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Presspolizei in Deutschland.
Als charakteristisch kann die preussische Verordnung vom
30. Juni 1849 angesehen werden, welche auch mit wenigen Abände¬
rungen in mehreren kleinen Staaten Eingang fand. Auf jeder Druck¬
schrift musste der Name und Wohnort des Druckers, auf den zur Ver¬
breitung bestimmten auch der Name des Verlegers oder Commissionärs,
oder des Verfassers oder Herausgebers genannt sein. Ein Exemplar
von jeder Nummer einer Zeitschrift war, sobald die Austheilung oder
Versendung begann, bei der Ortsbehörde zu hinterlegen. Herausgeber
von Zeitschriften waren verpflichtet, Entgegnungen zur Berichtigung
der in denselben enthaltenen Thatsachen, zu welcher sich die bethei¬
ligte öffentliche Behörde oder Privatperson veranlasst fand, sowie jede
amtliche Bekanntmachung in der nächsten Nummer aufzunehmen.
Placate waren nur für Anzeigen und amtliche Bekanntmachungen
gestattet, die Colportage wurde verboten. Für den Inhalt einer Druck¬
schrift waren der Verfasser, Herausgeber, Verleger oder Commissionar,
Drucker und Verbreiter verantwortlich und in der angegebenen Reihen¬
folge zu verfolgen. Als strafbar galten : Aufforderungen oder Anreizungen
zur Begehung einer strafbaren That, auch wenn dieselbe ohne Erfolg
.geblieben war, Aufforderung zum Ungehorsam gegen die Gesetze,
Verordnungen oder sonstigen Anordnungen der zuständigen Obrigkeit.
Behauptung erdichteter oder entstellter Thatsachen, welche in der
Voraussetzung ihrer Wahrheit die Einrichtung des Staates oder die
Anordnung der Obrigkeit dem Piasse oder der Verachtung aussetzten,
gehässige oder verächtliche Aeusserungen über eine im Staate befind¬
liche Religionsgemeinschaft, Majestätsbeleidigung, Beleidigung des
Thronfolgers oder eines anderen Mitgliedes des königlichen Hauses,
sowie des Oberhauptes eines mit dem Staate in anerkanntem völker¬
rechtlichen Verkehr stehenden Staates, Beleidigung der Kammer,
eines Mitgliedes der Kammer, sonstiger politischer Körperschaften,
öffentlicher Beamten und Religionsdiener, Geschwornen oder eines
Mitgliedes der bewaffneten Macht, Verletzung der Sittlichkeit und
Verläumdung, bei letzterer war jedoch der Gegenbeweis der Wahrheit
zulässig. Die Strafe bestand in Zuchthaus, Gefängniss oder Geld¬
strafen. War eine Druckschrift derart, dass gegen ihren Inhalt eine
Verfolgung einzutreten hatte, so waren die Staatsanwälte und deren
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Organe berechtigt, die Druckschrift, sowie die zur Vervielfältigung
bestimmten Platten und Formen vorläufig mit Beschlag zu belegen.
Die Staatsanwaltschaft hatte binnen 24 Stunden ihre Anträge bei dem
zuständigen Gerichtshöfe zu stellen, der schleunigst über die Fortdauer
oder Aufhebung der Beschlagnahme zu entscheiden hatte. Die Entschei¬
dung des Rechtsfalles war dem Geschwornengerichte anheimgegeben.
Erwägt man die Dehnbarkeit des Begriffes der strafbaren Hand¬
lungen, so begreift man wohl, wie der „ Kladderadatsch “ die deutschen
Journalisten an Muth über den Mucius Scaevola stellen konnte, da
erstere sich mitunter nicht nur die Hand, sondern auch den Mund
verbrannt hätten. Dennoch folgten im Jahre 1850 strengere Gesetze.
Die Buchdruckerei-Concessionen wurden auf Widerruf gestellt, der
Post das Recht eingeräumt, den Vertrieb gefährlicher Blätter zu ver¬
weigern, ausländische Druckschriften konnten verboten und von der
Verbreitung im Inlande ausgeschlossen werden (was z. B. gegen die
„Gartenlaube“ angewendet wurde), für Zeitungen und Zeitschriften
wurden Cautionen eingeführt in der Höhe von 5000, 3000, 2000, 1000
Thalern, je nach der Grösse der Städte, und bei einer dritten Verur-
theilung konnte das fernere Erscheinen der Zeitschrift verboten werden.
Die Spalten des „Journals für Buchdruckerkunst“ enthalten eine reiche
Anzahl von Pressprocessen. «
Das Pressgesetz des deutschen Reiches vom 7. Mai 1874 rechnet
unter die strafbaren Handlungen auch: öffentliche Aufforderung zum
Aufkommen für die Strafen und Kosten wegen strafbarer Handlungen,
die Bekanntmachung der Anklageschrift oder anderer amtlicher Schrift¬
stücke eines Processes vor der stattgehabten Hauptverhandlung, und
die Verbreitung von Nachrichten über Truppenbewegungen oder Ver-
theidigungsmittel in Kriegszeiten gegen ein ausdrückliches Verbot des
Reichskanzleramtes.
Trotz aller Pressgesetze hängt die Freiheit der Meinungsäusserung
mehr von dem subjectiven Ermessen-des Richters als von den Bestim¬
mungen des Gesetzes ab; es ist eine unläugbare Thatsache, dass
berufsmässige Richter und Geschworene über die Schuld verschieden
urtheilen und während Wüttke in seinem Werke über die Zeitungen
darüber klagte, dass die Richter die wegen Pressdelicten Angeklagten