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Die 36zeilige Bibel.
geschnitten seien. Unseren Xylographen sind solche Arbeiten unge¬
wohnt und daher befremdlich, anders war es zu einer Zeit, wo man kein
anderes Mittel kannte, die Handschrift so nachzuahmen. Für einzelne
Typen sprechen aber noch andere Umstände, welche auffällig sind. So
findet man die Ligaturen bin aus tì und О ft zusammengesetzt,
wobei eine feine gerissene Linie die Zusammensetzung verräth. Das
konnte keinem Xylographen einfallen, der Holztafeln schnitt, ein solcher
Versuch, Ligaturen zu sparen, konnte nur beim Setzen Vorkommen
und gerade der Umstand, dass die Buchstaben nicht so genau zusam¬
menpassen, als dass man die Zusammensetzung nicht erkennen könnte,
scheint Ursache gewesen zu sein, dass man ferner solche Versuche
aufgab. Weiter kommen Band II Blatt 3 verso die Wörter ie-chonias und
ie-chonie übereinander vor, im ersten ist (ty Ligatur, im zweiten nicht,
was ebenfalls beim Tafeldruck unverständlich wäre. Obgleich ich nun
aber in Nr. 15 den Beweis für die Herstellbarkeit von Holzbuchstaben
geliefert habe, so glaube ich doch nicht, dass die in Rede stehende
Bibel mit Holzbuchstaben gesetzt sei. Nur zu bald mussten sich die
Uebelstände des Holzes (vgl. S. 46) zeigen und zum Schneiden von
Metalltypen zwingen. Wahrscheinlich blieben die ersten Versuche mit
Holzbuchstaben in Gutenbergs Besitz und die Metallbuchstaben gingen
an Pfister über, der damit bis 1462 druckte.
Ich habe auf Tafel I und den folgenden den Anfang der Texte
mit den Initialen abdrucken lassen, weil die Initiale in den alten
Drucken eine reale Bedeutung hatten, die im Laufe der Zeit verloren
gegangen ist.
In den Trümmern des Palastes zu Ninive-Kujundschick fand man
die Ueberbleibsel der alten assyrischen Bibliothek, über 10.000 Thon¬
tafeln aufgeschichtet, welche nahezu jeden Zweig der alten Literatur
behandeln. Aus den Inschriften geht hervor, dass die Tafeln in den
Bibliotheken je nach ihrem Inhalt in verschiedene Gruppen geordnet
waren. Man begann ein Thema auf der einen Tafel und setzte es auf
anderen von gleicher Grösse und Form fort; die Zahl der zu einer
solchen Serie gehörigen Tafeln beläuft sich zuweilen auf über hundert.
Jede Serie war nach den Anfangsworten der ersten Tafel betitelt, die
einzelnen Tafeln jeder Serie waren am Ende mit den Nummern versehen,
Ursprung der Initiale und Rubriken.
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welche sie im Gesammtwerke einnahmen. Ausserdem hatte man kata-
logische Verzeichnisse dieser Schriftstücke, gleichfalls auf Thontafeln
geschrieben, wie auch kleine ovale Täfelchen mit Aufschriften, offenbar
Etiquetten für die verschiedenen Bücherreihen.71 Man sieht hieraus,
dass die Form der Bücher uralt ist, dass Blattzahlen, Signaturen u. dgl.
nicht erst von Buchdruckern erfunden wurden. Die Sitte, die Bücher
nach den Anfangsworten zu nennen, finden wir auch in den mosaischen
Büchern, das erste heisst: Breäith d. h. „Am Anfang“ und hier stimmt
merkwürdig das Anfangswort mit dem Inhalt überein, denn das Buch
handelt vom Anfang aller Dinge und wird daher im Lateinischen
Genesis genannt. Dieselbe Sitte hat sich bis auf die Jetztzeit in den
päpstlichen Bullen erhalten, welche nach den Anfangsworten genannt
werden und es gehört eine gute Archivkenntniss dazu, bei der grossen
Anzahl dieser Bullen immer neue noch nicht dagewesene Anfangsworte
zu wählen. Die päpstliche Kanzlei ist eben sehr conservativ. Hieraus
erklärt sich das Verfahren, den Anfangsbuchstaben zu schmücken, er
vertrat den Titel, er war der Titel selbst, die Ausläufe dieses Initials
verbreiteten sich naturgemäss oft bis unten und umgaben die ganze
erste Seite als Ornamente. Bei den Aegyptern herrschte die Sitte, die
ersten Worte eines Buches, eines Abschnittes und selbst wichtige
Worte des Textes auf Papyrusmanuscripten in hieratischer oder demo-
tischer Schrift roth zu schreiben. Eine Probe davon habe ich in der
Beilage 1 meiner „Illustrirten Gulturgeschichte “ gegeben. Ebenso
finden wir bei anderen alten Culturvölkern die Sitte, die Anfänge der
Bücher zu illuminiren. Zu Anfang des V. Jahrhunderts verbot Paulus,
Bischof zu Noia, seinen Mönchen die Malerei, obgleich er ihnen die
Schreibkunst, als ein frommes Werk, empfahl. Im VI. Jahrhundert
wurden die Initiale vergrössert und verziert, im VII. machte man
bereits ornamentale Einfassungen an den Rändern. Unter Karl dem
Grossen machte ‘die Zeichnung und Ausmalung der Initiale Fort¬
schritte. Im IX. Jahrhundert schmückte man die Initiale mit histori¬
schen Arabesken, welche ihre schönen Schnörkel von der Basis bis
zum First des Buchstabens entwickelten, Miniaturen sind in den Manu¬
skripten dieser Zeit im Ueberfluss vorhanden. Das XIV. Jahrhundert
war das goldene Zeitalter der französischen Manuscripte, welche von