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Entwicklung der Antiqua.
Während man früher die verschiedenen Garnituren einer Schrift
durch kleines oder grösseres Auge unterschied, fing man zu Anfang
dieses Jahrhunderts an, dieselben auch durch fettere Grundstriche zu
unterscheiden. Die 8 bis 10 Nummern einer CASLONschen Pica oder
Brevier zeigen alle Abstufungen von der mageren bis zur fetten und
halbfetten Schrift. Es ist oben (S. 597) erwähnt worden, wie die halb-
Die unbegrenzte Dankbarkeit, welche jeder gebildete und den¬
kende, in europäischer Cultur erzogene Mensch dem Erfinder der
Buchdruckerkunst schuldet, mischt sich mit der Bewunderung der
sinnreichen und mühevollen Erfindung, welche nur der Fachmann
ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ
abcdefghijklmnopqrstuvwxyz 1234567890
Nr. 271. Antiqua von Walbaum. (Typen der k. k. Hof- und Staatsdruckerei in Wien.)
Die unbegrenzte Dankbarkeit, welche jeder gebildete und
denkende, in europäischer Cultur erzogene Mensch dem Erfinder
der Buchdruckerkunst schuldet, mischt sich mit der Bewunderung
der sinnreichen und, mühevollen Erfindung, welche nur der Fach-
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abcdefghij kl mnopqrstuvwxyzl234i567890
Nr. 272. Gursiv von Walbaum. (Typen der k. k. Hof- und Staatsdruckerei in Wien.)
fetten englischen Schriften so beliebt waren, dass die Pariser Staats¬
druckerei sie durch Jacquemin nachschneiden liess; in Deutschland
wurde diese Schriftart durch den WALBAUMschen Schnitt bekannt und
beliebt, von dem Nr. 271 und 272 Proben geben. Diese Schrift ist
Quousque tandem abutere, CAT1LINA, patientia nostra? quamdiu nos
etiam furor iste tuus eludet? quem ad finem sese effrenata jactabit audacia?
nihilne te nocturnum præsidium palatii, nihil urbis vigiliæ, nihil timor populi,
nihil consensus bonorum omnium, nihil hic munitissimus habendi senatus
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abcdefghijklmnopqrstuvw
Nr. 273. Antiqua von LoeuilletBertbakd in Paris. (Typen aus der Officin von W.Drugulik in Leipzig.)
mit Unrecht in Deutschland die „französische“ genannt worden. In
den Vierziger-Jahren wurde sie durch einen mageren Ductus allmählich
verdrängt. Im Jahre 1841 kündigte die Schriftgiesserei von J. B.
Culemann & Sohn in Hannover ihre magere Antiqua, geschnitten von
Loeuillet Bertrand in Paris, mit der Bemerkung an, dass sich dieselbe
noch in keiner deutschen Officin befinde. Diese Schrift, von der Nr. 273
Entwicklung der Antiqua.
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eine Probe gibt, erhielt in Deutschland den Namen „englische Antiqua“,
da sich die Engländer vorzugsweise der mageren Schrift bedienten.
In diesem Sinne kann man noch heute von einer englischen und
französischen Antiqua sprechen, die Franzosen wenden zwar die obige
halbfette Schrift nicht mehr an (in der Pariser Staatsdruckerei wird
sie nur zu Affichen verwendet), aber sie ziehen noch immer eine Schrift
mit kräftigen Grundstrichen vor. In Deutschland ist ein bestimmter
Charakter nicht bemerkbar, man findet Schriften mit mageren und
Quousque tandem abutere, CATILINA, patientia nostra? quamdiu
nos etiam furor iste tuus eludet? quem ad finem sese effrenata jactabit
audacia? nihilne te nocturnum præsidium palatii. nihil urbis vigiliæ,
nihil timor populi, nihil consensus bonorum omnium, nihil hic munitis-
ABCDEFGHIJKLMNOPQRS
abcdefghij к 1 m n opqrstuvw
Nr. 274. Antiqua von Rösch. (Typen aus der Officin von W. Drugulin in Leipzig.)
kräftigen Grundstrichen im Gebrauch, insbesondere ist jene Beharr¬
lichkeit, mit welcher die Pariser Staatsdruckerei an ihrer Garnitur
vom Jahre 1825 festhält, hier nicht bekannt. Und doch ist sie voll¬
kommen berechtigt. Eine Garnitur von Diamant bis Canon mit der
entsprechenden Cursiv erfordert ein bedeutendes Capital. Eine Privat¬
druckerei, welche 4 bis 5 Antiquagarnituren hat, kann nur einzelne
Die grossen Anforderungen, welche die Jetztzeit an die Bildung
und das Wissen eines jeden Einzelnen stellt, bedingen ein früh¬
zeitiges und reges Studium auf allen Gebieten der Wissenschaft.
Unsere Jugend ist deshalb genöthigt, sich nicht nur früher,
sondern auch anhaltender und angestrengter geistig zu be¬
schäftigen, als unsere Vorfahren dies thun mussten, von welchen
Nr. 275. Antiqua von May. (Aus der Schriftgiesserei von C. J. Ludwig in Frankfurt am Main.)
Kegel anschaffen, sie besitzt dann Vielerlei und nichts vollständig;
wobei es geschehen kann, dass die Cursiv nicht zum Texte stimmt.
Als Proben neuerer Schriften folgen hier: eine Antiqua von
Rösch in Leipzig (1844—1863), dessen Schriftgiesserei auf Emil Berger
überging und jetzt im Besitze von R. Baukal ist, ferner eine Antiqua
des Stempelschneiders May aus der Schriftgiesserei von C. J. Ludwig
in Frankfurt am Main, eine Probe der BAUERSchen Antiqua (S. 574),