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Französische Buchdruckereien im XVI. Jahrhundert.
hatte, obgleich ich der Meinung bin, dass, wenn wir den Augsburgern,
Nürnbergern, Leipzigern oder den Wiener Bürgern solche Tiraden
widmen wollten, wie sie die Franzosen ihren Pariser und Lyoner Buch¬
druckern gewidmet haben, eineSuperiorität kaum bestehen würde, denn
in den Drucken findet man solche nicht.
In Paris war die Zahl der Buchdruckereien, welche nach Gerings
Tod gegen 40 betragen hatte, auf 24 reducirt worden, damit jeder
Drucker gute Nahrung habe und nicht durch Arbeitsmangel verleitet
werde, verbotene Bücher oder „billig und schlecht“ zu drucken. Diese
Verordnung blieb bis zur französischen Revolution, und der Buch¬
druckereibesitzer Dupont hat ihrer Aufhebung Elegien gewidmet, die
er fein säuberlich gedruckt hat. Leider blieben die Thränen ungedruckt,
welche manches typographische Genie vergossen haben mag, dem die
Privilegien den Weg zu eigener Wirksamkeit, zur Entfaltung seiner
Geisteskräfte versperrt hatten.
In Frankreich entwickelten sich unter dem Schutze dieser Privi¬
legien mehrere Buchdruckerfamilien, innerhalb deren der Ehrgeiz vom
Vater auf den Sohn vererbte. Den Reigen derselben eröffnet Jodocus
Badius (1498—1535) von Asch bei Brüssel, wesshalb er sich Ascensius
und seine Werkstatt Praelum Ascensianum nannte, wie dies die Buch¬
druckerpresse (s. oben S. 22), welche er als Buchdruckerzeichen auf
seine Bücher setzte, zeigt. Badius war Professor für schöne Literatur
und alte Sprachen und lieferte als Buchdrucker correcte Ausgaben der
griechischen und römischen Glassiker, die er mit gelehrten Anmerkungen
bereicherte. Seine drei Töchter Petronella, Johanna und Katharina
verheiratete er an drei der berühmtesten Typographen seiner Zeit:
Michael Vascosan, Jean Roigny und Robert Etienne. Seine Buch¬
druckerei hinterliess er seinem Sohne Konrad Badius (1535—1549),
der, nicht minder mit wissenschaftlichen Kenntnissen ausgerüstet, als
Drucker und Gelehrter in die Fussstapfen seines Vaters trat. Da er den
Reformirten angehörte, musste er 1549 Paris verlassen und sich nach
Genf flüchten, wo er ebenfalls druckte. Michael Vascosan (1530—1576),
sein Schwager, veranstaltete nicht weniger als 297 verschiedene
Ausgaben, die oft wiederholten Auflagen ungerechnet; er wurde 1566
königlicher Typograph und starb in hohem Alter, da er sich mit der
Vascosan. Morel. Etienne.
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Geistlichkeit nicht verfeindete. Er ist einer der ersten Buchdrucker
Frankreichs, welche die gothische Schrift mit der Antiqua vertauschten.
Sein Schwiegersohn war Friedrich Morel I. (1571—1583), der wegen
seiner Kenntnisse der alten und neuen Sprachen zum königlichen Dol¬
metsch und später zum königlichen Typographen ernannt wurde. Sein
Sohn Friedrich Morel II. (1583—1630) war gleichfalls sehr gelehrt. Einer
anderen Familie gehörte Guillaume Morel (1547—1564) an, der 1551
königlicher Typograph wurde. Er ist als Buchdrucker durch schöne
Ausgaben, als Gelehrter durch seine Commentare berühmt. Die Familie
Morel blühte bis 1646. Heinrich Etienne I. (Henricus Stephanus) druckte
nach Lesser mit Wolfgang Hopylus, einem deutschen Buchdrucker
und starb im Jahre 1519. Er hinterliess drei Söhne : Robert, Franz und
Karl. Seine Witwe heiratete den Buchdrucker Simon de Colines oder
Colinäus , welcher dadurch in den Besitz der ETiENNEschen Buch¬
druckerei gelangte. Robert lernte bei Colines, arbeitete bei ihm als
Corrector und gab mit ihm das Neue Testament 1522 heraus; da er in
demselben manche wohlgemeinte Aenderungen vorgenommen hatte,
so erregte das Buch Anstoss bei der Geistlichkeit. Wahrscheinlich war
dies der Grund, dass er sich von seinem vorsichtigen Stiefvater 1526
trennte, denn 1532 erschien eine schöne Ausgabe der Bibel, welche
neuen Lärm erregte. Nur der Schutz des Königs, der ihn auch 1539
zum königlichen Typographen ernannte, sowie sein Versprechen, ohne
Zustimmung der theologischen Facultät keine religiöse Schrift mehr zu
drucken, rettete ihn diesmal. Er warf sich nun auf die Philologie, gab
1534 den Thesaurus linguae latinae und später griechische und römische
Classiker heraus, wobei er, um fehlerfreie Ausgaben liefern zu können,
die Bogen öffentlich aushängen liess und jedem eine Belohnung ver¬
sprach, der einen Fehler nachweise. (Doch stammt hievon nicht der
Ausdruck „Aushängebogen“ für die dem Autor zu liefernden Druck¬
exemplare, vielmehr wurden diese nach dem Drucken separat zum
Trocknen aufgehängt, um nicht unter die Auflage zu kommen.) Mit den
auf Kosten des Königs Franz I. geschnittenen griechischen Typen druckte
er 1546 das Neue Testament in griechischer Sprache. Im Jahre 1548
druckte er auch eine hebräische Bibel. Die 1547/48 erschienene Bibel mit
dem Commentar des Léon de Juda erregte einen neuen Sturm bei der