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Holzbuchstaben.
Wetter3' hat die Thorheit begangen, dies nachzumachen, er
iiess einen Satz in grossen Fracturbuchstaben in Holz mit Zwischen¬
räumen zwischen den Buchstaben schneiden, dann die Tafel zersägen
und die Buchstaben zusammensetzen. Was er geliefert, bietet gar
keinen Beweis; die Buchstaben stehen so weit auseinander und so
krumm, wie sie in keinem Druckwerke Vorkommen. Dabei hat er sich
noch lächerlich gemacht, indem er Seite 303 sagte: „Diese Holz¬
buchstaben mit ihrem Rahmen habe ich auf der Stadtbibliothek hinter¬
legt, wo sie jederzeit gesehen werden können“, während Bernard 38
erzählt: „Bei meiner Durchreise durch Mainz 1850 bat ich Herrn
Wetter, den Autor einer Geschichte der Buchdruckerkunst, mich die
Holztypen sehen zu lassen, welche er für die Tafel I seines Werkes
hatte schneiden lassen. Er hatte die Güte, mich zu seinem Buchdrucker
zu führen, in dessen Atelier er sie gelassen hatte, aber der Factor sagte
uns, dass sie gestohlen seien. Vielleicht wird eines Tages ein naiver
Deutscher, der sie in der Hinterlassenschaft des Diebes findet, sie uns
als Gutenbergcharaktere ausgeben. So entstehen oft Traditionen.“
Es ist möglich, dass der Erfinder der Buchdruckerkunst einige
Zeilen auseinander sägte, um zu sehen, wie sich die Buchstaben
zusammensetzen Hessen, aber nie konnte es ihm einfallen, mit solchen
Buchstaben zu setzen und zu drucken. Der Mann, dessen Bücher ein
hochentwickeltes Schönheitsgefühl zeigen, konnte unmöglich an einen
Diuck mit windschiefen, auseinanderstehenden Buchstaben denken,
und dei Geist, der das schwierige Problem einer Druckerpresse gelöst
hatte, konnte keine Schwierigkeit finden, rechteckige, gut aneinander-
schliessende blinde Typen zu hobeln, auf denen er dann das Auge aus-
schnitt oder ausschneiden liess.
Die Nachricht von der Existenz der Holzbuchstaben taucht so
bestimmt auf, dass an derselben nicht zu zweifeln ist. Birken, der
Herausgeber des „Spiegels der Ehren des Hauses Oesterreich“, der
seine Nachricht über die Erfindung der Buchdruckerkunst jedenfalls
\on seinem Drucker, Johann Friedrich Endter in Nürnberg, hatte, sagt:
„Dergleichen alte gelöcherte Buchstaben werden allda zu Mainz heut¬
zutage (1668) den neuen Druckergesellen, wenn sie das Postulat ver¬
schenken, zum sogenannten Taufpfennig eingebunden.“ Es ist freilich
Holzbuchstaben.
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die Frage, ob diese Buchstaben von Gujenberg selbst herrühren, denn
ich bin der Meinung, class man noch lange nach Erfindung derSchrift-
giesserei hölzerne Buchstaben zu den grösseren Anfangs- oder Titel¬
zeilen gebraucht hat, da es sich nicht der Mühe verlohnte, für diese
Zeilen eigene Punzen zu schneiden, Matrizen zu machen uncl Buch¬
staben zu giessen. Man wird doch nicht auch daran zweifeln, dass die
Initiale von Holz waren, wie sie es zum Theile noch heutzutage sind?
Sch л ab 39 erzählt: „In Mainz bewahrte man mehrere hölzerne
Buchstaben, sie befanden sich in dem Hause zum Sewleffel, welches
sonst dem aus Nürnberg gebürtigen Buchdrucker Friedrich Hewmann
gehörte, welcher im Jahre 1508 Gutenbergs Apparate von den Marien-
thaler Karthäusern erkauft hatte. Der Buchdrucker Albinus zeigte sie
noch gegen das Jahr 1604 in dem nämlichen Hause dem Mainzer
Geschichtschreiber Serarius, noch hundert Jahre später will sie Paulus
Pater in Mainz gesehen haben.“ Helbig in Brüssel entdeckte im Jahre
1855 in den Werken des oben genannten Hewmann Lettern der 36-
zeiligen Bibel, die Wiener Hofbibliothek besitzt ein bei Hewmann
gedrucktes Werk des Jacobus Zabern Ars bene cantaäi choralem cantum,
in welchem die Ueberschriften mit Typen der 36zeiligen Bibel, die
Summarien in Schwabacher Schrift (der ältesten reinen Schwabacher,
welche ich gesehen habe) und der Text in der damals üblichen
Buchschrift gedruckt Vorkommen. Ich werde später ein Facsimile der
zu Lübeck 1494 gedruckten plattdeutschen Bibel bringen, wo in den
zwei grossèn Zeilen, welche sich auf der ersten Seite befinden, das n
eine Einschlingung vorne hat, welche auf den anderen Seiten nicht
mehr vorkommt. Eine solche Willkür konnte man sich bei geschnitzten
Buchstaben erlauben, nicht aber bei gegossenen.
Daher kann der Baumeister Dan. Specklin in Strassburg, der
1580 — 1589 eine Strassburger Chronik verfasste, in bestem Glauben
der Wahrheit geschrieben haben, wenn er sagt: „ich habe die erste
Press, auch die Buchstaben gesehen, waren von Holtz geschnitten, auch
gantze Wörter und Syllaben,' hatten Löchle, und fasst man an eine
Schnur nacheinander mit einer Nadel, zöge sie dar nach den Zeilen in
die Länge, es ist schad, dass man solches Werck, welches das allererste
in aller Welt gewesen ist, hat lassen verlohren werden.“ 40