DIE DRUCKSCHRIFTEN DES RENAISSANCETYPUS
undzwanzig Jahren eine eigene Gravierwerkstatt, wo er neben anderen Aufträgen
auch Prägestempel für Buchbinder anfertigte. Die zugehörigen Schriftgravuren dieser
seiner Erzeugnisse erregten bald die Aufmerksamkeit der Drucker John Watts und Wil¬
liam Bowyer, die Caslon empfahlen, dem Schnitt der typographischen Schriften eben¬
falls ein Augenmerk zu schenken, und Caslon tat dies auch bald. Sein erstes Werk auf
diesem Gebiet war seine arabische Schrift von 1720, der 1722 die erste Antiqua folgte.
Als erste Verwendung von Casions Antiqua im Druck werden häufig Seldens Schriften
aus der Presse William Bowyers angeführt, die 1726 in London erschienen. Doch die
Schrift dieses Werkes wurde nicht nur in anderen Büchern dieses Druckers gefunden,
die um einige Jahre früher erschienen, sondern schließlich zeigte sich bei näherer
Untersuchung, daß sie eine ursprüngliche holländische Antiqua Christoffel van Dycks
war. Kann es einen schlagkräftigeren Beweis für die völlige Übereinstimmung dieser
holländischen Antiqua mit der Schrift William Casions geben, als daß es zu einem
solchen Irrtum kommen konnte? Casions Antiqua sieht man darum heute als getreue
zeitgemäße Kopie der Antiqua dieses niederländischen Meisters an, dessen Werk uns
wenigstens in dieser Form erhalten blieb. Caslon hat sich übrigens offensichtlich weder
bemüht, seine Individualität zur Geltung zu bringen, noch wollte er eine Schrift
schaffen, die mit schönen Details ihrer Schriftzeichnung fesselte. Es ging ihm nur
darum, den bisher fast ausschließlich auf den Import guten Schriftmaterials ange¬
wiesenen englischen Druckern eine technisch fehlerfreie und erprobte, gut lesbare und
allseitig zweckmäßige Schrift zu liefern. Er nahm sich daher die wohl beste der nieder¬
ländischen Schriften des 17. Jahrhunderts als Muster, und auch in seiner Antiqua
gelang es ihm, die Einfachheit und gesunde Mäßigung ihrer Vorlage zu erreichen.
Wenn es die Funktion der Schrift ist, nur Mittler zu sein und selbst nicht zur Geltung
zu kommen, so erfüllt Casions Antiqua diese Aufgabe sicherlich ausgezeichnet.
Caslon hat bei seiner Arbeit klugerweise bemerkt, daß es bei Druckschriften nicht
so sehr auf die Zeichnung der Details des Bildes der einzelnen Lettern ankommt wie
auf die Satzqualitäten des Ganzen. Darum liest sich die Caslonsche Antiqua (Abb. 85)
auch angenehm, ihre Lettern ergänzen einander gut, und kein Buchstabe zieht im
Satz durch eine außergewöhnliche Form die Aufmerksamkeit auf sich. Andererseits
aber sind nicht alle Lettern der Caslonschen Antiqua zeichnerisch von gleicher Qua¬
lität; an manchen, besonders unter den Versalien, gäbe es viel auszusetzen. Der Winkel
der Schäfte beim A ist zum Beispiel zu breit, der mittlere Querbalken bei den Buch¬
staben E und F zu kurz, und gute Proportionen fehlen sowohl dem zu breiten T als
auch dem zu schmalen U. Die Serifen der Versalien und am Minuskelfuß sind nicht
eingebogen, aber mit scharfer Kehlung versehen, während sie an den oberen Enden
der Schäfte dreieckig und stumpf sind. Die Italika hat ebenso wie ihre niederländische
Vorlage eine starke Neigung der Schriftachse und ähnliche kalligraphische Varianten
der Versahen, von denen besonders die Buchstaben J und Qfür sie typisch sind.
Erst 1734 hatte Caslon eine ausreichend große Garnitur hergestellt, um einen
Probendruck seiner Schriften herausgeben zu können, wo er aus unbekannten Grün¬
den für die Satzproben seiner verschiedenen Schriften das Zitat aus Ciceros Rede
gegen Catilina verwendete: Quousque tandem etc., jenes Zitat, das seit der Zeit in
allen englischen Schriftgußproben heimisch wurde. Casions Probendruck fällt be¬
sonders durch die technische Meisterschaft auf, weil es ihm gelang, eine bis dahin
nicht dagewesene Übereinstimmung des Schnittes der verschiedenen Grade einer
170
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85. Antiqua und Italika des englischen Spätrenaissancetypus.
W. Caslon, iy22.