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Der Strassburger Process.
im Begriffe war, die Buchdruckerkunst 1440 in Strassburg zu erfinden,
wie das die Strassburger Tradition war, natürlich nur den ersten
Versuch, denn man wollte die Mainzer nicht vor den Kopf stossen und
traf das so herrlich, dass Schaab annahm, die Buckdruckerkunst sei
1436 erfunden worden; er fürchtete vielleicht, das Jubeljahr 1840
nicht zu erleben.
Leider enthielt das Urtheil des Raths noch zu wenig Aufschlüsse,
Blei kam wohl vor, aber wenn Gutenbergs Charakter nicht so über
alle Zweifel erhaben gewesen wäre, so hätte man ja auch schliessen
können, die Gesellschaft wollte falsches Geld machen. Etwas näheres
über den Process zu erfahren, wäre höchst interessant gewesen und
Schöpflin bekannte selbst: „Der Erfinder der beweglichen Typen,
gleichviel von welcher Natur, ist der wahre Erfinder der Buchdrucker¬
kunst, weiche alle anderen Künste erhält und verbreitet. Dass aber
diese von Gutenberg zu Strassburg erfunden und mehrere Jahre
daselbst mit seinen Genossen von demselben geübt worden, ehe er sie
nach Mainz überbrachte, ehe Scfiöffer die Matrizen und Koster den
Bücherdruck mittelst Tafeln erfunden hatten, werde ich aus authenti¬
schen Documenten erweisen, welche ein langes Nachsuchen und der
Zufall mir verschafft haben.“ 62
Fünf Jahre später, nachdem Wenker den Urtheilsspruch des
Raths gefunden hatte, fand Schöpflin in einem Gemach des Pfennig¬
thurms zu Strassburg, als derselbe wegen Baufälligkeit abgebrochen
werden sollte, die ihm bei früheren Nachsuchungen in diesem Thurme
entgangenen!!) Akten dieses Processes, welche die Zeugenverhöre ent¬
hielten und die er 1760 in seinen Vindidae typographicae veröffentlichte.
Diese Akten sind leider bei der Beschiessung Strassburgs ver¬
brannt, der englische Bibliothekar Dibdin hat sie auf seiner Reise
durchDeutschland gesehen und darüber Folgendes bemerkt: „Ich habe
diese in deutscher Sprache verfassten Verhöre mit ausserordentlicher
Aufmerksamkeit betrachtet, sie sind ohne Zweifel von grossem Werthe,
aber ich kann mich des Verdachtes nicht erwehren, dass der Charakter
der Schrift nicht jener Zeit, nicht dem Jahre 1439, sondern wie mir
scheint, dem XVI. Jahrhundert, vielleicht dessen Anfang angehören.
Diese Documente sind von Anfang bis zu Ende von derselben Hand
Der Slrassburger Process.
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mit einer Art von gothischer Schrift in einen kleinen Folioband
geschrieben, das Papier ist dick und stark mit zwei Wagschalen als
1 apierzeichen. Herr Schweighäuser hält das Buch für gleichzeitig und
meinen Zweifel nicht für begründet; was ich sage, benimmt der Echt¬
heit desselben nichts, es mag eine richtige und beglaubigte Abschrift
von einem nicht mehr vorfindlichen Original sein, das jetzige hat den
Anschein einer Copie, die Originalverhöre sind gewiss auf einzelnen
Pergamentrollen geschrieben gewesen.“
Herr Schweighäuser, Professor und Bibliothekar in Strassburg,
konnte in der That nicht begreifen, wie Dibdin an der Echtheit zweifeln
konnte, es waren alte, am Rande ganz abgegriffene (sie waren also
viel gehandhabt worden, obgleich vor Schöpflin niemand etwas von
thnen wusste), in rohes, braungelb gewordenes Pergament gebundene
und hinten mit altem Pergament oder Lederseiten zugeflickte Hofein.
worin zugleich viele andere unwichtige Sachen enthalten waren. Die
Echtheit ging aber besonders daraus hervor, dass ganze und halbe
Seiten ausgestrichen, andere aber weiss gelassen waren.
Während Dibdin und Schweighäuser nur die Aeusserlichkeiten
ins Auge fassten, hat Wetter den Inhalt dieser Aktenstücke einer
vernichtenden Kritik unterzogen, um, nachdem er eine Menge von
Gründen gegen die Echtheit und keinen einzigen für dieselbe angeführt
hat, mit der verblüffenden Erklärung zu schliessen: „So liess ich mich
bei der ersten Durchsicht der Urkunden durch den Anschein zu vor¬
schnellem Verdacht gegen Schöpflins Wahrheitsliebe hinreissen, eine
arge Verletzung seines Andenkens! Ich bereue sie und bringe hiemit
vollkommenen Widerruf und feierliche Ehrenerklärung seines Namens
zur Sühne dar.“ 04
Wenn das nicht Ironie ist, so hätte Wetter als Ehrenmann
angeben müssen, welche Beobachtungen ihn veranlasst haben, seine
Bemängelungen zu widerrufen, seine Gründe haben ein Gewicht für
unsere Ueberzeugung, seine Worte gelten nichts. Wenn Dr. v. d.
Linde am Schlüsse seines Abschnittes über die Harlemer Legende eine
solche Ehrenerklärung für Junius abgegeben hätte, so würde desshalb
doch niemand den Koster für den Erfinder der Buchdruckerkunst
halten, weil das Gewicht der Gründe dadurch in nichts erschüttert wird.
Faulmann, Gesch. d. Buchdruckerkunst. о