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Gebräuche in England.
hartnäckigen Sinn und in der Folge war es nicht er, welcher sich
fügte; seine neue Ceremonie wurde nach und nach allgemein in
Deutschland an Stelle der alten angenommen.
In England hatte die „Kapelle“ (vgl. S. 406) ähnliche Formen
angenommen. M’Creery, welcher zu einer Zeit schrieb, wo die Um¬
wälzungen auf dem Gebiete der Gewerbe noch nicht einen verschiedenen
Ton und Charakter in das gute Verhältniss zwischen Arbeiter und
Arbeitgeber, welches der Zweck und die Grundlage der alten Ge¬
bräuche war, die den jetzt heranwachsenden Typographen kaum dem
Namen nach bekannt sind, gebracht hatte, berichtet darüber folgendes:
„In grossen Geschäften, wo viele Arbeiter beschäftigt wurden, war die
Berufung der Kapelle eine Sache von grosser Wichtigkeit und fand
gewöhnlich nur statt, wenn ein Mitglied einer Officin eine Klage gegen
einen Collegen vorzubringen hatte. Die erste Anzeige davon musste
demKapellenvater gemacht werden, der gewöhnlich der älteste Drucker
im Hause war. Fand dieser die Klage begründet und von der Art,
dass das Unrecht nur durch das Einschreiten des Gesetzes gesühnt
werden konnte, so berief er die Mitglieder der Kapelle vor seinen
Gerichtsstuhl und hier erfolgte in feierlicher Sitzung die Anklage und
die Vertheidigung, sowie das Urtheil mit typographischer Strenge und
Unparteilichkeit. Obgleich diese Händel Ursache- der Vernachlässigung
des Geschäftes und anderer Unregelmässigkeiten waren, riefen sie doch
häufig Scenen des reinsten Humors hervor. Die Strafe bestand gewöhn¬
lich in der zwangsweisen Besorgung eines Trankopfers, mit welchem
der Uebelthäter den Flecken abwaschen musste, den seine schlechte
Aufführung auf den ganzen Körper gebracht hatte. Konnte aber der
Kläger seine Beschuldigung nicht aufrecht erhalten, so fielen die Kosten
auf ihn, weil er einen Collegen boshafterweise beschuldigt hatte; es
trägt diese Praxis die Merkmale einer guten Politik, da sie nie ,das
Gut der Kapelle1 aus den Augen verlor. “
Diese Kapellen waren früher nicht blos das Mittel, das Betragen
der verschiedenen Temperamente zu regeln, sie waren auch zu Zwecken
der Hilfe in Fällen von Krankheit und Unglück geschaffen, zu welchem
Zwecke jeder Gehilfe einen oder zwei Pence wöchentlich zahlen musste,
während der Meister fünf- oder zehnmal soviel hinzufügte; dieser Fonds
Strike.
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wurde „die Büchse“ genannt. Wenn ein Mitglied vom Unglück heim¬
gesucht war, wurde eine Bittschrift aufgesetzt, die Kapelle zusammen¬
berufen, eine Berathung folgte und es wurde eine Summe bewilligt,
welche für die zeitweilige Hilfe auslangte.
Im Verlaufe der Zeit wurde (nach Hansard) dieses ausgezeichnete
Institut, wo „Mann für Mann Hilfe finden konnte“, zu anderen Zwecken
missbraucht, indem man daraus ein starkes Zwangsmittel bei Verbin¬
dungen gegen die Meister machte. In erster Linie wurde bestimmt,
dass niemand, wie lange er auch beigesteuert haben mochte, eine
Aushilfe erhalte, wenn er seinen Verpflichtungen gegen das Comité
nicht nachgekommen war, d. h. wenn er nicht bereit war, sich blind
jeder Combination zu unterwerfen und an dem Strike theilzunehmen,
welcher die Meister zur Erhöhung der Löhne, zur Beschränkung der
Zahl der Lehrlinge und zu jeder Massregel zwingen sollte, welche von
einem unsichtbaren Comité dictirt wurde. Die Folge war, dass die
Meister sich weigerten, beizusteuern, die Gelder einzusammeln und
einen Fonds zu verwalten, welcher zu ihrer Unterjochung bestimmt war.
Die Untersuchungen der Kapelle wurden dann zu Scenen trunkener
Gelage und die Kerzen, die der Meister geliefert hatte, beleuchteten
die Schmauserei oder leuchteten zu einem Tribunal, welches bestimmte,
wer ein anständiger Mann war und wer nicht, und wer sein Brod
verdienen und seine Familie, wenn er eine hatte, erhalten sollte oder
nicht. Diese Usurpation dauerte so lange, bis die Gehilfen viel mehr
Schiedsrichter über den Preis, die Güte und die Zeitdauer einer Arbeit
waren, als die Meister selbst. Die letzteren wurden genöthigt, sich zu
vertheidigen, in den meisten Häusern wurden die Kapellen abgeschafft,
zur selben Zeit fand eine Austreibung statt, viele Meister schafften ihre
Gehilfen ab und nahmen Lehrlinge, die sie selbst unterrichteten, und
wenige Meister, welche das Regiment in ihrem Hause wieder erlangt
hatten und unabhängig sein wollten, haben seither geduldet oder werden
dulden, dass die Kapellen bei ihnen wieder aufleben.186
Gegenüber der Tübinger Buchdruckertaxe vom Jahre 1653
zeigt die Taxe derselben Stadt vom Jahre 174-8 einen Aufschlag in
den Preisen, welcher jedenfalls mit der Steigerung der Lebensmittel
und sonstigen Bedürfnisse im Einklänge stand.
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