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Durchlöcherte Buchstaben.
man Merkmale bedurfte, um auf den ersten Augenblick zu wissen, in
welcher Lage sich der Buchstabe befinde. Ich glaube überhaupt, dass
aus diesem Bedürfnisse nie die Signatur hervorgegangen ist. Ich habe
jahrelang stenographische Typen gesetzt, bei welchen die Buchstaben
auch in verkehrter Form für andere Laute dienen, äussere Merkmale
also ganz überflüssig sind und ich habe sofort, wenn ich den Buchstaben
beim Kopf ergriff, gefühlt, ob ich ihn recht oder umgekehrt hielt, denn
die Buchstaben hatten oben etwas weniger Fleisch als unten. Ich glaube
auch, dass das Loch durch den ganzen dünnen Buchstaben geht und
das, was sich im Loch abdruckt, Schmutz ist; ich glaube ferner, dass
lange Zeit die Buchstaben mit Löchern gegossen wurden, dass man
einen Draht hindurchzog und dass man später den Draht vor den
Buchstaben legte, woraus die halbrunde Signatur entstand, welche
man auch dann beibehielt, als man keinen Eisendraht mehr zum Setzen
verwendete. Ich schliesse das aus folgenden Gründen. De Vinne hat
eine Probe von Satz gegeben, in welchem sich einige Buchstaben von
stärkerem Kegel befanden, welche auf die unteren Zeilen drücken und
dem Satze jene Form geben, welche man in der Setzersprache einen
„Eierkuchen“ nennt, Dr. v. d. Linde hat das nachgemacht, ich habe
aber nicht recht begriffen, was sie damit beweisen wollten. Waren die
Buchstaben des XV. Jahrhunderts nicht gut gegossen und nicht gut
geschliffen, dann mussten die Seiten ohne Durchschuss diese Eier¬
kuchenform annehmen. Nun stehen die Buchstaben häufig höher oder
niedriger, aber die Zeilen stehen immer gerade, kein Ausbiegen nach
oben oder nach unten ; das konnte nur möglich sein, wenn die Zeilen
in sich einen Halt hatten und dieser war der Eisendraht. Ich möchte
sogar vermuthen, wer die Löcher beseitigt und dafür die halbrunde
Signatur eingeführt hat, bei welcher der Draht vorne an der Zeile liegt;
dies dürfte nach der Gleichmässigkeit, mit welcher seine Buchstaben
Linie halten, Nicolaus Jenson in Venedig 1470—1480 gewesen sein,
dessen Typen bald wegen ihrer Schönheit von den Druckern anderer
Länder verschrieben wurden undden Löchern den Garaus machten. Doch
schreibt Falkenstein noch 1840: „Wilsons Glasgow Letter Foundery
liefert Typen mit kleinen hervorragenden länglich runden Knöpfchen,
welche genau in die gegenüberliegende Kerbe passen, und auch mit
Durchlöcherte Buchstaben.
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halbcirkelförmigen Oesen, um, wenn die Seite gesetzt ist, einen Messing¬
draht hindurchzuziehen, dass kein Buchstabe von dem Ballen oder dem
Farbecylinder ausgerissen werden kann.“ Thatsache ist, dass in den
Rechnungen der Ripoli-Druckerei zu Florenz (s. oben S. 23) unter den
Schriftgiesserei-Utensilien auch Eisendraht vorkommt, den unsere
heutigen Schriftgiesser nicht verwenden. Hatten aber Metallbuchstaben
Löcher, so лѵагеп dieselben bei Holzbuchstaben um sö mehr nöthig,
da der geschnittene Buchstabe nie so rechtwinkelig ausfallen kann, als
der gegossene. Bei Holzbuchstaben genügte eine Schnur, um die Buch¬
staben zu verhindern, von den Druckerballen aus der Zeile heraus¬
gezogen zu werden. Eine Schnur, wie sie noch gegenwärtig zum Zu¬
sammenbinden von Columnen dient, konnte die Seiten noch in der
Presse Zusammenhalten, wenn dieselben sonst mit Holzstegen fest
verkeilt waren; ob die alte Schraubenrahme schon bei den ersten
Drucken verwendet wurde, wissen wir nicht, indessen ist es möglich,
dass sie verwendet wurde.
Nun wird man fragen : wie konnte man corrigiren und einzelne
Buchstaben aus der Zeile herausziehen, wenn sie durch eine Schnur
oder einen Eisendraht zusammenhingen? Nun, das Corrigiren mag da¬
durch erschwert worden sein, aber es war nicht unmöglich, es musste
eine ganze Zeile herausgenommen und aufgelöst werden. Wie übrigens
damals corrigirt wurde, davon kann ich eine Probe geben. Die Wiener
Hofbibliothek besitzt zwei Exemplare eines von Mentel in Strassburg
gedruckten Werkchens: Augustinus de arte predicando welche als zwei
Ausgaben bezeichnet werden, da sie durch den Satz einer Zeile ver¬
schieden sind, in dem einen Exemplar steht nämlich im Inlialtsver-
zeichniss :
vietarle itibifi«. lacrime fut aubienriïi. "BK in tnrbio 1 lit fíe.
Da alle Zeilen des Inhaltes mit Versalien anfangen, so war das
kleine v ein Fehler, daher steht im ändern Exemplar:
'SMctaric tubiciu. lacrime lut aubienciit. "BR in mcbio ^ T fie.
Woher gewann der Setzer den Raum für den Versalbuchstaben?
Die Spatien waren gleich, es gab keine dicken und dünnen; das
vorletzte Wort zeigt, was er that: er kürzte in ab. Ich habe beide
Exemplare genau verglichen, ein Neusatz liegt nicht vor, es ist sogar