ORNAMENTALSCHRIFTEN DER RENAISSANCE
Hintergrund wurde auch in Büchern anderer zeitgenössischer Drucker nachgeahmt
und hatte schon in älteren Drucken ihre Vorgänger.
Mit dem Hervorheben einer Schriftzeichnung durch bloßes Umstechen wurde eine
schon recht bedeutende dekorative Wirkung erzielt, ohne daß dabei ihre Flächigkeit
gestört worden wäre. Doch sehr bald stellte man Versuche an, einen plastischen Ein¬
druck der Schrift zu erzielen, also eine Sache, die moderne Liebhaber altertümlicher
Schriften gewöhnlich als verachtungswürdige Erfindung der 'verfallenden' Akzidenz¬
typographie des 19. Jahrhunderts hinstellen, womit sie die Unkenntnis der Tatsache
eingestehen, daß solche Schriften weder in den Initialen noch in dem von ihnen so
bewunderten frühen italienischen Buchdruck selten waren. Eine solche plastische Re¬
naissance-Majuskel ist nicht immer nur durch eine so feine Andeutung der Dreidimen-
sionalität vertreten, wie z. B. in den schönen Initialen Erhard Ratdolts (Abb. 54) oder
in einer anderen solchen Initialenreihe eines weiteren venezianischen Druckers, des
Matthaeus Capsaca Parmensis aus dem Jahre 1493 (Abb. 87 A, D, I-M, R-V), son¬
dern häufig auch in sehr ausgeprägter und vollendeter Ausführung, wie zum Beispiel
in der Initiale, mit der ein von Nicolas Jenson 1471 gedruckter Cornelius Nepos be¬
ginnt. Diese plastische, ausgeprägt schattierte Majuskel ist in ein genreartiges Bild mit
einem Schwan eingesetzt, aber die ebenso behandelte Schriftzeichnung hat meist auch
einen ornamental behandelten Hintergrund, entweder mit pflanzlichen oder anderen
Elementen, wie es z. B. die Bänder sind, die die plastischen Majuskeln in den Initialen
des von Frobenius 1521 in Basel gedruckten Neuen Testaments von Erasmus umgeben
(Abb. 67). Als Hintergrund der plastischen und flächigen Kontur-Majuskel wurden
häufig auch figürliche Motive verwendet, wofür uns das Initial mit der Darstellung
des Schreibers, das die venezianischen Drucker Giovanni und Gregorio de Gregoriis
auf ihr ohnedies schon mit einem recht ornamentalen Rahmen ausgestattetes Titel¬
blatt aus dem Jahre 1498 setzten, als Beispiel dienen kann (Abb. 55). Eine völlig deko¬
rative Mission haben dann die Figuren, die die plastischen schattierten Majuskeln im
Ensemble der Initialen begleiten, mit denen der venezianische Drucker Matteo di
Codeca da Parma seinen Druck Dialogo de la Seraphica Vergine s. Catherina da
Siena aus dem Jahre 1494 schmückte (Abb. 87 B, C, E-G, N-QJ.
Während man bei den Initialen des Renaissance-Buchdrucks mit der reinen Grund¬
form auskam - die entweder im Umriß oder in der Andeutung ihrer Dreidimensiona-
lität ausgeführt war und deren gesamte weitere dekorative Behandlung sich auf ihre
Umgebung oder ihren Hintergrund beschränkte -, kam es in den kalligraphischen
Mustersammlungen der Renaissance in dieser Beziehung häufig zu Versuchen um
eine verschiedenartige ornamentale Lösung auch sogar was diese Grundform betrifft.
Als einfachstes Verfahren kann man sicher dasjenige Daniel Hopfers bezeichnen, der
die volle Zeichnung seiner flächigen Renaissance-Majuskel aus der Zeit vor 1536 ein¬
fach einschließlich der Haarstriche mit negativen weißen Pünktchen bedeckte (Abb.
88). Obwohl man an der eigentlichen Zeichnung der Hopferschen Buchstaben man¬
ches aussetzen könnte, wirkt doch in dieser gemäßigten dekorativen Behandlung und
dem reichen, aber mit viel Geschmack gelösten ornamentalen Hintergrund sein Al¬
phabet als Ganzes außerordentlich günstig, ein besonders bemerkenswerter Umstand
bei diesem deutschen Kalligraphen, der in der immer noch von der Gotik durchsät¬
tigten Atmosphäre seines Landes lebte und wirkte. Ganz anders war das natürüch in
Italien, und darum kamen auch die italienischen Kalligraphen in der Ornamentierung
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