50 Das amerikanische Fabrikationssystem in der Schriftgießerei 51
Die Berichte über die Weltausstellung zu Philadelphia haben
seiner Zeit bei uns in Deutschland das Tagesgespräch gebil¬
det, und namentlich war es die scharfe Kritik über die deut¬
sche Industrie seitens des Herrn Geh. Rat Reuleaux, welche
einen Sturm von Entgegnungen hervorrief und die Gemüter
zu ziemlich heftigem Meinungsaustausch erregte. — Können
wir nun hier auch nicht weiter erwägen, in wieweit der aus¬
gesprochene Tadel mit Bezug auf die übrigen Zweige der
deutschen Industrie begründet ist, und fühlen wir uns auch
nicht berufen, ein Urteil über den Fortschritt unserer deut¬
schen Industriellen im Allgemeinen in Vergleich zu dem der
amerikanischen Gewerbetreibenden zu fällen, obgleich wir
die Vorzüge der amerikanischen Industrie in ihrem vollen
Umfange anzuerkennen Gelegenheit hatten, so erklären wir
uns mit dem Gutachten des Herrn Geh. Rat Reuleaux über
Schriftgießerei ganz einverstanden. Was die geschmackvolle
Zeichnung und den Schnitt der Schriften anlangt, so dürften
wir den Amerikanern wohl in keiner Weise nachstehcn ; da¬
gegen ließ die technische Herstellung der Typen, die Akku¬
ratesse und Widerstandsfähigkeit bei uns bis vor Kurzem noch
Verschiedenes zu wünschen übrig. Es wird gewiß Mancher
milder urteilen, wenn er die Übelstände kennt, mit denen
eine deutsche Schriftgießerei hinsichtlich der technischen An¬
fertigung der Schriften zu kämpfen hat, und die Hindernisse
berücksichtigt, welche der Vervollkommnung unserer Maschi¬
nen und Instrumente entgegen gestanden haben und größten¬
teils noch im Wege stehen. Wir meinen vornehmlich die ver¬
schiedenen Höhen und Kegel der Schriften, wie sie in den
verschiedenen deutschen Druckereien eingeführt sind. Es
würde uns zu weit führen, zurückgreifen und ermitteln zu
wollen, welchen Umständen wir eigentlich die den Fortschritt
schon so lange hemmenden Verhältnisse in den deutschen
Buchdruckereien Schuld zu geben haben ; jedenfalls aber ist
ein wesentlicher Grund darin zu sehen, daß die Druckereien
früher größtenteils ihre eigenen Hausgießereien besaßen und
sich wenig um die Höhen und Kegel anderer Fachgeschäfte
zu sorgen hatten. Später, als der Aufschwung des Druck¬
gewerbes und der Schriftgießerei eine Trennung beider her¬
beiführte, haben wohl die geringen Verkehrsmittel in Ver¬
bindung mit den einschränkenden Gewerbeordnungen und
Gesetzen, welche den Wirkungskreis der einzelnen Schrift¬
gießereien ziemlich eng begrenzten, viel mit dazu beigetragen,
dieses Chaos von Systemen entstehen zu lassen. Wie ganz
anders was es hingegen in denVereinigten Staaten von Amerika
Perl Antiqua 20 mit 1 Punkt durchschossen
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Die amerikanische Industrie, welche bei Beginn dieses
Jahrhunderts sich zu entfalten und ihren Bedarf durch
eigene Fabrikation zu decken anfing, benutzte natürlich
die in Europa gemachten Erfahrungen. So auch die Schrift¬
gießerei. Die Ungleichmäßigkeit der fast ausschließlich
importierten Schriften verschwand bald und machte einem
von dem als Erfinder der Gießmaschine rühmlichst be¬
kannten und genialen Schriftgießer, David Bruce, einge¬
führten Systeme nach und nach Platz. Bruce’s Schrifthöhe
ist jetzt überall in den Vereinigten Staaten eingeführt,
während bezüglich des Kegels, außer Bruce’s, noch zwei
verschiedene Systeme vorhanden sind. Es ist gar keine
Frage, daß die eben erwähnten günstigen Verhältnisse in
den Vereinigten Staaten von Nordamerika sehr viel dazu
beigetragen haben, den Erfindungsgeist der Amerikaner
zu unterstützen und mit Erfolg zu krönen. Wie mancher
e^te und praktische Gedanke mag wohl bei uns an der
Klippe der Systemlosigkeit gescheitert und unausgeführt
geblieben sein ? Zur Abhilfe dieser Kalamität ist ja auch
schon viel getan worden. Leider gehören aber diejenigen
Buchdruckereien, welche das in der praktischen Ver¬
wendbarkeit so vorzügliche „Neue deutsche Normal¬
system“, wie wir das Didot’sche System von jetzt ab
nennen werden, eingeführt haben, noch zu den Ausnah¬
men. Wir müssen es uns daher angelegen sein lassen,
daß das umgekehrte Verhältnis eintritt und mit Neuerun¬
gen und Verbesserungen eifrig vorgehen, soll anders
nicht Stillstand, der gleichbedeutend mit Rückgang ist,
Platz greifen ; wir müssen streben, in der Entwickelung
unseres Gewerbes anderen Nationen gegenüber nicht zu¬
rückzubleiben. So sind wir denn auch beschäftigt, in
unserer Schriftgießerei und den mit dieser verwandten
Geschäftszweigen schon seit einigen Jahren eine Reor¬
ganisation nach amerikanischem Fabrikationssystem vor¬
zunehmen. Die Güte der amerikanischen Typen, welche
wir wiederholt die Gelegenheit hatten zu erproben, hatte
in uns den Drang erregt, das amerikanische Fabrikations¬
system an Ort und Stelle kennen zu lernen. Als wir im
Herbst des Jahres 1873 die Arbeitslokale der ersten ameri¬
kanischen Gießerei der Johnson Typefoundry in Phila¬
delphia, betraten, bot sich uns allerdings ein Anblick,
wie wir einen solchen nicht vermutet hatten. Die ganze
— 53 —
Bauart der Maschinen, die Einrichtungen der in Anwen¬
dung gebrachten Meßinstrumente und Werkzeuge, über¬
haupt die ganze Art und Weise der Fabrikation war eine
so genaue, praktische, schnelle und so durchaus verschie¬
dene von unserer früheren, daß unsere Aufmerksamkeit
im höchsten Grade gefesselt wurde. Bevor wir näher
auf einen Vergleich zwischen der amerikanischen, unserer
jetzigen Fabnkationsmethode, mit unserer früheren ein-
gehem möchten wir, um unsem geehrten Lesern eine leich¬
tere Einsicht in das jetzige Wesen der Schriftgießerei zu
gewähren, eine kurze Beschreibung der sich folgenden
Manipulationen in der Anfertigung eines Buchstabens vor¬
ausschicken. Die erste Manipulation bildet, nachdem der
künstlerische Entwurf der Schrift beendigt ist, die Über¬
tragung dieser Zeichnung auf das Ende eines Stückchen
feinsten Stahles. Die geschickte Hand des Stempelschneiders
oder Graveurs bearbeitet nun mit Feile und Stichel das
Stahlstäbchen, bis der Buchstabe in seiner vollendeten Form
Iastisch auf der Endfläche desselben hervortritt, nach den
eiten zu ganz leicht abfallend. Durch Nachmessen mit
den genauesten Leeren und Instrumenten, sowie durch
einen leichten Rußabdruck versichert sich der Graveur
der richtigen Größe und Gestalt jedes einzelnen Stempels
— denn für jeden einzelnen Charakter einer Schrift muß
ein besonderer Stempel hergestellt werden — und gibt
ihm dann durch langsames Erhitzen in Holzkohlenfeuer
und schnelles Einführen in kaltes Wasser die nötige Härte,
damit derselbe bei dem nun folgenden Prozeß des Ein¬
prägens in hartgewalztes Kupfer genügend Widerstand
leisten kann. Zu diesem Zweck wird der Stempel mit dem
Bild nach unten in eine Prägepresse gespannt und mittelst
Hebel- oder Schraubendruck in ein untergelegtes, auf
seiner Oberfläche spiegelblank poliertes Stück Kupfer ein¬
geprägt. Figur 2 ist eine bildliche Darstellung der im
ersten Stadium der Anfertigung stehenden Matrize. Diese
wandert hierauf in die Hände des Justierers, der alle
Seiten derselben auf das genaueste für Tiefe, Linie, Weite,
Stellung etc. in einer Weise bearbeitet, auf welche wir
unten noch näher zurückkommen werden. Die Matrize ist
die Form für das Bild des Buchstaben ; die Gestalt des
Körpers wird durch das Gießinstrument, welches aus zwei
Hälften, einer unteren und einer oberen, besteht, ferner
Perl Antiqua 20
J. G. Scheiter & Giesecke, Schriftgießerei, Leipzig
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13 Dei' Schriftgießer im Verkehr mit dem Buchdrucker 13
Die Buchdruckerkunst vereinigte noch lange Zeit
nach ihrer Erfindung die verschiedenen mit inr ver¬
wandten oder aus ihr hervorgegangenen Branchen
in sich ; namentlich waren die Typographen darauf
angewiesen, die meisten zu ihrem Geschäftsbetriebe
nötigen Materialien und Hilfsmittel sich selbst zu
erzeugen. So war auch die Herstellung der Schriften
von Alters her eigene Sache der Buchdrucker ge¬
wesen, und die Entwickelung der Kunst bedurfte
eines Zeitraumes von 200 Jahren, ehe sie mit der
Lösung dieser Vereinigung beginnen konnte. Na¬
türlich war nicht ein jeder Buchdrucker früherer
Jahrhunderte in die Notwendigkeit versetzt, sich
seine Schriften selbst gießen zu müssen, sondern
er bezog sie von einer ändern Offizin, die hierzu
eine Einrichtung bereits besaß. Aber als selbstän¬
dige Branchen waren die beiden Berufsarbeiten
nicht getrennt. Leipzig erhielt erst seit Mitte des
17. Jahrhunderts seine erste selbständige Schrift¬
gießerei, und Amerika hatte hundert Jahre später
noch kein solches Etablissement aufzuweisen ; die
dortigen Buchdrucker jener Zeit bezogen vielmehr
ihre Schriften, Pressen etc. aus England. So lange
die Verbreitung der Buchdruckereien nur mäßig
vorwärts schritt, konnten die Leistungen der mit
Schriftgießerei versehenen Offizinen das Bedürfnis
decken. Allein je mehr die Nachfrage nach Lettern
sich steigerte, desto mehr bemächtigte sich auch
der Unternehmungsgeist dieser Fabrikation bis die
Erfindung der Schnellpresse, in mächtiger För¬
derung des Druckgewerbes, auch die Selbständig¬
keit des Schriftgießereibetriebes mit befestigen und
zur lebhaften Entwickelung bringen half. Der Ge¬
schäftsverkehr zwischen Buchdrucker und Schrift¬
gießer paßte sich natürlich diesen Verhältnissen an.
In der Zeit der Vereinigung beider Künste ruhte
der Schwerpunkt des Verkehrs in der Nachfrage
des Buchdruckers, die lange Zeit hindurch wohl
meist persönlich erfolgte. Nach der Emanzipierung
der Schriftgießerei änderte sich die Nachfrage all¬
mählich, bis schließlich die Fruchtbarkeit der gra¬
phischen Kunst, die rasche Tätigkeit der Gießerei,
sowie das Wachsen der Konkurrenz, den Schwer¬
punkt des Verkehrs in das Angebot des Schrift¬
gießers legten. Dieses Angebot erfolgte, so früher
wie jetzt, in der Hauptsache durch Vorlage von
Mustern, und wurde von den Produzenten nichts
versäumt, dem Bedürfnis jeder Zeit durch schnelles
und stetiges Angebot Rechnung zu tragen. Ist in der
Art, wie die Schriftproben gegenwärtig verbreitet
werden : brieflich, durch die Fachpresse, und auch
persönlich durch die Geschäftsvertreter, eine Stei¬
gerung kaum mehr zu erwarten, so glauben wir
aber, daß nach anderer Richtung hin eine Vervoll¬
kommnung noch eintreten könnte, und das ist die
Form, in welcher die Schriftproben dargeboten
werden. Allerdings haben dieselben heute ein an¬
deres Äußere, als in früherer Zeit: sie sind viel
eleganter, ja luxuriös geworden ; allein in der Art,
wie sie die Schriften vorführen: durch den Ab¬
druck von nur einzelnen Wörter oder Zeilen, sind
sie kaum anders, als die Erstlingsblätter, und wir
meinen, dies entspricht den heutigen Verhältnissen
nicht mehr. Genügte es vielleicht in früherer Zeit,
die mit wenig Material arbeitete, schon eine neue
Schrift zu schneiden, um ihrer Verkäuflichkeit sicher
zu sein, so steht heute der Buchdrucker vor einem
großen Reichtum an Material, aus dem er nach Be¬
lieben und Bedürfnis zu wählen hat. Mit den hohen
Leistungen der Typographie steigerten sich auch
die Ansprüche an diese selbst, und namentlich ver¬
langt der Auftraggeber jetzt nicht nur eine moderne
una sorgfältige Ausführung, sondern auch, daß das
verwendete Typenmaterial dem Zwecke der Arbeit
angepaßt sei. Der Buchdrucker hat demnach bei
Anschaffung von Schriften, Einfassungen etc., auch
diesen Punkt mit in Erwägung zu ziehen. Aus den
Schriftproben, wie sie ihm gegenwärtig unterbreitet
werden, ist er aber meistens nur in der Lage, die
Typen nach Gefälligkeit und Korrektheit im Schnitt
zu prüfen : über ihre spezielle Bestimmung sowie
über die Vorzüge ihrer praktischen Verwendung
— darüber geben die Schriftproben im besten Falle
nur mäßige Andeutungen und überlassen diese Er¬
wägung und das Heraussuchen dieser Punkte dem
eigenen Urteile und der eigenen Geschicklichkeit
des Käufers. — Könnte der Schriftgießer diese Prü¬
fung des Buchdruckers nicht dadurch unterstützen,
daß ersterer sein Typenmaterial mehr als bisher in
praktischen Satzbeispielen ausführen würde ? Wie
ganz anders nimmt sich z. B. eine Werkschrift aus,
wenn anstatt einiger Zeilen eine ganze Oktavko¬
lumne davon gedruckt vorliegt, und wie erwünscht
ist es, diese Schrift in mehrfacher Satzweise : kom-
preß und verschiedenartig durchschossen vor sich
zu sehen. Eine Kolumne mit Einfassung würde
zugleich diese selbst, eine Ecke, eine Initiale oder
dergleichen mit empfehlen können. Die zu einer
Brotschrift gehörigen oder dazu passenden Aus¬
zeichnungsschriften, wie halbfette, fette, etc. in der
betreffenden Textschrift gleich mit verwendet zu
sehen, ist für den Buchdrucker von sehr großem
Werte. Wie manchem Mißgriff, wie mancher un¬
zweckmäßigen Wahl würde dadurch vorgebeugt
und, wie könnte das Finden der dazu passenden
Schriften dem Suchenden erleichtert werden ! Bei
Accidenzschriften vor Allem dürfte es dem Buch¬
drucker willkommen sein, auf der Probe statt ein¬
zelner Worte oder zugleich mit diesen die Schrift
in Satzbeispielen praktisch vorzufinden. Er bekäme
dadurch ein sichereres Urteil über Brauchbarkeit
und Charakter der Schrift und zugleich manchen
Wink für die praktische Anwendung nicht nur einer
einzelnen, sondern auch der mitverwendeten ande¬
ren Schriften und Materialien — vorausgesetzt, daß
die gegebenen Beispiele mit Verständnis und Ge¬
schmack zusammengestellt sind. Denn es kann nicht
eleugnet werden, daß eine neu angeschaffte mo-
erne Schrift der Liebling des Accidenzsetzers ist,
den er sofort nach Eintreffen in der Druckerei und
so oft wie möglich in den Arbeiten paradieren sehen
möchte und diese Vorliebe verleitet ihn häufig, die
Schrift an einen Platz zu bringen, an den sie gar
nicht hingehört. Bei Einfassungen ist es nun erst
ein Bedürfnis, Proben mit ausführlicher Satzanwen¬
dung zu bringen. Es ist ja dem Schöpfer der Ein¬
fassung auch viel leichter, sein eigenes Werk in
praktischer Anwendung, so vielseitig wie es ist, zu
zeigen, als dem Setzer,.die Intentionen des Erfin¬
ders erst aufzufinden. Über die ungenügende Art,
Untergrund vorzuführen, hat sich erst unlängst ein
Fachjournal tadelnd ausgesprochen : Jedes Muster
müsse wenigstens den Raum einer großen Visiten¬
karte einnehmen und mit Schrifttext bedruckt sein,
um dem Buchdrucker das Urteil über das Gebotene
zu erleichtern. Die Farbe darf auch nicht unpassend
gewählt werden, wenn dadurch die Wirkung des
Ganzen nicht beeinträchtigt werden soll. Wenn
man Arbeiten von gediegenem und wohlgefälligem
Eindruck herstellen will, kann dies nur dadurch
Nonpareille Antiqua 20
J. G. Scheiter & Giesecke, Schriftgießerei, Leipzig
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