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Lehrlingswesen. Vermehrung dei; Biicherproduction.
Eine Anzahl armer intelligenter Kinder waren durch Vorurtheile
(uneheliche Geburt) von der Erlernung der Buchdruckerkunst aus¬
geschlossen und die Producte der Postulatszeit sprechen gerade nicht
für die guten Erfolge der alten Lehrzeit. Im XIX. Jahrhundert wurde
die Pforte der Buchdruckerei jedem geöffnet, die Lehrzeit auf fünf,
vier und drei Jahre herabgesetzt (nach den bayerischen Gewerbe¬
ordnungen von 1826 und 1835 durfte die Lehrzeit nicht über drei und
nicht unter anderthalb Jahren dauern) und so war es kein Wunder,
dass Knaben in Masse in die Druckerei strömten, um dieselbe zu
erlernen. Unter allen Gewerben, welche armen Kindern zugänglich
sind, umgibt die Buchdruckerkunst eine der schönsten Aureolen, die
geistige Beschäftigung adelt den Arbeiter im Kreise seiner Genossen,
er selbst nennt sich „Künstler“ und der Verdienst steht hinter dem
anderer Beschäftigungen, welche dem armen Knaben offen stehen,
nicht zurück. Hat er Fleiss, Geschick und Streben, so ist er sicher, sich
einen besserenPlatz zu erringen, ja selbst trotz der grossenKosten einer
Druckerei ist heutzutage die Erringung der Selbständigkeit nicht aus¬
geschlossen, und es gelingt manchen kleinen Geschäften, sich zum
erstenRange durchStreben undEifer aufzuschwingen. Die Productions-
weise der Neuzeit hat den Kampf um das Dasein geschärft, aber sie
hat auch dem Fleiss, dem Talent und der Ausdauer grössere Aussichten
auf Erfolg eröffnet.
Eine Folge der Vermehrung der Druckereien und der Ermässigung
der Arbeitspreise war die Vermehrung der Bücherproduction. Zwar
ging in Deutschland die Zahl der erschienenen Bücher, welche im
Jahre 1800 circa 4000 betrug, in Folge der Kriege anfangs zurück, sie
sank sogar 1814 auf 2861, aber schon 1821 stieg sie auf 4500, 1826
auf 5168, 1829 auf 6794, 1830 auf 7308, 1831 auf 7757, 1832 auf
8555, 1834 auf 9258, 1837 auf 10.118, 1840 auf 11.151, 1843 auf
14.039, eine Zunahme, welche bei der Lehrlingsbeschränkung des
Postulats unmöglich gewesen wäre.
Einen wesentlichen Antheil an der Vermehrung der Bücher¬
production hatte die Einführung der Schnellpressen, obgleich dieselbe
eine zeitlang schlimme sociale Uebelstände zur Folge hatte, da nur
wenige Buchdruckereibesitzer ihre Drucker zur Bedienung der Maschinen
Die Schnellpressen und die Drucker. Setzerlöhne.
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verwendeten, sondern sie einfach entliessen, worauf sich ein grossei
Theil lange Zeit auf den Landstrassen herumtrieb und zu gründe ging,
ein anderer Theil als Tagelöhner verkümmerte. Daher richtete sich
der Ingrimm der Arbeiter gegen die Maschinen; in der Juli-Revolution
1830 wurden die Schnellpressen der Buchdruckereien Lachevardier,
Pillard, Huzard und in der königlichen Druckerei zu Paris zerstört,
während in anderen Druckereien die Arbeiter dagegen protestirten; im
Jahre 1848 bildeten die Buchdrucker in Paris selbst ein Corps, um die
Maschinen zu schützen. In Deutschland suchte man in dem laiife von
1848 die Handarbeit gegen die Maschinenarbeit zu schützen, es war
ein vergebliches Anstürmen gegen das rollende Rad der Zeit. Soviel
persönliches Elend derUebergang von der Handpressenproduction zur
Maschinenproduction zur Folge hatte, so wird doch jetzt, wo dieser
Uebergang überwunden ist, kein Drucker die Schnellpresse mehr ver¬
fluchen, in dem Kampfe ging die Unfähigkeit und die Mittelmässigkeit
zu gründe, es siegte aber die Intelligenz, der Drucker ist Maschinen¬
meister geworden, der allerdings mehr Kenntnisse besitzen muss, als
der frühere Drucker, aber auch gut bezahlt wird.
In der Setzerei besteht bis heute noch die Handarbeit fast unbe¬
schränkt. Hier fand nach Aufhebung des Postulats ein allmählichei
Rückgang in den Preisen statt, welcher um so unangenehmer empfunden
wurde, als die Preise der Lebensmittel und sonstigen Bedürfnisse
stiegen. Hätte in Deutschland die Coalitionsfreiheit bestanden, so hätte
dieses Herabsinken der Preise zu einer Zeit der vermehrten Production
nicht stattfinden können, denn die Erfahrung hat gelehrt, dass in Zeiten
der zunehmenden Production die Arbeitseinstellung zu einer Preisauf¬
besserung führt, während sie in Zeiten ungünstiger wirthschaftlicher
Verhältnisse stets Misserfolge aufweist. In England fand eine gleiche
Entwerthung der Arbeitskraft nicht statt, da hier wiederholt Organi¬
sationen zur Feststellung der Arbeitspreise gebildet wurden (so in den
Jahren 1810, 1816, 1820, 1826, 1834 u. s. w.), welche zur Folge hatten,
dass die Arbeitspreise von 1785—1835 um 50 Percent stiegen. In
England entstand auch jene, die Arbeitsleistung bis ins einzelne genau
feststellende Berechnung, welche auf der Zahl der gesetzten Buchstaben
beruht, die Grösse der Kegel, das Format, den Durchschuss, den ge-