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Sociale Bestrebungen nach dem Jahre 1848.
In der liberalen Strömung- der Sechziger-Jahre hatten die Arbeiter
das Vereinigungs- und Coalitionsrecht und somit die Mittel zur Selbst¬
hilfe, wenn auch nicht im vollsten, so doch in ziemlich reichem Masse
erlangt und davon Gebrauch gemacht. Im Jahre 1866 fand auf Anregung
des Leipziger Fortbildungsvereins für Buchdrucker und Schriftgiesser
ein deutscher Buchdruckertag in Leipzig unter dem Vorsitze Richard
Härtels statt, an welchem 34 Delegirte in Vertretung von 85 Städten
und 3187 Mitgliedern theilnahmen, und auf welchem die Gründung eines
allgemeinen Buchdruckerverbandes beschlossen wurde. Dieser Verband,
welcher dieselben Aufgaben, wie die früheren Organisationen befolgte,
hielt alle zwei Jahre einen Buchdruckertag ab; in Folge seiner Agitation
wurde 1868 die Sonntagsarbeit in den meisten Druckereien abgeschaht
und die Unterstützung der reisenden und conditionslosen Gehilfen
geregelt. Die Principale, welche das wachsende Gedeihen dieses Ver¬
bandes mit Misstrauen betrachteten, da sie fürchten mussten, dass
ihnen derselbe in Zukunft die Arbeitspreise dictiren werde, gründeten
1869 in Mainz einen Gegenbund unter dem Namen „Deutscher Buch¬
druckerverein“. In der Folge spitzten sich die Gegensätze zwischen
beiden Vereinen zu, nachdem im Jahre 1870 der Vorschlag des Gehilfen¬
vereines, im Vereinbarungswege die Lohnfrage zu regeln, von dem
Principalen-Verein abgelehnt worden war. Bis gegen Ende des Jahres
1872 landen eine Reihe von localen Lohnbewegungen statt, welche zu
Gunsten der Gehilfen endigten. Im Jahre 1872 stellten die Principale
ihrerseits einen Tarif auf, und da in Folge dessen eine Arbeitseinstel¬
lung in Leipzig drohte, beschlossen die Principale am 8. März 1873 die
in England unter dem Namen lock-out übliche „Aussperrung“, d. h. die
Entlassung sämmtlicher dem Buchdruckerverbände angehörigen Ge¬
hilfen. Diese Massregel hatte jedoch einen Misserfolg, welcher zur
Vereinbarung mit dem Buchdruckerverbände nöthigte. Im Tarife von
1873 wurde die Alphabetberechnung eingeführt, der Preis für Petit
und Corpus auf 30 Pfennige und für Antiqua um 10 Percent höher
festgestellt. Im Jahre 1876 fand eine Arbeitseinstellung zu Berlin statt,
welche jedoch nach kurzer Zeit zu Ungunsten der Gehilfen endigte. Im
revidirten Tarif von 1878 wurde die Arbeitszeit auf 10 Stunden, inclu¬
sive y4 Stunde für Frühstück und Vesper festgesetzt. Der Principal ist
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verbunden, die bei ihm conditionirenden Gehilfen voll zu beschäftigen
und dieselben bei unzureichender Arbeit für etwaige Zeitversäumnisse je
nach dem wöchentlichen Durchschnittsverhältniss zu entschädigen; die
Gehilfen sind verpflichtet, die Arbeitszeit pünktlich einzuhalten und die
ohne begründete Entschuldigung versäumten Geschäftsstunden durch
Extrastunden ohne weitere Entschädigung zu ersetzen; die Gehilfen
willigten in eine Lohnverringerung, wonach das Minimum des gewissen
Geldes wöchentlich mit 19‘/2 Mark festgesetzt wurde, in Städten unter
10.000 Einwohnern ist es gestattet, das Minimum auf 18 Mark herab¬
zusetzen. Die Ausgaben dieses Vereines zur Auirechterhaltung des
vereinbarten Tarifs betrugen von 1868—1881 346.671 Mark, dievon den
genannten Kassen bisher geleisteten Unterstützungen 1,401.491 Mark;
, die der Reisekasse allein 420.358 Mark. Seit dem Jahre 1880 erhalten
alle arbeitslosen Mitglieder, gleichviel ob sie reisen oder nicht, lag-
gelder. Der Erlass des Ausnahmsgesetzes gegen die Socialdemokratie
im Jahre 1878 nöthigte die Leitung des Buchdruckerverbandes, da
derselbe von seinen Gegnern als socialdemokratisch verdächtigt wurde,
den Namen „Unterstützungsverein deutscher Buchdruckergehilfen“ an¬
zunehmen und den Sitz nach Stuttgart zu verlegen200. Zu demselben
gehören die Gehilfen folgender Städte: Altenburg, Berlin, Bochum,
Bremen, Breslau, Bromberg, Danzig, Emden, Erlangen, Essen, Frank¬
furt am Main, Flensburg, Freiburg, Geestemünde, Giessen, Gleiwitz,
Görlitz, Hagen, Halle an der Saale, Hamburg, Hannover, Königsberg in
Preussen, Mainz, Mannheim, München, Neustadt an der Haardt, Nürn¬
berg, Passau, Saarbrücken, Schwerin, Stettin, Stuttgart, Weissenfels,
Wismar. Derselbe steht im Gegenseitigkeitsverhältniss zu denVereinen in
Elsass-Lothringen, Oesterreich-Ungarn, Russland, der Schweiz, Däne¬
mark und Norwegen. Der „Deutsche Buchdruckerverein“ (Principale)
mit dem Sitze in Leipzig, zählt in Deutschland 87 Ortskassen und
120 Zahlstellen mit 4539 Mitgliedern, in Oesterreich 1 Ortskasse und
1 Zahlstelle mit 647 Mitgliedern, in der Schweiz 3 Ortskassen und
42 Zahlstellen mit 458 Mitgliedern, zusammen 5644 Mitgliedern; zu
ihm gehören: Arnberg, Aschersleben, Bamberg, Barmen, Bayreuth,
Berlin, Beuthen, Biberach, Bremen, Breslau, Bromberg, Chemnitz,
Darmstadt, Dessau, Donauwörth, Dortmund, Dresden, Düsseldorf,