196
Wandernde Buchdrucker. Juden.
eine lebendige Zeitung. Hatte er Witz und gute Laune, so konnte er auf
die beste Aufnahme rechnen, er unterbrach die Langweile des Alltags¬
lebens auf die angenehmste Weise. Die Nachrichten wurden nicht so
schnell verbreitet wie jetzt, aber trotzdem überall hin.
Ein weiteres interessantes Moment der Verbreitungsgeschichte ist
der Eifer, mit dem die Juden sich der neuen Erfindung bemächtigten,
ganz im Gegensatz zu den Türken, die sie verschmähten. Noch im
XVIII. Jahrhundert galt die Einweihung eines Juden in die Geheim¬
nisse der Typographie für eine Schandthat, welche mit allgemeiner
Verachtung bestraft wurde. Bei der Verachtung, mit welcher die
Christen auch im XV. Jahrhundert den Juden entgegentraten, muss es
diesen sehr schwer gewesen sein, in der Buchdruckerkunst unterrichtet
zu werden, nur durch Bestechung konnten sie sich die Geheimnisse
aneignen, und doch finden wir schon im Jahre 1484 hebräisch mit
Vokalen gedruckt, die schwierige Operation ausgeführt, Kegel von
höchstens Nonpareillestärke zu giessen, um die Vokalpunkte unter die
Consonantenbuchstaben setzen zu können. Gier nach Gewinn konnte
die Juden dabei nicht leiten, sondern einzig die hohe Achtung der
Wissenschaft, die Verehrung, ihrer heiligen Bücher, welche die Juden
so sehr auszeichnet und die sie in Constantinopel den Todesdrohungen
des Sultans trotzen liess.
Die Geschichte der Verbreitung der Buchdruckerkunst ist inter¬
essanter als sie scheint, aber man muss sie zu lesen verstehen.
V. ABSCHNITT.
DIE DRUCKWERKE DES XV. JAHRHUNDERTS.
N den ersten Jahrzehnten der Buchdruckerkunst bildet der
[ Щ Typenschnitt ein wichtiges Erkennungsmerkmal derlncunabeln.
Gewerbsmässige Schriftgiessereien, welche mit Schriften handelten, gab
es damals nicht. Schöffer suchte sich das Monopol zu wahren, indem
er weder Matrizen noch Schriften abgab. Wer eine Buchdruckerei
gi ünden wollte, musste Lettern hersteilen, wenigstens giessen können,
Punzen konnte er sich von einem Goldschmied machen lassen. Erst in
den Siebziger-Jahren lässt sich der Verkauf von Schriften wahrnehmen,
die Venetianer Typen Jensons verbreiteten sich nach Frankreich und
Deutschland, die Ripoli-Druckerei liess sich theils Punzen von einem
Goldschmied machen, theils kaufte sie Matrizen von einem wandernden
Stempelschneider (s. oben S. 51).
Im Stempelschnitt war zunächst die Nachahmung der Hand¬
schrift vorherrschend, wie wir dies bei den Gutenberg- und Schöffer-
drucken bemerkt haben. Breitkopf erwähnt, dass ein Manuscript: De
civitate Dei St. Augustins in der Bibliothek St. Généviève, das 1459
m Italien geschrieben ist, ganz genau mit der Schrift übereinstimme,
welche die ersten gedruckten römischen Buchstaben desselben Werkes
zeigen. Von Büchern stammen die Namen der Schriftkegel: Missal,
Canon, Cicero, St. Augustin der Franzosen, Corpus (vom Corpus juris)
her, vom Ductus der Schriften stammen die Namen Lettres de somme
(nach St. Thomas von Aquino Summa), womit die Franzosen die deutsche