BAROCKE ANTIQUA UND ITALIKA
Nur als Begleitung von Grandjeans Antiqua treffen wir erstmalig eine Italika an,
die bereits mit Absicht als Hilfsschrift konzipiert wurde. Da sie nicht mehr als selb¬
ständige Schrift verwendet werden sollte, sondern nur zum Hervorheben im Antiqua¬
satz, wurde ihre Zeichnung mit dem Schnitt der Antiqua abgestimmt. Obwohl wir
hier'noch lange nicht jene völlige 'Antiquisierung' der Italika vor uns haben, der wir
später begegnen werden, ist die Italika Grandjeans doch schon recht weit von Gran¬
jons Schnitt entfernt, wenn auch noch nicht so sehr durch die Neuheit der Schrift¬
zeichnung, wie vielmehr durch das Prinzip der einheitlichen Neigung aller Buchstaben
beider Alphabete. Die Inkonsequenz der Neigung der Italika des französischen Re¬
naissancetypus hatte an und für sich ihren Reiz, aber im gleichen Satz mit der Antiqua
wirkte ihre zu große kursive Lebendigkeit etwas störend. Völlig neu in der Italika
ist die von Grandjean aus der Antiqua übernommene Form des Buchstabens h, dessen
zweiter Zug geradlinig abschließt. Damit verschwindet die ursprüngliche Unzialge-
stalt des offenen Bauches, von dem in der Antiqua bereits Nicolas Jenson mit seiner
Schrift von 1470 abließ, völlig aus der Buch-Lateinschrift. Eine andere Neuheit in
Grandjeans Italika, eine wenigstens typographische Neuerung, ist die vereinfachte
Gestalt des v, die zu einer für die Italika des 18. Jahrhunderts charakteristischen Form
wurde.
Philippe Grandjean vollendete nicht alle erforderlichen Schriftgrade der Romain
du Roi. Sein Werk setzte seit 1712 Jean Alexandre fort, ein weiterer bedeutender Schrift¬
schneider der Imprimerie Royale, der sich besonders in der Itahka noch stärker von
der Renaissancetradition entfernte. Während Grandjean den kursiven Ansatz der Züge
noch nicht zu verändern wagte, kam Alexandre bereits mit Formen, die auf halbem
Weg zwischen den Serifen der Antiqua und dem kalligraphischen Strichansatz der
Italika des Renaissanceschnitts lagen. Den Rest des Ensembles der Romain-du-Roi-
Schriften beendete erst 1745 Alexandres Nachfolger Louis Luce, der den kleinsten
Schriftgrad, die nur 4 Punkt hohe Perl schnitt. Damit wuchs die Garnitur der neuen
Schrift auf 21 Grade der Antiqua und Italika an. Louis Luce schuf neben seiner Tätig¬
keit in der Imprimerie Royale in den Jahren 1732-1770 außer einer breiten Reihe
typographischer Rokokoverzierungen auch andere Antiquaschriften, die er dann 1749
in seinem Miniatur-Probenbüchlein und 1771 in seinem Essai d'une Nouvelle Typo¬
graphie anführte. Von der Romain du Roi unterscheidet sich seine Antiqua durch
eine größere Verdichtung des Schriftbildes und die Rückkehr zu einseitigen Serifen
an den Scheiteln der langen und kurzen Schäfte des kleinen Alphabets. An einer seiner
typischen Schriften etwa aus dem Jahre 1740 - der er selbst den Namen types poétiques
gab (Abb. 100) - ist bemerkenswert, wie Luce die charakteristisch Grandjeansche
Zeichnung des kleinen Antiqua-/ veränderte, in dem er den kurzen, links aus der Mitte
des Schaftes vorspringenden Dorn nach rechts verlagerte. In der Zeichnung der Ma¬
juskel Q, seiner Antiqua und Itahka äußert sich dann das Barock durch den unge¬
wöhnlich gebogenen Schweif.
Die Schrift Romain du Roi schaltete alle anderen älteren Schriften der Imprimerie
Royale völlig aus. Sie wurde zur ausschließlichen Schrift dieser Druckerei für beinahe
ein ganzes Jahrhundert, und ihr Ruhm endet eigentlich erst mit dem Untergang der
französischen Monarchie. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß gerade
hundert Jahre, nachdem 1693 Nicolas Jaugeon die ersten Entwürfe veröffentlicht und
Philippe Grandjean die ersten Stempel dieser Schrift geschaffen hatte, die zur Ehre des
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дд. Französische barocke Antiqua und Italika des Übergangstypus.
PL Grandjean, iyo2.
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