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Der Strassburger Process.
Ich werde übrigens die ganze Kritik Wetters bei Seite lassen
und mich nur auf dasjenige beschränken, was mir bei einem oftmaligen
Durchlesen dieses Verhörs aufgefallen ist. Da ist in erster Reihe zu
bemerken, dass die Hauptzeugen, nämlich die angeblichenTheilnehmer
an der Gesellschaft: Andreas Heilmann und Hans Riffe, obwohl sie
im Verzeichnisse der Zeugen stehen, nicht im Verhöre Vorkommen.
Statt des Andreas Heilmann spricht sein Bruder Anton Heilmann, der
von dem, was im Geheimen vorgekommen ist, gar nicht unterrichtet
sein konnte, so ausführlich, als sei er und nicht sein Bruder Mitglied
der Gesellschaft gewesen. Im Verhöre kommt überhaupt eine ganze
Reihe der angeführten Zeugen nicht vor, z. B. Meister Hirtz, bezüglich
dessen die Vermuthung entstehen könnte, es sei der Mainzer Patrizier,
der Schwiegervater von Gutenbergs Bruder gewesen; von zwei Gold¬
schmieden wird nur einer, Hans Dünne, vernommen, der andere Hans
Ross nicht. Herr Gosse Sturm zu St. Arbogast, wo Gutenberg gewohnt
haben soll, hätte gewiss auch etwas zu erzählen gehabt, dagegen wird
Midhart Stockher, der eine unwesentliche Aussage macht, zweimal
vernommen, bei seiner zweiten Aussage bricht das Verhör ab, vielleicht
wurde dem Schreiber die Sache selbst zu bunt; endlich kommt im
Verhöre eine Käuflerin Berbel vor, die im Verzeichnisse als dein fröwel
aufgeführt wird, ein Titel, der zum mindesten unverständlich ist.
Was nun den Inhalt des Verhörs, soweit er nicht aus dem
Urtheil des Raths bekannt oder für den Fachmann gleichgiltig ist,
betrifft, so handelt es sich um eine Presse, welche in Dritzehns
Wohnung aufgestellt war, und bezüglich deren es'GuTENBERG sehr darum
zu thun war, dass niemand sehe, wie sie beschaffen sei und was darin
gedruckt werde. In dieser Hinsicht war es sehr unvorsichtig von
Gutenberg, die Presse laus seinem Hause zu geben, er konnte ja den
Dritzehn bei sich drucken lassen und dessen Arbeit überwachen.
Dritzehn hielt die Sache nicht sehr geheim, die Kleinkäuflerin oder
das dein Fröwel Berbel aus Zabern, welche ihn noch spät in der
Nacht besuchte, trifft ihn bei der Arbeit und er lässt sich mit ihr in
eine Unterhaltung über die Kosten, die ihm dies Werk verursache und
die Hoffnungen, welche er an die Vollendung knüpfe, ein. Die Frau
seines Miethsherrn, des Holzmanns Hans Schultheis , Ennel Dritzehn,
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(seine Schwester?) hilft ihm Tag und Nacht bei seiner Arbeit; dennoch
fürchtet Gutenberg erst, dass das Geheimniss verrathen werde, als
Dritzehn krank wird, er] lässt daher nach Anton Heilmanns Aussage,
der gewiss nicht dabei war, nicht lange vor Weihnachten durch seinen
Knecht alle Formen holen, „und wurden zerlassen, dass er es sehe,
und ihn doch ettliche Formen reueten“. Ueber diesen Satz haben
sich viele den Kopf zerbrochen, ich auch, bis mir ein Licht aufging.
Die Presse liess Gutenberg leider nicht abholen, und war somit selbst
schuld, dass dieselbe gestohlen wurde. Dieser Diebstahl aber geschah
in der Weihnachtsnacht, gerade so wie der berühmte Diebstahl der
Presse щ Harlem, über den sich Dr. v. d. Linde lustig macht,
während er den Strassburger Pressendiebstahl gläubig aufnimmt (nun
ja! es war eine kleine Presse, so etwa wie eine Kartenpresse, die man
m die Tasche stecken konnte). Im Verhör kommt vor, dass Dritzehn
Freunden gegenüber erklärt habe, er sei ein Spiegelmacher. Lacroix
und Humphreys65 fallen sofort über das Wort her, und sagen: Aha!
Spiegel heisst speculum, das ist das Werk: Speculum humanae salva-
tionis, welches der Koster zu Harlem so sauber in Holz geschnitten
hat und das ihm Gutenberg gestohlen hat. Nein, sagt Dr. v. d. Linde,
Spiegel ist Spiegel, und erklärt des Langen und Breiten, wie Spiegel
gemacht werden, und im Eifer für seine Spiegel lässt er ruhig die
Presse stehlen.66 Als Gutenberg hört, dass Dritzehn gestorben sei,
schickt er seinen Knecht Lorenz’ Beildeck zu demselben Klaus Drit¬
zehn, den er in das Geheimniss und in die Gesellschaft nicht aufnehmen
will und lässt ihn bitten, die Presse niemand zu zeigen, sondern über
die Presse zu gehen und sie mit den zwei Wirbeln aufzumachen, so
fielen die Stücke auseinander, die Stücke sollte er in oder auf die Presse
legen, so könne niemand sehen, was es sei. Ueber die Bedeutung des
Wortes Stücke ist auch gestritten worden, die einen meinten, es seien
Holztafeln (Stöcke), die ändern, es seien Formen von beweglichen
Buchstaben; ich habe oben (S. 23) darauf hingewiesen, dass Stücke
in der Buchdruckersprache die einzelnen Theile der Presse hiessen,
und so dürfte es auch der Verfasser des Zeugenverhörs verstanden
haben, denn die „Formen“ hat er ja schon früher abholen lassen;
darüber, wie die Stücke zu zerlegen wären, wird er sich selbst nicht