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Einleitung.
Der Zufall, der zuweilen die Kette einer ruhigen Entwicklung
der Völker zerreisst, der oft zerstörend in die Geschicke eines Menschen¬
lebens tritt und die bestangelegten Pläne misslingen lässt, er lässt
auch auf unfruchtbarem Boden einen mächtigen Fruchtbaum sich ent¬
wickeln, oder nach der biblischen Redeweise des Erfinders der Buch¬
druckerkunst: der „Allerhöchste, auf dessen Wink die Zungen der
Kinder beredt werden, und der oft den Kleinen offenbart, was er den
Weisen verbirgt“, er liess in den dunklen Zeiten des Mittelalters, unter
den unfruchtbaren Verhältnissen des Faustrechts, in einem Stande,
der das Schwert liebte und die Feder verachtete, einen Ritter zum
Arbeiter werden und eine Kunst ersinnen, welche die Menschen statt
mit Eisen, mit Vernunft und Wissen bepanzert, und die Feder in der
Hand der Schwachen und der Gerechtigkeit zu einer Waffe macht, an
welcher der stärkste Streitkolben der Ungerechtigkeit und Gewalt zer¬
splittert.
Die Alten priesen in solchen Erscheinungen das Walten der
Götter oder erhoben einen glücklichen Erfinder selbst zum Gott; wir
bewahren die Vorstellung seiner Menschlichkeit, die ihn unserem
Herzen nahe erhält, die uns ermuthigt, ihm nachzustreben, um seiner
wenigstens würdig zu werden, wenn wir die Grösse seines Geistes, die
Kraft seines Schaffens auch nicht erreichen können, und die insbe¬
sondere im Herzen der Buchdrucker jene Begeisterung für ihren Beruf
rege erhält, die jede Arbeit adelt, und deren sie desto mehr bedürfen,
je mehr die Gier der Goncurrenz ihnen das Brod schmälert, welches
sie mit ihres Geistes und ihrer Hände Arbeit erwerben.
Lange Zeit herrschte Ungewissheit, ja selbst völlige Unkunde
über die Person des Erfinders der Buchdruckerkunst; mit einer fast
unbegreiflichen Entsagung hatte er es vermieden, seinen Namen auf
die von ihm gedruckten Bücher zu setzen, nur aus Zeugnissen seiner
Zeitgenossen konnte entnommen werden, dass Johann Gtjtenberg der
Erfinder der Buchdruckerkunst war. Aber diese Zeugnisse geriethen
in Vergessenheit und das wurde von mehreren Seiten benutzt, um den
Ehrenkranz um die Stirnen Anderer zu winden; erst die neuere Zeit hat
seinen Namen wieder zu vollen Ehren gebracht. Professor Johann
David Köhler legte im Jahre 1741 durch seine „Hochverdiente und aus¬
Einleitung.
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bewährten Urkunden wohlbeglaubte Ehrenrettung Johann Gutenbergs“
die ersten sicheren Grundsteine zu dem Gedächtnissbau, der den
Namen des Erfinders im Herzen der deutschen Nation lebendig erhält,
andere Forscher trugen emsig Bausteine hinzu, und im Jahre 1878
krönte Dr. A. v. d. Linde mit seinem umfassenden Werke „Gutenberg“
das Gebäude und versenkte alle Schatten, welche man an des wahren
Erfinders Stelle zu setzen versucht hat, in einen Abgrund von Lächer¬
lichkeit, aus welchem sie schwerlich irgend jemand wieder hervorzu¬
holen die Kühnheit haben wird.
Aber damit ist nur ein Theil der Aufgabe gelöst, nicht das Dunkel
gelichtet, welches die Person des Erfinders und die Entstehung seines
Werkes umgibt; mit derselben Leichtgläubigkeit, mit welcher man
falsche Erfinder sich aufdrängen liess, nahm man alle Nachrichtén über
Gutenberg auf und suchte, wenn sie Widersprüche enthielten, dieselben
sophistisch auszugleichen, weil der Glaube an ihre Echtheit keinen
Versuch einer Kritik aufkommen liess. Und doch ist es Thatsache, dass
Schöpflin von einer Urkunde flunkerte, die eine Klage wegen eines Ehe-
vciSprechens enthalten sollte, welche Urkunde, als man sie zu sehen
veilangte, in eine angebliche Notiz zusammenschrumpfte, ferner ist es
Thatsache, dass der Archivar Bodmann dem Bibliothekar G. Fischer
eine Abschrift von einer nicht existirenden Urkunde zur Veröffentlichung
übergab, und dass man in der Bibliothek eines Hofraths Beck sogar
die ausführliche Erzählung eines Traumes Gutenbergs aufgefunden, die
von Herrn Garand in Strassburg „nach dem Original“ ins Französische
übertragen, von Lamartine im „Civilisateur“ wiedergegeben und in
den „Mittheilungen für Buchdrucker“ ins Deutsche zurück über¬
setzt wurde. Angesichts dieser Thatsachen ist es doch am Orte, die .
vorhandenen Urkunden auch in Bezug auf ihren Inhalt zu prüfen, denn
Pergament und Papier sind geduldig, Handschriften und sogar Siegel
sind genug nachgemacht worden, und Schaab wagte selbst nicht an
die Echtheit einer Unterschrift Gutenbergs zu glauben, die sich in
Bodmanns Nachlass vorgefunden hat. Dass Gutenbergs Andenken durch
die wohlgemeinten Fälschungen nicht gerade verherrlicht wurde, be¬
weist die abschreckende Charakterschilderung unseres Meisters, welche
dei englische Bibliothekar Dibdin auf Grund solcher Nachrichten