§ 287
Peter Paul Rubens.
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vornehmlich von Brabant aus, wo die katholische Kirche Siegerin, die
Malerei mithin mehr im Dienste der Kirche geblieben war, imd wo zu¬
gleich die neuen Bestrebungen noch auf gewisse Weise an das Studium
der älteren klassischen Meister Italiens angeknüpft wurden. Die andere
Richtung, die in dem protestantischen Holland entstand, befolgte da¬
gegen einen gänzlich unabhängigen Weg der Entwicklung. Neben beiden
steht noch eine dritto Richtung der Historienmalerei, welche sich un¬
mittelbar der Weise der italienischen Zeitgenossen, und zwar mehr der
Naturalisten wie der Eklektiker, anschloß. Zu der letzteren gehören
namentlich auch die wenigen Deutschen, welche in dieser Zeit, da in
Deutschland die verheerenden Stürme und die Nachwehen des dreißig¬
jährigen Krieges wüteten, zur Ausübung der Kunst Gelegenheit fanden.
A. SCHULE VON BRABANT.
* § 287. Während aller Wechselfälle des niederländischen Befreiungs¬
krieges, wir erinnern nur an die berühmte Belagerung von 1584 auf 85,
war Antwerpen immer die tätigste Kunstwerkstätte diesseits der Alpen
geblieben, allerdings unter der Herrschaft des italisierenden Manierismus,
wie er sich in den Schulen des Floris und de Vos ausgeprägt hatte. Zur
Seite dieser Ansprüche auf Idealität und Formenentwicklung im Sinne
der römischen Schule ging nun wie eine Parodie einher die genrehafte
Skurrilität eines Peter Breughel und seiner Genossen. Ein halbes Jahr¬
hundert dauerten diese Kontraste eines konventionellen, von außen
hereingetragenen, völlig ausgehöhlten Prunkstiles und eines in die Ge¬
meinheit geflüchteten Naturalismus ; ja sie finden sich bisweilen in dem¬
selben Maler, in demselben Bilde beisammen, bis endlich der große
Genius erschien, in welchem die wahren Elemente der bisherigen
niederländischen Kunst nebst den frischen Antrieben der Zeit sich zu
einem neuen Stile sammelten.
Dies ist Peter Paul Rubens. Bei ihm zeigt sich wie bei den Ma¬
nieristen, gegen welche er siegreich auftrat, das Streben nach einer be¬
stimmten Entwicklung der Formen ; doch sind diese Formen nicht mehr
willkürlich nach einem allgemeinen äußerlichen Schönheitsprinzip ge¬
wählt, sondern es sind die einer derben kräftigen Natur, als in welchen
die Absichten des Künstlers, oder vielmehr die gemeinsame Richtung
der Zeit, auf sinnliches Begehren, Affekt, Leidenschaft sich nur genügend
aussprechen konnten. Aus eben diesem Grunde zeigen seine Kompo¬
sitionen stets eine vollkommen dramatische Durchbildung und sind die
verschiedenen Charaktere stets bestimmt ausgesprochen und aufs Ent¬
schiedenste nüanciert, die einzelnen Individuen zu vollkommener Selbst¬
ständigkeit und Unabhängigkeit ausgeprägt. Freilich fehlt dabei jene
höhere Reinigung und Milde der großen italienischen Meister: der
Kothurn, der Rubens Gestalten adelt, besteht mehr nur in eigentümlich
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Nr. 18168. Petit Antiqua 14 (8 Punkto). Von * ab mit 1 Punkt durchschossen
J. Q. Scheiter & Giesecke, Schriftgießerei, Leipzig
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Haben wir eine eigene Welt gemacht, so muß es uns doch auch fürs
erste zustehen, die Gesetze darin zu machen. Wer so viel anderes über
ein Buch weiß, der sollte sich nicht über ein Buch ausgeben, sondern
selbst ein anderes schreiben. Die eigensinnig fordernde Kritik hab ich
mir stets vom Leibe gehalten; wer mich nicht mag, dem kann ich nichts
geben, mit dem ist es bald ein klares Verhältnis. Wer mich aber durch¬
aus anders will als ich bin, der versucht es, mich unter freundlichen
Worten zu erwürgen; der ist mein schlimmster Feind, weil er tut, als
ob er mein Freund wäre. Und diese weichliche Freundesfeindschaft
quält manchen armen Autor bei uns zu Tode.
DÄMMERUNG
Dämmrung senkte sich von oben,
Schon ist alle Nähe fern;
Doch zuerst emporgehoben
Holden Lichts der Abendstern !
Alles schwankt ins Ungewisse,
Nebel schleichen in die Höh;
Schwarzvertiefte Finsternisse
Widerspiegelnd ruht der See.
Nun am östlichen Bereiche
Ahn ich Mondenglanz und Glut,
Schlanker Weiden Haargezweige
Scherzen auf der nächsten Flut.
Durch bewegter Schatten Spiele
Zittert Limas Zauberschein,
Und durchs Auge zieht die Kühle
Sänftigend ins Herz hinein.
FÜR JUNGE DICHTER
Nur allzuoft w'erden mir von jungen Männern deutsche Gedichte
zugesendet mit dem Wunsche, ich möchte sie nicht allein beurteilen,
sondern auch über den eigentlichen dichterischen Beruf des Verfassern
meine Gedanken eröffnen. Wie sehr ich aber dieses Zutrauen anzu¬
erkennen habe, so bleibt es doch im einzelnen Falle unmöglich, das
Gehörige schriftlich zu erwidern, welches mündlich auszusprechen schon
schwierig genug sein würde. Im allgemeinen jedoch kommen diese Sen¬
dungen bis auf einen gewissen Grad überein, so daß ich mich entschließen
mag, für die Zukunft einiges hier anzudeuten. Die deutsche Sprache
ist auf einen so hohen Grad der Ausbildung gelangt, daß einem jeden
gegeben ist, sowohl in Prosa als in Rhythmen und Reimen sich, dem
Gegenstände wie der Empfindung gemäß, nach seinem Vermögen glück¬
lich auszudrücken. Hieraus erfolgt nun, daß ein jeder, welcher durch
Hören und Lesen sich auf einen solchen Grad gebildet hat, wo er sich
selbst einigermaßen deutlich wird, sich alsobald gedrängt fühlt, seine
Gedanken und Urteile, sein Erkennen und Fühlen mit einer gewissen
Leichtigkeit mitzuteilen. Schwer, vielleicht unmöglich, wird es aber dem
Jüngern, einzusehen, daß hierdurch im hohem Sinne noch wenig getan
ist. Betrachtet man solche Erzeugnisse genau, so wird alles, was im
Innern vorgeht, alles, was sich auf die Person selbst bezieht, mehr oder
weniger gelungen sein und manches auf einen so hohen Grad, daß es so
tief ids klar, so sicher als anmutig ausgesprochen erscheint. Alles All¬
gemeine, das höchste Wesen wie das Vaterland, die grenzenlose Natur
sowie ihre einzelnen unschätzbaren Erscheinungen überraschen ims in
einzelnen Gedichten junger Männer, woran wir den sittlichen Wert nicht
verkennen dürfen und die Ausführung lobenswert finden müssen. Hierin
Nr. 17048. Petit Antiqua 16 (8 Punkte). Gedicht mit 1 Punkt durchschossen
J. G. Scheiter & Giesecke, Schriftgießerei, Leipzig
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