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Antiqua und Cursiv.
„So nöthrgen als nützlichen Buchdruckerkunst“, dass dieselben an Voll¬
kommenheit den jetzigen nichts nachgaben, man müsste auf die Unvoll¬
kommenheit der Werkzeuge schliessen; in der That aber haben wir
es hier mit einem gänzlichen Mangel an Schönheitssinn zu thun, der
erst in den letzten Zeiten des XVIII. Jahrhunderts zu weichen begann.
Man wäre versucht, diese Geschmacklosigkeit der „Zopfzeit“ zuzu¬
schreiben, wenn nicht eben noch in dieser Zopfzeit der bessere Geist
sich geregt hätte, und ebenso unrichtig wäre es, das Erwachen den
neuen Ideen der Zeit zuzuschreiben, denn Bodoni war in der päpst¬
lichen Zeit in Rom gebildet, Didot dürfte kaum mit den Ideen von
1789 geliebäugelt haben und J. G. I. Breitkopf würde wohl Unrecht
gethan, wenn man ihn für einen deutschen Jakobiner gehalten hätte,
so aufgeklärt er auch war. Richtiger dürfte sein, anzunehmen, dass
Ein Funke in befähigten Köpfen zündete, Ein Fortschritt zur Nach¬
ahmung bewog. Der Anstoss wurde von der französischen Akademie
gegeben, die Holländer folgten nach, dem Engländer Baskerville
konnten die Arbeiten des deutschen Fleischmann in Holland nicht
unbekannt sein, Bodoni musste von dem Fortschritt der englischen
Stempelschneiderei Kenntniss haben, da er nach England gehen wollte,
um sich dort auszubilden und Didot hatte bereits nachahmenswerthe
Muster auf allen Seiten; indem jeder seine Vorgänger zu übertreffen
strebte, entstand jener schöne Wetteifer, der zur Umgestaltung des
ganzen Typenwesens führte.
Die Typen Ludwigs XIV. (s. Nr. 117, S. 368), welche Grandjean
und dessen Schüler Alexandre geschnitten hatten, gaben der Antiqua
und Cursiv ein neues Gepräge und zeigen gegenüber den Typen
Garamonds grösseres Ebenmass in den gemeinen Buchstaben, aber die
Versalien sind sehr ungleich in der Breite und im Verhältniss, das
schmale В steht in keinem Verhältniss zum R und noch viel weniger
zu den breiten С D G. Die Cursiv hat durch den Wegfall der Schnörkel
gewonnen und passt jetzt besser zur Antiqua, sie ist keine Schreib¬
schrift mehr, sondern eine liegende Antiqua. Das erste mit diesen
Typen der königlichen Druckerei hergestellte Werk führt den Titel:
Médaillés sur les principaux événements du règne de Louis-le-Grand. Den
übrigenBuchdruckern wurde dieNachahmung dieser königlichenTypen
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verboten. An diese Schriften reihen sich zunächst die deutschen in
Nr. 146, 147 und 148. Nr. 146 ist aus der Druckerei von Endters
Erben in Nürnberg, sie ist in den gemeinen Buchstaben recht regel¬
mässig, nicht so in den Versalien, insbesondere drängt sich das N
unangenehm hervor, man glaubt eher den missrathenen Zug eines
Schreibers, als den Abdruck eines sorgfältig gefeilten Stempels vor sich
XVI. ©robe ©armoni) Antiqua.
OMNES TIBI PARES FACIAS, INFERIORES SVPERBIENDO
non contemnas, fuperiores recte vivendo non timeas. In reddenda
officiofitate ñeque exactor ñeque negligens apparcas, cunctis efto be-
nignus, nemini blandus, paucis familiaris, omnibus aequus. Severior
elio judicio quam fermone, et vita quam vultu, clementiae cultor,
clemens ultor: faevitiae deteftator, famae bonae neque tuae femi.-
Nr. 146. Antiqua aus Endters Druckerei in Nürnberg 1721.
(Aus den Schriftproben der „Wohleingerichteten Buchdruckerei.“)
zu haben. Nr. 147 zeigt die Antiqua und Cursiv von Johann Kaspar
Müller in Leipzig, dessen Druckerei an den älteren Breitkopf über¬
ging. Die Probe ist aus der „So nöthigen als nützlichen Buchdrucker¬
kunst“ (1740) entnommen und wurde jedenfalls von dem Herausgeber
<£orpiré Sínítqim.
• Proclus, Chalcidius ; Ariüoteles, ipfiusque leña tor Alexander
Aphrodif. porro Plutarchus, Sext. Empiricus, luftin. Mart.
Clem. Alex. L. VI. Strom. Philo lud. de Opific. Mund. & in
fpecie de hoc Argument. Hierocles in aur. Carm. Nicetee in
Gregor. Naz. Orat. XLIV.
Gorpué Curftö.
Prajiat pauper integre fe gerens improba latra habenti if
oefano. Ne vita qui dem ßne fi i ent i a fuavis ejl, if qui pedi
but feßinat ojfendit. Sua hominis ßultitia ejus inf/rutum
avertit, if i amen is mente fucctnfet Jove.
Nr. 147. Antiqua und Cursiv von J. K. Müller in Leipzig 1740. (Nach Gessner.)
(Gessner) als die schönste Schrift seiner Zeit betrachtet, gleichwohl
hat sie ein dürftiges Aussehen. Bei der Cursiv fällt besonders unan¬
genehm die steife Haltung der / auf, welche der Schriftlage nicht
entspricht; offenbar wollte man den Buchstaben nicht zu weit Über¬
hängen lassen, um das Abbrechen zu vermeiden, aber die Schrift verlor
dadurch an Schönheit. In Nr. 148 ist nur die Antiqua deutschen