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Sociale Bestrebungen im Jahre 1848.
Principale hatten an dieser Versammlung nicht theilgenommen und
erkannten die Beschlüsse nicht an, was im August zu Arbeitseinstel¬
lungen in Berlin und Hamburg führte; dieselben endigten mit einer
Niederlage der Gehilfen. Das Corporationsgefühl war noch so wenig
lebhaft, dass den Berliner Strikenden aus ganz Deutschland nur
472 Thaler 5 Silbergroschen (wovon 125 Thaler allein auf Breslau
entfielen, während Leipzig nur 15 Thaler spendete), den Hamburgern,
welche mit ihrem Aufrufe später kamen, nur 110 Thaler 20 Silber¬
groschen zuflossen, während von den in Hamburg fortarbeitenden
Gehilfen ihren strikenden Collegen in sieben Wochen 2368 Mark
gespendet wurden. Am 27. August 1848 fand in Frankfurt ein Congress
von Buchdruckereibesitzern und Gehilfen statt, der wohl zu einer Verein¬
barung, und zwar auf dem Satz von 8 Kreuzer pro Tausend Petit bis
Cicero führte, aber dieselbe wurde auch nicht allgemein angenommen.
Am 2. December 1848 erschien im „Gutenberg“ die Ankündigung
eines allgemeinen deutschen Gutenbergbundes, welcher die Aufrecht¬
haltung des Tarifes und eine gemeinsame Viaticums-, Kranken- und
Invalidenkasse durchführen sollte; am 15. Juni 1849 hatte derselbe
schon soviele Theilnehmer gefunden, dass ein Centralvorstand in Berlin
constituirt werden konnte. Die Urheber dieses Bundes waren K. F. H.
Kannegiesser, ein Literat, dessen klarer Geist und dessen conservativ-
demokratischer Sinn die Bewegung in gesetzliche Bahn leitete und Karl
Fröhlich, ein Buchdrucker, dessen Feuereifer Propaganda für die Ideen
Kannegiessers machte; auf zwei grossen Reisen durch Deutschland
gelang es seiner Beredsamkeit den Sinn für die gemeinsamen Ziele zu
wecken. Am 30. September 1849 sollte in Berlin ein Congress statt-
finden, um den Bund zu constituiren, aber dieser Congress wurde von
der Behörde aufgelöst und die Abgesandten ausgewiesen, weil der §. 2
der Statuten: „Der Bund erkennt als Hauptmittel zur Förderung des
materiellen und geistigen Wohles der Buchdrucker die Begründung
und Organisation einer innigen Verbrüderung der Buchdrucker und
Schriftgiesser zu gegenseitigem Schutz gegen Unrecht und Noth“ als
ungesetzlich erklärt wurde. Dennoch wurde der Gutenbergbund ins
Leben gerufen, nur hatte er keinen langen Bestand. Im Jahre 1850
wurde er in Bayern als den bayerischen Staatsgesetzen zuwiderlaufend
Sociale Bestrebungen nach dem Jahre 1848.
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aufgehoben, in Berlin wurde der Central Vorstand am 5. Juni 1850
aufgelöst, welche Entscheidung jedoch vom Berliner Stadtgerichte am
15. Mai 1851 aufgehoben wurde. Im Jahre 1852 erhielten Fröhlich
und Kannegiesser bei Vernehmungen in betreff des Gutenbergbundes
überhaupt und insbesondere huf bayerische Requisition in betreff
der Bundesangehörigkeit von Nürnberg und Erlangen auf dem Vereins¬
bureau der Berliner Polizei die Andeutung, dass die preussische
Behörde genöthigt sein werde, gegen den Gutenbergbund in Preussen
einzuschreiten, falls sich derselbe nicht freiwillig auflösen sollte. Die
Vorwürfe, welche gegen den Bund erhoben wurden, bestanden haupt¬
sächlich darin, dass er ein „Product der Associationssucht“ und „ein
Staat im Staate“ sei. Da zu gleicher Zeit die Bundesvereine und Vor¬
stände in verschiedenen Ländern mit Suspensionen, Anklagen, Haus¬
durchsuchungen und Gefängnissstrafen heimgesucht wurden, legten
am 15. August 1852 Fröhlich und Kannegiesser ihr Amt als Central¬
vorstand zurück und an die Stelle des Bundes trat die Selbständigkeit
der Ortskassen, wobei die Zwecke des Bundes soviel als möglich durch
Anerkennung der Freizügigkeits- und Gegenseitigkeits-Verhältnisse
gewahrt wurden.
Um diese Zeit trat Schulze aus Delitzsch mit der Propagirung
eines anderen Princips der Selbsthilfe hervor, welches durch Consum-
vereine und gewerbliche Association erreicht werden sollte. Auf Grund
dieses Princips sind dann in verschiedenen Städten Genossenschafts¬
druckereien entstanden; viele sindtheils durch die Unbotmässigkeit der
Arbeiter, theils durch den Eigennutz der Leiter zu gründe gegangen,
nirgends haben sie sich so aufzuschwingen vermocht, wie die Privat¬
industrie, mit alleiniger Ausnahme der Vereinsbuchdruckerei zu
Stuttgart.
Im Jahre 1863 trat Lasalle als Agitator unter den Arbeitern auf,
um sie für seine Ideen der Staatshilfe zu gewinnen; anfangs stiess er
auf einen ziemlich heftigen Widerstand bei den selbstbewussten
Arbeitern, welche auf die Selbsthilfe bauten, aber die Enttäuschungen
der Fünfziger-Jahre hatten in vielen Kreisen Entmüthigung hervor¬
gerufen und die schimmernden Verheissungen von Staatshilfe fanden
bald eifrige Apostel und gläubige Anhänger.