualität
und unterdrücken alle Spuren derselben, um den
vorherrschenden Ton zu erhaschen. Solche Leute
können sehr wohl im gewöhnlichen literarischen
Austausch von Nutzen sein: Alles, was ich hier
anzudeuten habe, ist, daß sie Verteiler, und nicht
Produzenten sind. Dem Handel mag mit Bericht¬
erstattern vom Hörensagen ebensowohl gedient
sein, als mit Augenzeugen; wir müssen einsehen,
daß dieser Dienst kommerziell, nicht literarisch
ist. Der gemeinsame Schatz des Wissens gewinnt
nichts von ihnen. Der Mann, welcher eine neue
Tatsache, neue Eigenschaften in einer bekannten
Substanz entdeckt, trägt zum Wissen des Zeit¬
alters bei; der Mann aber, welcher das System
des Universums auf die Berichte anderer hin er¬
läutert und nicht beleuchtet durch neue eigene
Auffassungen, fügt dem gemeinsamen Vorrat
kein Gran bei. Die großen Schriftsteller können
alle an ihrer Sorge um Authentizität erkannt
werden. Ein gewöhnlicher Vorfall, eine einfache
Erscheinung, die ein Bruchteil in ihrer Erfahrung
gewesen ist, erfährt oft eine Verklärung in ihren
Seelen und geht aus ihnen in Kunstform hervor,
während viele weltbewegende Ereignisse, wobei
sie nicht mitgewirkt haben, oder majestätische
Naturerscheinungen, die sie nie mit angesehen
haben, von ihnen der skrupellosen Unfähigkeit
J. G. Scheiter & Giesecke, Schriftgießerei, Leipzig
17284. Nonpareille Schelter-Antiqua No. 24
Oben mit 1 Punkt durchschossen
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TYPOGRAPHISCHE MONATSSCHRIFT
8. Heft
sowohl als auch in òemotischer unö altgriechischer Schrift
enthalten waren. Nach Beenbigung öes mit allseitigem
Beifall entgegengenommenen sehr interessanten Vortrags
wuròe òer Projektionsapparat noch zur Vorführung farbiger
Drucke verwenöet, welche vermöge ber Eigenart ber Kon¬
struktion bes Apparates ohne Anwenbung eines Diapositivs
burch birekte Spiegelung in ihren Originalfarben vergrößert
an öie Wanbfläche geworfen würben. Am Sonntag ben
2. Juli hatte bie Gesellschaft Gelegenheit, bas chemische
Museum in ber Technischen Hochschule zu Charlottenburg
zu besichtigen. Die Führung hatte in liebenswiirbiger
Weise ber Leiter bes technisch-chemischen Laboratoriums,
Herr Geheimrat Prof. Dr. Witt selbst übernommen, ber ben
Mitgliebern lehrreiche Erläuterungen zu ber umfangreichen
ausgestellten Sammlung gab, welche bie beutsche chemische
Inbustrie auf ber Pariser Weltausstellung im Jahre 1900
repräsentiert hatte unb später bem preußischen Staate ge¬
schenksweise überwiesen würbe. Neben ben aus früher wert¬
los gehaltenen Abraumsalzen gewonnenen Probukten, ben
flüssigen unb festen Erzeugnissen aus Kalisalzen waren
es fast ausschließlich bie kaum zählenben Stoffe, Farben
unb Farbennuancen, welche aus ber Steinkohle hergestellt
werben, bie bas lebhafte Interesse ber Besucher erweckten.
Der Vortragenbe bemerkte hierzu unb insbesonbere in
bezug auf bie Farben, baß bie künstlich erzeugten Stoffe,
wie z. B. Krapp unb Inbigo, keineswegs geringwertiger
seien als bie auf natürlichem Wege gewonnenen. Auf eine
Anfrage aus ber Mitte ber Herren erklärte Prof. Witt, baß
bie Doppeltonfarben in ber Weise hergestellt würben, baß
entweber ber Firnis gefärbt sei unb bann beim Druck ben
Doppeltori erzeuge, ober baß bem Pigment ber Farbe ein
Farbstoff zugesetzt werbe, ber sich in Firnis leicht auflöse.
Der automatische Bogenanleger an Òen Winòsbrautpressen
Es ist bei ben außerorbentlich verschiebenartigen An-
forberungen, welche in bezug auf Geschwinbigkeit, Papier¬
größe unb Papierbeschaffenheit an einen Anlegeapparat
gestellt werben, nicht zu erwarten, baß berselbe für bie
verschiebenen Arbeiten keiner Einstellung bebürfte. Der
Apparat muß vielmehr für bie verschiebenen Zwecke ent-
sprechenb eingestellt werben unb bafür lassen sich starre
unb mechanisch zu befolgenbe Regeln nicht aufstellen, es
gehört hierzu eine gewisse selbstänöige Erfahrung, welche
nur auf Grunb eigener Beobachtung gewonnen werben kann.
Die Praxis hat aber gelehrt, baß biese Erfahrung bei bem
nötigen Interesse an ber Sache unb bei richtigem Nachbenken
in ganz kurzer Zeitbauer so gefestigt wirb, baß baburch
ber Anlegeapparat in ber Hanb bes Maschinenmeisters zum
sicheren unb zuverlässigen Werkzeuge wirb. Daher ist für
ben Maschinenkonstrukteur bie Aufgabe als erfüllt zu be¬
trachten, wenn bie Konstruktion bie Möglichkeit gewährt,
bem Apparat mit wenigen Hanbgriffen jebe erforberliche
bezw. gewünschte Einstellung zu erteilen, unb bas biirfte
beim „Universal“ im weitestgehenben Maße ber Fall sein.
Selbstverstänblich wirb jeber Apparat, ehe berselbe unsere
Werkstätte verläßt, mit verschiebenen Papiersorten öurch-
probiert unb erhält nach bestanbener Probe eine für eine
mittlere Papierstärke geeignete Einstellung, mit welcher ber¬
selbe auch zum Versanb gelangt. Bei ber Arbeitsweise bes
„Universal“ lassen sich zwei Perioben unterscheiben, näm¬
lich erstens bas Trennen bes obersten Bogens vom Stapel
unb zweitens bas Vorbeförbern besselben an bie Vorber-
marken. Für bie erste Periobe, bas Trennen, Ansaugen unb
Abheben bes obersten Bogens lassen sich im allgemeinen
etwa bie nachstehenben Leitsätze aufstellen: je leichter bas
Papier ist, besto schwächer muß ber Luftstrom ber Bläser
sein, bie vor bem Bogenstapel liegen, besto geringer muß
bas in ber Saugerstange herrschenbe Vakuum sein, besto
weniger fest bürfen bie Sauger beim Erfassen eines Bogens
aufliegen, besto größer muß bie Kippbewegung ber Sauger¬
stange sein. Umgekehrt : je schwerer bas Papier, besto stärker
ber Druckluftstrom, besto stärker bie Saugwirkung, besto
festeres Aufsetzen ber Saugerstange, besto geringere Kipp¬
bewegung. In bem richtigen Hanbinhanbarbeiten ber vier
Faktoren: Stärke bes Druckluftstromes, Stärke ber Saug¬
wirkung, also bes Vakuums in ber Saugerstange, Stellung ber
Saugerstange, Größe her Kippbewegung, liegt bas ganze Ge¬
lingen ber Aufgabe, baß jeberzeit, selbst nach langer Betriebs¬
bauer nur ein Bogen erfaßt unb wegtransportiert wirb, ohne
baß hierburch allmählich bie barunter liegenben Bogen ver¬
schoben werben. Die Einstellung bieser einzelnen Tätigkeiten
bieses Apparates geschieht in f olgenber Weise : a) Einstellung
ber Stärke bes Druckluftstromes. Der Druckluftstrom wirb
erzielt, wenn ber Pumpenkolben sich von unten nach oben
bewegt. Die Stärke bes nun über bem Kolben entstehenben
Druckes wirb bemnach burch vollstänbiges Schließen ober
teilweises Offnen ber kleinen auf bem Kolbenbeckel sitzen-
ben vernickelten Ventile reguliert. Je mehr Luft aus biesen
Ventilen entweicht, besto geringer ist ber von ben Bläsern
J. G. Scheiter & Giesecke, Schriftgießerei, Leipzig * R~S
aus zur Wirkung kommenbe Luftbruck. Eine weitere Regu¬
lierung bieser Blaswirkung läßt sich nun an ben Bläsern selbst
vornehmen, ba jebe ber einzelnen Blasöffnungen, mit Aus¬
nahme ber mittleren, höher liegenben, burch einen konisch
eingeschliffenen Hahn ganz ober auch teilweise verschlossen
werben kann. Beim Beginn bes Druckes stelle man ben An¬
legetisch so ein, baß bei schwerem Papier ber oberste Bogen
ungefähr in gleicher Höhe mit bem horizontalen Teile bes
T-förmigen Schlitzes ber regulierbaren Bläseröffnung liegt;
je leichter bas Papier ist, besto tiefer muß ber jeweils oberste
Bogen liegen. Währenb ber Arbeit bes Anlegeapparates wirb
ber Bogenstapel burch bie fortwährenb eingeblasene Luft
gelockert, woburch bie obersten Bogen immer höher zu liegen
kommen, sie bürfen aber nicht so hoch kommen, baß sie über
bie Bläserkörper hinwegreichen, öamit nicht mit bem von ber
Saugerstange fortgenommenen obersten Bogen noch weitere
barunter liegenbe Bogen nachrutschen unb so zu Störungen
Veranlassung geben. Dann muß eben in ber angegebenen
Weise bie Stärke bes Druckluftstromes verringert werben,
bis zwischen bieser unb bem Papiergewichte ein Gleichge-
wichtszustanb herrscht, berart, baß ber jeweils oberste Bogen
immer nahezu bieselbe Stellung hat. Es wirb hierbei zweck¬
mäßig, besonbers bei sehr breiten Papierformaten bie Re¬
gulierung ber Bläser so vorgenommen, baß bie am weitesten
nach außen liegenben Blasöffnungen mehr gebrosselt werben,
als bie nach ber Mitte zu liegenben, so baß ber Papierstoß
nach unb nach in ber Mitte eine schwache Wölbung erfährt.
Glaubt man nun in bezug auf bie Stärke unb Verteilung bes
Druckluftstromes bas Richtige getroffen zu haben, so wirb
bie automatische Hubbewegung bes Tisches je nach Stärke
bes Papieres eingestellt. Es geschieht in ber Weise, baß bie
Zugstange für bie Betätigung bes rechts am Anlegetische be-
finblichen Sperrhebels auf bie ber jeweiligen Papierstärke
entsprechende Stelle eingestellt wirb. Um bas Auffinben ber
richtigen Einstellung zu erleichtern, ist bie obere Fläche bes
langen, geschlitzten Teiles bieses Sperrhebels mit einer Skala
versehen, beren Ziffern bie Höhe eines halben Rieses bes
jeweils zu verarbeitenben Papieres in Millimetern gemessen
bebeuten. b) Einstellung ber Stärke ber Saugwirkung ber
Saugerstange. Je schwerer ber anzulegenbe Bogen ist, besto
kräftiger muß bie Saugwirkung sein. Um biese einstellen zu
können, befinbet sich am unteren Enbe ber Luftpumpe ein
Ventilgehäuse, welches auf einer Seite burch eine mittelst
Gegenmutter gesicherte unö geränberte Stellschraube ver¬
schlossen ist. Diese Stellschraube betätigt ein unter Feber-
örudc stehenbes Uberbruckventil berart, baß bessen Feber
um so stärker gespannt wirb, bas Vakuum also um so größer
wirb, je weiter öie Schraube in ben Ventilkörper hineinge-
breht wirb. Die Einstellung ber für ben vorliegenben Fall
gerabe richtigen Saugwirkung ist viel weniger wichtig unb
viel weniger empfinölich als öie Druckluftwirkung, immerhin
gibt bei sehr bünnen ober porösen Papieren eine zu starke
Saugwirkung öfters bie Veranlassung öazu, baß zwei Bogen
auf einmal erfaßt werben. Eine Verminberung ber Saug¬
wirkung auf bas gerabe ausreichenbe Maß trägt außerbem zur
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