194
1494—1500. Wandernde Buchdrucker.
dass so früh ein geschickter Stempelschneider sich nach Russland
verirrt haben sollte.
In Oppenheim wurde 1494 von einem unbekannten Drucker
gedruckt, später verschwand der Ort aus der Geschichte der Typo¬
graphie. In Freising druckte 1495 Johann Schäffler und in Offenburg
ein unbekannter Drucker 1496.
Die Universitätsstadt Tübingen erhielt die Kunst erst 1498, wo
Johann Otmar zu drucken begann.
Nach Falkensteins alphabetischem Verzeichniss der Buchdrucker
im XV. Jahrhundert bestanden im ganzen 910 Officinen.
Ich habe mich bemüht, in gedrängter Kürze das wesentlichste
über die Verbreitung der Buchdruckerkunst im XV. Jahrhundert
zusammenzustellen, denn wenn auch manchem die Städte und die
Namen der Buchdrucker gleichgiltig sein mögen, so können doch locale
Ansprüche in dieser Beziehung mit Recht erhoben, werden. Ich konnte
mich auch nicht begnügen, auf Falkensteins Werk, welches diese
Daten in sehr ausführlicher Weise enthält, und welchem ich den
grössten Theil dieses Materials entlehnt habe, zu verweisen, da dieses
Werk vergriffen ist.
Es hat diese Zusammenstellung aber auch allgemeines Interesse.
Wir lernen daraus, wie Klöster Buchdrucker warben, um ihre Missale
und Breviere drucken zu lassen, wie Gelehrte für den Druck ihrer Werke
in gleicher Weise Drucker suchten, und wir begegnen endlich einem
Schwarm wandernder Buchdrucker, welche ruhelos ganz Europa
durchreisten, was allerdings damals, wo die lateinische Sprache
allgemein als Umgangssprache der Gebildeten diente, nicht schwer war.
Man kann sich diese wandernden Buchdrucker vorstellen, wie die in
Engadin, die, den nöthigen kleinen Letternvorrath in dem Ranzen auf
den Rücken und die hölzerne Presse auf den Esel gepackt, im Sommer
in die Berge hinaufzogen und im Winter in die Ebene zurückkehrten ;
besser situirte hatten vielleicht ihre Druckerei auf einen Planwagen
gepackt, wohl auch einige gedruckte Bücher im Vorrath, mit denen
sie handelten. Man vergesse nicht, dass die Incunabeln, welche die
Bibliotheken aufbewahren, nur ein Theil der Druckerzeugnisse sind, ein
bedeutender Theil der letzteren bestand in Einzelblättern, „schönen
Wandernde Buchdrucker.
195
gedruckten Liedern“, Kalendern, Prophezeiungen u. dgl., welche sich
auf Jahrmärkten mit gutem Gewinn anbringen liessen. Diese fahrenden
Buchdrucker waren sogar schwer zur Ansiedlung zu bewegen. Es
umgibt ein eigener Reiz das Zigeunerleben, welches nur an das Heute
und nicht an das Morgen denkt, die Abwechslung liebt und den Arbeiter
verlacht, der im Schweisse seines Angesichts und voll Sorgen für den
kommenden Tag sich für die Seinigen plagt. Mit den angeführten
„Accidenzen“ (das Wort hat sich bis jetzt für diese Arbeiten des Zufalls
erhalten) Hess sich mehr Geld verdienen, als mit gelehrten Werken, und
man muss sich wundern, dass gleichwohl so viele Wbrke (von denen
allerdings fünf Sechstel theologischen Inhalts sind) erschienen, und
diejenigen Männer achten, die als Buchhändler grosse Summen in
Circulation erhielten, um den Büchermarkt zu bereichern.
Es gab aber auch eine andere Classe von Buchdruckern, welche
ohne Presse und Lettern umherzogen, ihre Kräfte jedem anzubieten,
dei darnach verlangte. Auffallend ist, dass wir unter den wandernden
Buchdruckern vielen begegnen, die aus Städten stammen, wo die Buch¬
druckerei noch nicht eingeführt war. Es muss also vor den wandernden
Buchdruckern einen Stamm der Söhne Ahasvers gegeben haben, deren
Glieder zumeist Buchdrucker wurden, und wir werden nicht irren, wenn
wir als solche die fahrenden Schüler annehmen. Die Studenten konnten,
wenn sie arbeiten wollten, leicht als Schreiber oder als Setzer Unter¬
kommen, denn das Setzenlernen war für einen Schreiber etwas leichtes,
da er die Hauptsache, die Schreibregeln kannte, schwieriger war es,
Stempelschneider, Letterngiesser und Drucker heranzubilden. Aber
auch diese waren stets auf der Reise, denn mit Ausnahme der grossen
Städte war die Arbeit sehr prekär. War ein Werk ausgesetzt und aus¬
gedruckt, war ein nöthiger Vorrath an Buchstaben vorhanden, so war
keine Beschäftigung mehr.
In dieser Beziehung boten die Klöster des Mittelalters die
bequemste Gelegenheit zum Wandern. Ohnehin durch ihre Statuten
zum Almosengeben verpflichtet, öffneten sich ihre Thore leicht, wenn
ein Universitätsangehöriger sich als solcher auswies (und alle Buch¬
drucker waren, wie wir oben (S. 145) gesehen haben, Universitäts¬
angehörige). In einer Zeit, wo es keine Zeitungen gab, war ein Fremder
із*