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Presspolizei in Deutschland. Ein fürstlicher Buchdrucker.
regelmässig verurtheilen, hat sich die österreichische Regierung veran¬
lasst gesehen, seit der Einführung von Geschwornengerichten einen
Ausweg zu suchen, und um der Freisprechung der Angeklagten zu
entgehen, sich mit einem „objectiven Strafverfahren“ zu begnügen, bei
welchem nur der Inhalt einer Druckschrift, nicht aber der Verfasser
derselben angeklagt wird und das Gericht nur auf die Bestätigung der
Beschlagnahme und die Vernichtung der incriminirten Schrift zu
erkennen hat.
Somit besteht jetzt in Deutschland und Oesterreich ein Zustand,
welchen man „beschränkte Pressfreiheit“ nennen könnte, indem die
Bestimmungen über die Strafbarkeit religiöser, politischer und socialer
Erörterungen dehnbarer Natur sind; positiv verboten sind nur sitten¬
verderbende Schriften. Gegenüber wissenschaftlichen und belletristi¬
schen Schriften beschränkt sich die Behörde auf das Verlangen von
Pflichtexemplaren.
An Begünstigungen der Buchdrucker hat es im jetzigen Jahr¬
hundert nicht gemangelt, eine grosse Anzahl wurde mit Orden aus¬
gezeichnet, einzelne auch in den Adelstand erhoben; mehr als früher
haben die Regierungen die Bedeutung erkannt, welche die Hebung der'
Industrie für den Nationalreichthum hat.
Auch ein fürstlicher Buchdrucker ist in diesem Jahrhundert zu
verzeichnen, wenngleich derselbe frühzeitig den Winkelhaken mit dem
Schwerte vertauschen musste. Es ist der jetzige Kronprinz von Preussen,
Friedrich Wilhelm, welcher im Jahre 1845 mit seiner Mutter die
HÄNELsche Buchdruckerei in Berlin besuchte und dort an der Buch¬
druckerkunst ein so tiefes Interesse zeigte, dass ihm die Königin
Elisabeth zuWeihnachten eine kleine Druckerei zum Geschenke machte.
Ein Lehrling von Hänel wurde dazu bestimmt, den Prinzen in die Buch¬
druckerkunst einzuführen, während Hänel von Zeit zu Zeit die Resultate
inspicirte. Von Druckwerken ist jedoch nichts veröffentlicht worden.190
In England führten die Repressivmassregeln von 1808—1821
101 Pressprocesse herbei, bei denen 94 Verurtheilungen erfolgten.
Nicht jeder Angeklagte verstand sich so zu vertheidigen, wie der Buch¬
händler William Hones, welcher 1817 angeklagt war, in einer gott¬
losen und frevelhaften Schmähschrift durch Parodirung von Bibelworten
Presspolizei in England und den übrigen Ländern.
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die Religion herabgewürdigt zu haben. Unermüdlich während dreier
Tage vertheidigte sich der unscheinbare Mann, indem er Stunde um
Stunde aus alten Folianten und Zeitungen, welche er vor sich auf-
gehäuit hatte, Stellen vorlas, aus denen er bewies, dass nach den
Grundsätzen der Anklage Luther und mancher andere fromme Mann,
selbst orthodoxe Bischöfe, Pamphletisten und Parodisten gewesen
wären. Es half nichts, ihn zu unterbrechen, er behauptete sein Recht
und wurde unter dem brausenden Beifälle des Auditoriums von den
Geschwornen in drei Pressprocessen freigesprochen, worauf er ruhig
und bescheiden zu seinen Büchern in einem Winkel Londons zurück¬
kehrte.
Unter Georg IV. wurden die Pressgesetze verschärft, das Gesetz
vom 30. December 1819 hat den Namén „Knebelbill“ erhalten, es
bedrohte „rückfällige Verfasser gottloser und aufrührerischer Schriften“
mit der Strafe der Transportation. Erst das Gesetz vom Jahre 1837
führte eine Erleichterung herbei und im Jahre 1869 erfolgte ein förm¬
licher Widerruf der die Presse bedrückenden Gesetze Georgs III. und
Georgs IV.191
In Italien, Spanien und Portugal wechselten die Gesetze je
nach den Principien der Regierungen. Unter dem absolutistischen
Regime herrschten strengere Pressgesetze als unter liberalen Regie¬
rungen, die Mittel zur Beaufsichtigung der Presse wurden den ver¬
schiedenen in Frankreich angewendeten Praktiken nachgebildet.
In Belgien lautet der Artikel 18 der Verfassung: „Die Presse ist
frei, die Censur kann nie eingeführt werden, es bedarf auch keiner
Sicherheitsleistung von Seite der Schriftsteller, Verleger oder Drucker.
Wenn der Schriftsteller bekannt und in Belgien ansässig ist, so kann
der Verleger, Drucker oder Vertheiler (Buchhändler) nicht gerichtlich
verfolgt werden.“ ln Norwegen bestimmt der §. 100 der Verfassung:
„Keiner kann wegen einer Schrift, die er hat drucken oder heraus¬
geben lassen, von welchem Inhalt sie auch sein mag. gestraft werden,
es sei denn, dass er selbst vorsätzlich und offenbar einen Ungehorsam
gegen die Gesetze, Geringschätzung der Religion, Sittlichkeit, oder
der constitutioneilen Gewalten oder Widersetzlichkeit gegen deren
Befehle an den Tag gelegt oder andere dazu aufgereizt, oder falsche
Faulmann, Gesch. d. Buchdruckerkunst. Qr*