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Rückblick.
schieden vereinigte, alle Formen der Körper gab, welche man wünschte.
Vergleicht man aber die Schönheit der JENSONSchen Typen mit den
anderen gleichzeitigen, so gilt auch vom Schriftgiesser das, was S. 18
vom Buchdrucker gesagt wurde: langsam und sorgfältig arbeitend,
Meister seines Instrumentes, konnte er auch mit einem primitiven
Werkzeuge Gutes leisten.
Ich habe nun die verschiedenen Bestandtheile der Buchdruckerei
erörtert und ich glaube, dass kein Historiker von Fach die Methode
beanständen wird, die ich dabei befolgt habe. Zunächst habe ich die
Person des Erfinders und den Ort der Erfindung ganz ausser Augen
gelassen, um nur die Sache selbst in ihrer genetischen Entwicklung zu
betrachten. Die alten Zeugnisse habe ich mit Misstrauen behandelt,
denn das Misstrauen ist der beste Richter. Ueberliefemngen sind wie
Kometen, an einem kleinen Kern hängt ein prächtiger phantastischer
Streif, das oberflächlich urtheilende Publicum bewundert den prächtigen
Streifen, der Kenner sucht nach dem Kerne. Ueberliefemngen buch¬
stäblich zu glauben, ist so irrig, als sie wegen einzelner absichtlicher
oder unabsichtlicher Unrichtigkeiten zu verwerfen, man muss sie prüfen.
Ich habe sie mit den besten Mitteln geprüft, welche vorhanden sind,
ich habe sorgfältig alles gesammelt, was sich an Nachrichten über alte
Druck- und Giesswerkzeuge und Methoden vorfand, ich selbst habe
Gelegenheit gehabt, in allen Zweigen des Buchdrucks Erfahrungen zu
sammeln, ich kenne die alte Holzpresse aus eigener Handhabung, ich
habe jahrelangmitStempelschneidern, Schriftgiessern und Xylographen
geschäftlich verkehrt, ein Vierteljahrhundert als Setzer in verschiedenen
Druckereien gearbeitet, ich habe zu einer Zeit begonnen, wo die Hilfs¬
mittel der neuen Technik noch nicht vorhanden waren, wo mit Papier-
und Kartenspänen die Unvollkommenheit der alten Giessstücke aus¬
gebessert werden musste, wo der Satz eines Gedichtes noch dieselbe
Neigung zum Krümmen längerer Endzeilen zeigte, wie sie im Speculum
humanae salvationis zu bemerken ist, wo ferner in Ermangelung der
jetzigen Hohlstege Ausgangscolumn en mitHolzstegen ausgefüllt wurden,
wie bei den ersten Mainzer Buchdruckern, ich habe aber auch sorgfältig
die Meinungen erwogen, welche der meinigen entgegenstehen und
Gründe gegen Gründe abgewogen, ich habe mich nur von der Wahr¬
Bewegliche Typen der Römer.
scheinlichkeit leiten lassen und von Wahrnehmungen, welche ich beim
Studium der Ineunabeln gemacht habe, ich habe selbst kleine Erfin¬
dungen, wie z.B. die des stenographischen Typendrucks gemacht und
dabei erfahren, wie man nur schrittweise zum Ziele kommt, wie man
oft dasjenige nicht gleich bemerkt, was nahe zu liegen scheint, und wie
man, getrieben von der Einsicht in die Macht des Könnens, eine Arbeit
ganz verwerfen kann, die einem Ändern, Fernestehenden, gleichwohl
genügt, — mögen Andere den Erfinder der Buchdruckerkunst mit
einem geistigen Riesensprunge die Entdeckung von Stahlstempeln,
Matrizen und der damit zusammenhängenden vollkommenen Giesserei
machen lassen, ich kann ihrer Phantasie nicht folgen, ich glaube der
Ehre des Erfinders gerecht geworden zu sein, wenn ich nachgewiesen
habe, dass alle wesentlichen Elemente des Drückens und Schriftgiessens
aus seinem Geiste entstanden sind, und nur Eine Vervollkommnung
einem seiner Schüler zufiel, der sich allerdings einbildete, dadurch
grösser geworden zu sein, als der Meister selbst.
Die Verwendung beweglicher Typen zum Druck von Büchern ist
das unbestreitbare Original-Verdienst desselben Mannes, der die Buch¬
druckerpresse erfand. Dass man mit beweglichen Typen Wörter
zusammensetzen könne, wussten die alten Römer, dass man damit
Bücher drucken könne, darauf verfielen sie nicht.
Cicero lässt den Stoiker Balbus dem Epikuräer Vellejus entgeg¬
nen: „Sollte ich mich denn nicht wundem, wenn sich einer überredete,
eine Anzahl fester und theilbarer Körper könne durch Schwerkraft
zusammengebracht und aus ihrem zufälligen Zusammentreffen eine
ordnungsvolle und wunderschöne Welt gebildet werden? Wenn er
glaubt, dass dies habe geschehen können, so sehe ich nicht ein, warum
derselbe auch nicht glauben sollte, dass wenn man unzählige Formen
der 21 Buchstaben (von Gold oder anderem Stoffe) zusammenwürfe
und auf die Erde schüttete, dadurch die Annalen des Ennius hervor¬
gebracht und lesbar dargestellt werden können, wovon ich zweifle,
dass der Zufall auch nur in einem einzigen Verse so viel vermögen
könnte.“ (Cicero, de natura Deorum, lib. II, 20.)
Quintilian erzählt: „ Ich schliesse die bekannte Methode, die Kinder
zum Lesen zu ermuntern, nicht aus, welche darin besteht, ihnen unter