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Redeweise und Bildung in Deutschland.
erschienen, nicht mit ihren Nachbarn Überwerfen wollten. Wohl war
auf dem Reichstage in Worms 1495 eine Reichsordnung und ein ewiger
Landfriede gestiftet worden, aber das Faustrecht liess sich nicht mit
einem Federstrich beseitigen und die Fehden Franz von Sickingens mit
den Städten liefern den Beweis, dass die Ritter noch wenig geneigt
waren, ihr früheres Handwerk aufzugeben oder gar bei einem höchsten
Reichsgerichte sich zu beschweren, wenn sie sich selbst Recht ver¬
schaffen konnten. Die Sprache selbst bewegte sich zu jener Zeit in einer
Ungebundenheit und Rücksichtslosigkeit, welche gegenwärtig schon
der bürgerliche Anstand verbietet; sie lässt sich errathen, wenn man
nur den Titel eines solchen Buches liest, wie: „Des Durchlauchtigen,
Hochgeborenen Fürsten und Herrn, Herrn Johannes Friedrichen
Herzogs zu Sachsen, des heiligen römischen Reichs Erzmarschallen
und Kurfürsten Wahrhaftige, bestendige, ergründete Ghristenliche und
aufrichtige Verantwortung Wider des verstockten, gottlosen, vermale-
deieten, verfluchten ehrenschenders, bösthetigen Barrabas, auch huren¬
süchtigen Holofernes von Braunschweig, so sich Herzog Heinrich der
Jüngere nennet, unverschempt, Calphurnisch schand- und lügenbuch,
so er abermals mit Datum Wolffenbüttel auf Dinstag nach Omnium
Sanctorum anno 1540 nechst wider vorgemeldten Kurfürsten u. s. w.
will vollbracht haben und in einem Druck ausgesprengt hat. “
Deutschland erfreute sich in dieser Zeit einer ziemlich allgemeinen
Bildung, der Adel und die Bürger Hessen ihre Kinder im Lesen und
Schreiben unterrichten und Ulrich von Hutten konnte sagen:
Vor waren nur die Pfaffen gelehrt,
Jetzt hat uns Gott auch Kunst bescheert,
Dass wir die Bücher auch verstahn.
Wohlauf, ist Zeit, wir müssen dran!
Wir haben bereits im vorigen Jahrhundert eine Anzahl deutscher
Bücher auftauchen sehen, im XVI. Jahrhundert nahm die Zahl der¬
selben zu und namentlich waren es die deutschen Schriften Luthers,
welche einen so lebhaften Widerhall im Volke erweckten, dass aus
dem Streite über die Zulässigkeit der Ablassbriefe ein Schisma in der
römisch-katholischen Kirche entstand.
Bücherverbote.
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So wenig als die Buchdruckerkunst die Censur her vor rief, so
wenig hat sie auch Glaubensstreitigkeiten hervorgerufen; die Waldenser
in Savoyen, Huss in Prag und Wikleff in England hatten auch ohne
die Buchdruckerkunst die römischen Lehren angegriffen und ihre
Ansichten verbreitet; aber unzweifelhaft gewann die Opposition gegen
die röipische Kirche gewaltig an Umfang und Bedeutung, als sie sich
der Buchdruckerpresse zur Verbreitung ihrer Lehrmeinungen bedienen
konnte.
Am 31. October 1517 hatte Luther seine 95 Sätze gegen den
Ablasshandel an die Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen; 1521
war er bereits eine so wichtige Person geworden, dass Kaiser Karl V.
ihn auf den Reichstag nach Worms citirte, wo Luther, nachdem er
den Widerruf seiner Lehre verweigert hatte, sammt allen seinen
Anhängern in die Acht erklärt wurde. Diese Achterklärung blieb
erfolglos, ein grosser Theil von Deutschland hing der neuen Lehre an.
Daher forderte Cardinal Chieregati auf dem Reichstage zu
Nürnberg 1522, dass man alles ohne Erlaubniss Gedruckte weg¬
nehme und verbrenne, dessgleichen Drucker und Verbreiter zur Strafe
ziehe; aber nur die katholischen Fürsten, wie Herzog Georg von
Sachsen, die bayerischenHerzöge un d Fe rd in and von Oesterreich folgten
der päpstlichen Mahnung.
Im Jahre 1522 erliess Georg ein Decret, dass Luthers Ueber-
setzung des Neuen Testaments, welche dieser auf der Wartburg
vollendet hatte, verboten und die Exemplare aufgekauft werden sollten.
1523 erliessen die bayerischen Herzöge ein Bücherverbot, um die Aus¬
breitung der Lehre Luthers in ihren Städten zu hindern und ein
österreichisches Edict vom 24. Juli 1528 befahl, dass Buchdrucker und
Buchführer sectirerisclier Bücher, welche in österreichischen Erblanden
betreten würden, als Hauptverführer und Vergifter aller Länder ohne
alle Gnade stracks am Leben mit dem Wasser gestraft und ihre ver¬
botene Waare mit Feuer verbrannt werden sollte.
Die Geschichte lehrt, dass diese Verordnungen in Deutschland
nur wenig nützten. In Leipzig war es der gut katholische Buchdrucker
Wolfgang Stöckel, welcher sich bei einer Vernehmung vor dem
Rathe der Stadt gegen das Verbot aussprach, indem er im Namen der