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Presspolizei in Deutschland.
Deutschland war zu Anfang des XIX. Jahrhunderts der franzö
sischen Invasion preisgegeben, die kleineren Staaten wurden bei de.
verschiedenen Friedensschlüssen als Tauschobjecte behandelt, weicht'
bald diesem, bald jenem Fürsten zugewiesen wurden; erst das Jah, ■
1815 brachte eine Regelung in dieses staatliche Chaos. In der Zerrüt¬
tung der politischen Zustände war auch das Innungswesen zu gründe
gegangen und die Regierungen beeilten sich, bei der Reorganisation
ihrer Staaten soviel Macht als möglich der Polizei zuzuweisen. So
wurden auch die gewerblichen Verhältnisse der Polizei übertragen und
das Postulat der Ruchdrucker aufgehoben. Rei dem Aufstande gegen
Napoleon war von verschiedenen Regierungen Pressfreiheit versprochen
und gewährt worden, soweit eine solche gegenüber der unbeschränkten
Gewalt der Polizei möglich war, da kein Gesetz gegen Hausdurch¬
suchung und V erhaftung schützte. Reispielsweise wurden 1822 Friedrich
Ernst Thein, ein Buchdrucker in Würzburg, sowie die Redacteure
der von Thein gedruckten Zeitungen „Bayrischer Volksbote“ und
„Volkstribun“, Dr. Eisenmann und Gottfried Widmann, verhaftet, an die'
Behörden in München eingeliefert und dort bis zum Jahre 1840 in
Gewahrsam behalten, ohne dass eine Anklage gegen sie erhoben wurde.
Erst im Jahre 1848 erhielt Thein die moralische Genugthuung, seine
mehrjährige Gefangenschaft als eine ungerechte anerkannt zu sehen,
während Widmann und Dr. Eisenmann auch materielle Entschädigung,
ersterer in einer Staatsanstellung, letzterer in Geld erhielten.189
Das geringe Mass an Pressfreiheit, welches in einzelnen kleinen
Staaten herrschte, musste aber auch verschwinden, als im Jahre 1819
der Bundestag ein Gesetz für alle deutschen Staaten erliess, wonach
auf die Dauer von fünf Jahren alle Schriften unter 20 Bogen der Censur
unterworfen wurden. Dieses Gesetz wurde 1824 auf unbestimmte Zeit
verlängert, und so aus einer provisorischen Massregel eine definitive
gemacht. Gegenüber diesen Zuständen erschienen die französischen
unter Louis Philipp als Ideal der Pressfreiheit, und mit sehnsüchtigen
Blicken schauten die deutschen Publicisten der liberalen Richtung über
den Rhein; einzelne, wie Börne, vertauschten sogar die Heimat mit der
Fremde, um der Censur zu entgehen. In Rheinbayern bildete sich 1832
ein Pressverein, um die Aufhebung der Censur zu erzwingen, Geld¬
Presspolizei in Deutschland.
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beträge wurden gesammelt, um Buchhändler und Buchdrucker für die
Strafen wegen des Drucks verbotener Bücher zu entschädigen. Diese
Opposition veranlasste die Regierung zur Versiegelung der Pressen des
„Westboten“ und der „Tribüne“, woraus Aufläufe entstanden, aber mit
diesen wurde auch schnell die ganze Bewegung unterdrückt.
In Preussen und Sachsen erfolgten in den Vierziger-Jahren einige
Erleichterungen in den Censurvorschriften, aber die Sache selbst blieb
und wie drückend das in Deutschland durch einen vortrefflichen Schul¬
unterricht intensiver gebildete Volk diese Bevormundung empfand,
beweist der Umstand, dass im Jahre 1848 auf die Kunde von der fran¬
zösischen Revolution überall der Ruf nach Pressfreiheit erscholl.
Wenn man der Meinung war, dass die Censur nothwendig' sei
für die Ruhe des Volkes, so bewies der Bundestag das Gegentheil,
indem er gerade in dieser Zeit der allgemeinen Unruhe durch den
Beschluss vom 3. März 1848 das Gesetz über die Censur aufhob und
den einzelnen Regierungen freistellte, Pressfreiheit nach Belieben zu
gewähren. Im Laufe des Monats März wurde in allen deutschen Staaten
unbeschränkte Pressfreiheit gewährt und eine Anzahl von Personen
machte davon Gebrauch wie die Schuljugend, welche nach Entfernung,
des strengen Lehrers sich durch Lärmen und Purzelbäume für die
erzwungene Ruhe rächt. Eine Masse von Flugschriften, Placaten und
obscuren Blättchen fiel über alles her, was bis dahin als unverletzlich
galt, aber im Grunde kam auf diese Weise doch nur ans Licht, was bis
dahin im Verborgenen gezischelt worden war. In diesen aufgeregten
Zeitläuften, in dieser schrankenlosen Pressfreiheit zeigte sich klar, dass
die Ideen von Republik und Pöbelherrschaft nur in einer geringen
Minderzahl Wurzel gefasst hatten, dass die Auswüchse der Pressfreiheit,
statt diese Ideen zu propagiren, abstossend wirkten und die Ordnungs¬
partei nur verstärkt hatten.
* Nicht von diesem Standpunkte fassten die Regierungen die
Sachlage auf, sie hielten den Schaum für das treibende Element, und
als die Autorität der Behörden, welche am meisten durch den eigenen
Schrecken gelähmt worden war, wieder erstarkte, schritt man zu
Gesetzen zum Schutze gegen den Missbrauch der Presse. An die Ein¬
führung der Censur dachte aber niemand mehr.