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Zum Entwurf eines Alphabetes
Das komplette Figurenverzeichnis einer lateinischen Schrift
umfasst heute 185 Zeichen, und seine Aufbereitung, seine
Systematisierung verlangt nach homogener Geschlossenheit.
Kontemplative Schönheit, kalligraphisches Spiel allein genü¬
gen nicht, eine Schrift universell und auch international ein¬
setzbar zu machen. Moderne Satzsysteme und computerge¬
steuerte Anlagen tun ihr übriges.
Der Dienst an der Schrift und mit der Schrift wird zum
Mittelpunkt eines fortwährenden Gestaltungsprozesses. Ge¬
stützt auf die genauen Kenntnisse der Schrift und ihre histo¬
rischen Voraussetzungen kommt Frutiger immer wieder zu
neuen Design-Ideen. Dabei ist es für ihn wichtig, dass ge¬
dankliche Vorgänge und die Planung für ein neues Alphabet
als ein gegenständliches formales Ganzes angesehen wer¬
den. Bevor die ersten Zeichen zu Papier gebracht werden,
müssen ganz bestimmte Aspekte, wie Stilfragen, technische
Gegebenheiten sowie Zweck- und Zielvorstellungen, festge¬
schrieben sein. Ästhetische Überlegungen allein genügen
nicht, um der Komplexität einer Druckschrift, vor allem
einer Werkschrift, gerecht zu werden. Nichts sollte der
Mode unterliegen oder dem Zufall überlassen bleiben. Im
Hinblick auf das theoretische Grundkonzept lässt die prak¬
tische Ausführung eines Alphabetes dem Gestalter verhält¬
nismässig wenig Spielraum für formalästhetische Veränder¬
ungen.
Adrian Frutiger fühlt sich - auch im Vertrauen auf die
neue Technik - dem Dienst am Wort verpflichtet. Die Dinge
zu einem Ganzen werden zu lassen, war stets das erklärte
Ziel seiner Bemühungen. Diesem Prinzip ist er bis heute treu
geblieben. Er bevorzugt einfache und klare Formen, kennt
die Wechselwirkungen und das breite Spektrum von
Schwarz und Weiss, von Licht und Schatten. Sein gestalte¬
risches Klavier hat schwarze und weisse Tasten. Er spielt sel¬
ten vom Blatt, immer wieder findet er neue Klänge, neue
Kompositionen auf dem Gebiete der Schrift.
Horst Heiderhoff
1985
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Das Wesentliche ist der Raum, in der Architektur.
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Römisch
Romanisch
Gotisch
Renaissance
...wie in der Schrift
Das Monumentale in der römischen Kapitalschrift
Die vertikal-betonte Angleichung der «Maschen» in der Gotik
Zu bester Lesbarkeit vereinte Formvariationen heutiger Antiqua-Schriften