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und dass von allen privilegirten alten und neuen Büchern die schul¬
digen Exemplare, welche noch nicht geliefert waren, abzufordern seien.
Dieser Erlass trägt neben der Unterschrift des Kaisers die Namen
L. von Stralendorff und G. Hertell. 139
Gegen diesen Erlass reclamirten die Buchführer von Leipzig,
Wittenberg und Jena in einer an den Kurfürsten Christian II. von
Sachsen aus Leipzig, 17. Februar 1609 datirten Bittschrift. Der Kur¬
fürst nahm sich seiner Unterthanen in einem vom 19. Juni 1609 an
den Kaiser Rudolf gerichteten Schreiben an und erwirkte, dass von
der Durchführung des kaiserlichen Mandats Umgang, genommen und
die kaiserlichen Gommissäre angewiesen wurden, die Gerechtsame der
Territorial-Obrigkeiten zu respectiren. Aber im Jahre 1629 änderte
die kaiserliche Büchercommission Ton und Auftreten, zog Privilegiums¬
streitigkeiten vor ihr eigenes Forum, verwies die Appellation mit Um¬
gehung der Jurisdictionsrechte des Frankfurter Raths nach Wien und
setzte thatsächlich die langbestrittene Ablieferung von Freiexemplaren
aller neu zur Messe gebrachten Bücher durch. 1662 wurde in Frank¬
furt'ein kaiserliches Edict angeschlagen, in welchem neben anderen
den Buchhandel betreffenden Punkten auch den Büchern eine Taxe
gesetzt und den Juden der Buchhandel untersagt wurde, weil letztere
den Buchhandel ganz verdürben. 1685 erschien ein Patent, welches
diese Vorschriften verschärfte, die Verdopplung der Pflichtexemplare
aller neu erscheinenden Bücher für den Fall verfügte, dass sie nicht
bereits in der ersten Woche abgeliefert würden und mit Confiscation
der bereits verhandelten Exemplare selbst bei Käufern drohte.140 Die •
Folge dieser Massregeln war, dass die norddeutschen Buchhändler,
namentlich alle, welche mit protestantischen Schriften handelten,
Frankfurt am Main mieden und mit ihren Büchern die Leipziger Messe
bezogen. Schon im Jahre 1594 war ein Leipziger Messkatalog von dem
Buchhändler Henning Gros herausgegeben worden, zu dem sich in
den Jahren 1598—1619 ein zweiter Katalog von Abraham Lamberg
gesellte, welcher 1620 mit dem GROSschen vereinigt wurde. Im Jahre
1600 wies Leipzig schon 125 verlegte Werke gegen 148 Frankfurter
auf. Die sächsische Regierung begünstigte auf jede Weise den Buch¬
handel, befreite die Bücher von der Accise, handhabte die Censur in
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milder Weise und so wurde der Grund zu der Bedeutung gelegt, welche
Leipzig jetzt als Mittelpunkt des deutschen Buchhandels erlangt hat.
In Bayern wurde in der Instruction für den geistlichen Rath 1608
wiederholt eingeschärft, die Buchführerläden namentlich auf Dulten
und Jahrmärkten zu visitiren und die Vorgefundenen sectirerischen
Bücher zu confisciren; alle inBayern zu druckenden Bücher seien vorher
der Censur zu unterwerfen und ohne Imprimatur dürfe kein Buch in
den Buchhandel kommen. Im Jahre 1616 wurden neue Censur-
Collegien eingeführt und bestimmt, dass in jeder Stadt und in jedem
Markte zwei verständige und eifrige katholische Bürger als herzogliche
Commissäre nebst dem Pfarrer oder Prediger zweimal zu Markts- und
anderen Zeiten alle Buchführer und Briefträger unvermuthet visitiren
und über die Verkäufer verführerischer Bücher und Lieder exemplarische
Strafen verhängen sollten. „Ueberhaupt ist der Buchhandel in Zukunft
ohne Specialerlaubniss und Ertheilung eines offenen Patentes nie¬
mandem mehr zu gestatten und den ausländischen Krämern verboten,
vor geschehener Visitation auszulegen.“ Dieser Befehl wurde 1639
und 1644 erneuert. Im Jahre 1645 wurde durch eine Verordnung den
Buchdruckern bedeutet, dass sie neben dem kaiserlichen Privilegium,
wenn sie solches haben, allzeit auch das kurfürstliche suchen und in
dem Frontispicio beider Privilegien Meldung thun sollten, widrigenfalls
man die Buchdrucker lehren würde, was sie gegen ihren Kur- und
Landesfürsten vor Respect zu bezeugen hätten. — In die herzogliche
Bibliothek wurden übrigens auch die ketzerischen Bücher aufgenommen,
aber nur Festgläubige, welche eine eigene Dispens vom Papste oder
von der römischen Inquisition besassen, erhielten Zutritt zu dem sorg¬
fältig bewachten und verschlossenen Schranke der Remota.141
Inzwischen war jener furchtbare Krieg ausgebrochen, der
Deutschland dreissig Jahre, 1618—1648, verwüstete; von der Ostsee
bis zur Donau, vom Rhein bis nach Oesterreich durchzogen Heere,
welche sich mit Contributionen von Feincl und Freund erhalten liessen,
Deutschland, alle Gewerbe lagen darnieder, die Schulen waren leer, es
gab nur Plünderer und Geplünderte und jeder gesunde junge Mann
that besser, Handgeld zu nehmen und Soldat zu werden, als daheim
zu hungern. So klagt denn auch aus Anlass des Leipziger Einladungs-