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Einleitung.
konnte sich die Buchdruckerei in dem von einem dreissigjährigen Kriege
verheerten Deutschland nicht so günstig entwickeln, wie in Frank¬
reich, das seine Heere nur über die Grenzen schickte. Im freien Holland,
avo alles gedruckt werden konnte, Avas in den benachbarten Ländern
verboten und alles nachgedruckt Averden konnte, Avas dort erlaubt
Avar, konnte die Buchdruckerkunst ebenfalls leicht gedeihen und jene
äussere Behäbigkeit entAvickeln, Avelche die Begleiterin des Wohlstandes
ist. Nirgendwo konnte sich der fremdsprachliche Druck leichter
entfalten, als in der Druckerei der Propaganda zu Rom und bei den
neueren englischen Bibelgesellschaften, zu deren Unterhaltung die
Frömmigkeit riesige Summen beisteuert. Aber grössere Ehre gebührt
doch den kleinen deutschen Universitäten, Avelche imAvissenschaftlichen
Interesse orientalische Schriften veröffentlichten. Auf der Wagschale
des Verdienstes wiegen derlei kühne Unternehmungen Aveit schAverer
als die Luxusausgaben, die mit dem Gelde reicher Mäcene geschaffen
Avurden. Ebenso achtungswerth ist die Mehrzahl ordinärer Werke,
Avelche zu billigen Preisen hergestellt, ZAvar keine Plätze neben den
Prachtleistungen finden können, aber durch die Verbreitung von Wissen
in allen Schichten des Volkes segensreicher Avirkten, als die Pracht¬
werke, Avelche prunkvoll gebunden die Bücherschränke zierten, aber
nicht gelesen wurden, um den schönen Goldschnitt nicht zu verderben.
Damit soll kein Verdammungsurtheil gegen LuxusAverke ausgesprochen
Averden; kein Verständiger wird verkennen, dass diese gerade für den
Buchdruck ein Avichtiges Lebenselement bilden, indem sie den feinen
Geschmack fördern, tüchtige Arbeiter bilden und verhindern, dass das
Streben nach Wohlfeilheit zur Vernachlässigung der Technik führe.
Ein grosser Theil dieses Werkes wird der Typographie des
19. Jahrhunderts geAvidmet sein, nicht weil die Nachrichten darüber
am zahlreichsten vorliegen, sondern Aveil dasselbe einen riesigen Auf-
scliAvung der Buchdruckerkunst aufzuweisen hat. Einestheils führte
der Bau von Pressen nach neuen Systemen eine Verbesserung des
Druckverfahrens herbei, andererseits nöthigte die Erfindung der Stein¬
druckerei, Avelche dem Typendruck energisch Concurrenz machte, zu
den grössten Anstrengungen auf dem Gebiete des Stempelschnitts.
Bis zu Ende des XVIII. Jahrhunderts gab es nur Antiqua- und Cursiv-,
Einleitung.
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Fraktur- und ScliAvabacher-Schriften in verschiedenen Grössen, avozu
sich einige verzierte Titelschriften und Einfassungen gesellten. Die
Leichtigkeit, mit welcher die Lithographen ihren Schriften jede denk¬
bare Gestalt und Verzierung geben konnten, nöthigte die Buchdrucker
zur Nachahmung, es entstanden die fetten und halbfetten, die Egyp¬
tienne, Grotesque und andere Schriften, und gegemvärtig herrscht ein
Schriftenreichthum, der unübersehbar ist, dessen Producte Avie die
Eintagsfliegen auftauchen und verschwinden und den kleinsten Buch¬
druckereibesitzer nöthigen, sich eine grössere AusAvahl an Schriften
anzuschaffen, als ehedem die grössten Druckereien aufweisen konnten.
Die Neuerungssucht überstieg selbst die Schöpferkraft der Graveure,
und Avir sahen in jüngster Zeit die Rumpelkammern früherer Jahr¬
hunderte plündern, um überlebte Schriften „modernisirt“ auf denMarkt
zu bringen. Der Umfang dieses ganzen Werkes Avürde nicht ausreichen,
alle diese Einzelnheiten vorzuführen, es werden aber jedenfalls die
Hauptmomente dieser EntAvicklung in übersichtlicherWeise zusammen¬
gestellt Averden, Avobei besonders Proben gangbarer Brodschriften die
gegenwärtige Vervollkommnung des Stempelschnittes darlegen sollen.
Zu den Eigenschaften eines guten Buches gehört die Harmonie des
Inhalts. Nicht, ob die Quellen reichlicher oder spärlicher fliessen, son¬
dern nur die Bedeutung, welche ein Ereigniss für die Gesammtgeschichte
hat, darf für die mehr oder minder ausführliche Schilderung desselben
massgebend sein. In dieser Hinsicht ist der Umfang des vorliegenden
Werkes ausreichend, um alle hervorragenden Leistungen zu würdigen.
Das vorliegende Werk nennt sich eine „illustrate Geschichte der
Buchdruckerkunst“, indem es Proben interessanter Schriften und
Druckwerkzeuge bringt, welche zum Verständnisse der EntAvicklung der
Buchdruckerkunst notlnvendig sind. Die gegenwärtige Reproduction
mittelst Photo-Lithographie und Photo-Zinkographie ermöglicht, ge¬
treuere Proben zu geben, als sie in früherer Zeit, namentlich in Falken¬
steins sonst sehr schätzensAverther „Geschichte der Buchdruckerkunst“
geboten Avurden. Sie Averden dem denkenden Buchdrucker vielleicht
Avillkommener sein, als die Portraits berühmter Kunstgenossen, von
deren Reproduction schon desshalb Umgang genommen Avurde, Aveil
Avir ja kein authentisches Porträt unseres Meisters besitzen.