DIE DRUCKSCHRIFTEN DES RENAISSANCETYPUS
und Christoffel van Dycks der Fall gewesen. Weiter meint Morison, man könne die
Überlegenheit der Zeichnung und besonders der technischen Ausführung der Schrift
der berühmten Herausgeberfirma in Leyden nicht leugnen, obwohl ihre Editionen
typographisch weniger interessant sind als die Drucke des vorhergehenden Jahrhunderts.
Die Befangenheit dieses Urteils geht viel zu weit, als daß wir uns ihm sofort an¬
schließen könnten, nachdem wir gerade die unvergänglichen, in höchstem Maß künst¬
lerischen Qualitäten der Garamondschen Zeichnung ausgekostet haben; wir könnten
es auch dann nicht, wenn wir inzwischen völlig gegenteilige Stimmen gehört hätten,
die für den Schnitt der holländischen Antiqua keine so große Begeisterung zeigen.
Es ist nicht zu bestreiten, daß diese zu ihrer Zeit so berühmte Form im wesentlichen
nichts anderes ist als eine lokale Modifikation des traditionellen französischen Musters,
die sich das praktische Naturell der niederländischen Drucker erzwang; diese gaben
der Zweckmäßigkeit einer Schrift vor ihrer Schönheit den Vorrang, obwohl beide
Eigenschaften einander nicht notwendig a priori ausschließen müssen. Vom rein hand¬
werklichen Standpunkt der Drucker gesehen war die Garamondsche Antiqua tat¬
sächlich, insbesondere in den kleineren Schriftgraden, die zum Satz von Büchern klei¬
neren Formats gebraucht wurden, die Ursache einiger technischer Unzulänglichkeiten
der zeitgenössischen Drucke. Die immer noch primitive Drucktechnik vermochte kaum
zu verhindern, daß sich die Farbe in den kleinen Bauch des a oder in die noch kleinere
Schlinge des e ergoß. Auch die graziösen Serifen der Versalien litten sehr unter dem
schwer regulierbaren Druck der Handpressen des 17. Jahrhunderts. Die holländischen
Schriftschneider - und Christoffel van Dyck war nach der Überlieferung in dieser
Beziehung vielleicht deren erster - veränderten die Zeichnung der französischen An¬
tiqua so, daß sie den praktischen Anforderungen besser entsprach, und näherten sich
dabei, vielleicht unwillkürlich, formal ihrem abweichenden Nationalcharakter. In¬
folge ihres Eingriffs büßte die Garamond-Antiqua tatsächlich jenen rein französischen
Reiz der Schriftzeichnung ein, durch den sie solchen Ruhm erlangt hatte. Ihre hol¬
ländische Version ist in ihrem ganzen Charakter, der Verteilung der Farbe, den Ge¬
samtproportionen und der zeichnerischen Behandlung verschiedener Details des Schrift¬
bildes um vieles schwerfälliger. Ihr Hauptmerkmal ist die Vergrößerung der mittleren
Minuskelhöhe auf Kosten der Ober- und Unterlängen, von denen besonders die letz¬
teren fühlbar kürzer wurden. In dem Bemühen, alles Übertriebene zu beseitigen, be¬
gradigten die holländischen Puristen die Bögen der Serifen, stumpften in beiden Al¬
phabeten ihre Spitzen ab und schufen so eine nüchterne, aber sehr gut lesbare Schrift
mit großem Schriftbild, weshalb sie die französischen Drucker des 17. und 18. Jahr¬
hunderts als 'gros oeil' charakterisierten.
Während wir bei der Beurteilung von van Dycks Antiqua auf die Schriftproben der
Elzeviers von 1681 und die Beispiele einer Verwendung dieser Antiqua im zeitgenössi¬
schen holländischen Buchdruck angewiesen sind, steht uns seine Italika bis heute in
den Originalmatrizen zur Verfügung, die durch einen Zufall der unbarmherzigen
Vernichtung aller übrigen van Dyckschen Schriften mit dem Eindringen neuer Stil¬
formen in die niederländische Typographie entgingen und sich gegenwärtig im Besitz
der Schriftgießerei Enschedé in Haarlem befinden (Abb. 83). Im Vergleich zum
genannten Musterblatt entspricht diese Italika zeichnerisch etwa dem dort als Text
Cursijf bezeichneten Schriftgrad und weist ebenso wie die übrigen Grade dieser Probe
eine starke, aber einheitliche Neigung der Achse und im Gegensatz zu van Dycks
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82. Niederländische Renaissance-Antiqua-Majuskel des 16. Jahrhunderts.
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8j. Niederländische Spätrenaissance-Italika des iy. Jahrhunderts.
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