DIE DRUCKSCHRIFTEN DES RENAISSANCETYPUS
Schreibcharakter hier besonders durch die kalligraphische Form der Buchstaben k,y,
Z und der Abkürzung & unterstrichen. Im Versalienalphabet bleibt außer beim Qim
allgemeinen der sehr formale Charakter der Antiqua erhalten, nur die Ansätze der
Serifen sind hier noch schärfer. Manche Versalien, wie etwa das A, sind hier neben
der Standardform auch in kalligraphischen Varianten vertreten. Die Jannonsche Ita¬
lika wurde als Bestandteil der sogenannten caractères de l'Université zur Vorlage des
Großteils der modernen Repliken, die die heutigen 'Garamond'-Schriften begleiten.
Diese gleichzeitigen Ausgaben der Italika des französischen Renaissancetypus, die uns
heute in fast jeder Druckerei zur Verfügung stehen, unterscheiden sich im ganzen nur
durch den Mut, mit dem ihre Herausgeber bei der Reproduktion der lebendigen
Zeichnung des Renaissance-Prototyps zuwegegingen; dieser Prototyp fand in den
Augen der Auftraggeber, die an die uniformierten Schriften des 19. Jahrhunderts
gewöhnt waren, nur allmählich günstige Aufnahme. Darum sind auch nur einige dieser
modernen Repliken mit kalligraphischen Versalien (swash letters) ausgestattet, die
für die Schriften dieser Art so typisch sind.
Die kleinen Lettern der Antiqua kamen vor Garamond nur in kleinen Graden als
Textschriften vor, denn die Titel wurden bis dahin ausschließlich aus Versalien ge¬
setzt. Aber schon die Ausgaben des Dubois Estiennes und seiner Foliobibel von 1532
bringen den großen Schriftgrad 'gros Canon', der seit der Mitte des Jahrhunderts in
der französischen und später auch in der übrigen europäischen Typographie große
Mode wird. Fast alle Titelblätter französischer Bücher werden zu dieser Zeit aus
großen Schriftgraden der Garamond-Minuskel gesetzt, wie sie am Übergang von der
Renaissance zum Barock die neue Richtung in der Buchgraphik bestimmen. Graphisch
besonders bemerkenswert sind in dieser Beziehung Bücher, die in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts vom Klienten Garamonds, dem Lyoner Drucker Jean de Tour¬
nes, gedruckt wurden. Nach Italien gelangten die neue typographische Tendenz und
die Schriften Garamondschen Schnitts durch Guillaume Le Bé, der in den Jahren
1545-1551 in Venedig wirkte. Dort ergänzte auch Paolo Manuzio nach dem Beispiel
anderer venezianischer Drucker die Schriften seines Vaters durch Garamondschriften,
und in Florenz besaß der Drucker Lorenzo Torentino in der Mitte des 16. Jahrhun¬
derts eine Garamondsche Antiqua in der Version Guillaume Le Bés. Das zunehmende
Übergewicht der Antiqua des französischen Renaissancetypus auch bei anderen ita¬
lienischen Druckern dieser Zeit ist ein Zeugnis für den Rückgang des italienischen
Ruhmes auf dem Gebiet des Schriftschaffens. Wie bereits erwähnt, ist er hauptsächlich
durch die ungünstigen politischen Verhältnisse bedingt, durch ununterbrochene Kriegs¬
züge, innere Umstürze und fremde Einfälle, die den Wohlstand und die Voraussetzun¬
gen einer kulturellen Blüte des Landes beeinträchtigten.
Die Antiqua und Italika des französischen Renaissancetypus wurden allerdings auch
in Spanien, einem weiteren romanischen Land, in einer ganzen Reihe lokaler Ver¬
sionen heimisch, wie es etwa die Schrift war, mit der im Jahre 1605 Juan de la Cuesta
in Madrid die erste Auflage von Miguel Cervantes' Don Quijote druckte. Doch
außer in Frankreich gewann die Typographie größte Bedeutung nördlich seiner Gren¬
zen, wo in Antwerpen Christophe Plantin (1520-1589), ein geborener Franzose, im
Jahre 1555 seine berühmte Offizin gründete, die noch heute als Plantinsches Museum
pietätvoll erhalten wird. Es war dies ein für seine Zeit außergewöhnlich umfangreiches
Unternehmen, denn bereits 1570 beschäftigte Plantin an zweiundzwanzig Pressen
160
ANTIQUA UND ITALIKA DES FRANZÖSISCHEN RENAISSANCETYPUS
etwa siebzig Arbeiter. Aber weder Plantin, noch sein Nachfolger Moretus stellten in
der eigenen Schriftgießerei eine andere als die traditionelle französische Antiqua und
Italika des Garamondschen Schnitts her. Matrizen und fertige Lettern lieferten ihm
Garamond selbst, Le Bé, Granjon, Sanlecque, und in seinem Betrieb beschäftigte er
außerdem französische Schriftschneider, wie z. B. Hautin und François Guyot. Fran¬
zösischer Herkunft war wohl auch ein flämischer Schriftgießer in Gent, Henric van
der Keere, der häufig als Henri du Tour unterschrieb und in den Jahren 15 70-1580
für Plantin arbeitete. Von ihm erhielten anscheinend auch andere Antwerpener Druk-
ker, zum Beispiel Jean Bellère, Jean Loe und Stelsius Schriften französischen Schnitts.
Die zeitgenössische flämische Antiqua zeigt also dank dem Einfluß der großen Per¬
sönlichkeit Plantins keine deutlichen Spuren eines National- oder Lokalcharakters.
Dasselbe gilt von den englischen Schriften dieser Klasse während des 16. und 17.
Jahrhunderts. Thomas Berthelet besaß in England 1534 die erste Antiqua des fran¬
zösischen Renaissancetypus, und bis zum Ende dieses Jahrhunderts versorgten sich
auch die übrigen englischen Drucker insgesamt, wie erst kürzlich festgestellt wurde,
mit importierten Schriften (F. Isaac, Elizabethan Roman and Italic Types, Trans,
of the Bibl. Soc. 1933). Ähnliche Zweifel entstanden über die Herkunft der bisher für
die tatsächlich erste englische Antiqua gehaltene Schrift, die nach 1546 John Day in
London besaß. Dank der Popularität von Days Antiqua, die im übrigen den tradi¬
tionellen französischen Schnitt zeigt, kam es jedoch im englischen Buchdruck zweifel¬
los zum endgültigen Rückzug der Schriften des gotischen Typus.
Antiqua- und Italikaschriften französischen Ursprungs oder ihre getreuen Repliken
befanden sich außerdem im Besitz der Drucker in Basel, einer Stadt, die sich auch im
16. Jahrhundert ihre Bedeutung in der europäischen Typographie bewahrte. Während
Johann Frobenius (1460-1527) - unter den Baseler Druckern wegen seiner weitrei¬
chenden Verlegertätigkeit und Zusammenarbeit mit Holbein und Erasmus von Rot¬
terdam bedeutungsvoll - noch mit seiner eigenen Version der aldinschen Antiqua
druckte, die auch weit über die Grenzen der Stadt exportiert wurde, machte sich der
garamondsche Schnitt um die Mitte des Jahrhunderts im Satz von Büchern anderer
Baseler Drucker geltend, die nach Frobenius' Tod hervortraten. So setzte etwa Jo¬
hannes Oporinus zu dieser Zeit aus der Granjonschen Version der Garamondschen
Antiqua, die 1628 unter den Schriftproben der mit den Schriften Robert Granjons
ausgestatteten vatikanischen Druckerei erschien.
In Böhmen befand sich im 16. Jahrhundert die erste Version der Garamondschen
Antiqua und ihre ausgereifte Form zum Satz ausschließlich lateinischer Texte im
Besitz Jifi Melantrychs von Aventyn und danach seines Nachfolgers Daniel Adam von
Veleslavin. Dem gleichen Zweck diente die Antiqua des französischen Renaissance¬
typus auch in den katholischen Druckereien, die sich sie in verschiedenen Versionen
des Schnittes insgesamt aus dem Ausland besorgten, vor allem aus deutschen und
Wiener Schriftgießereien. Die Garamondsche Antiqua hatte hier die gleichen hohen
ästhetischen und praktischen Qualitäten, und gerade diese ihre Vorzüge waren der
Grund dafür, daß sie in der europäischen Typographie eine so außergewöhnliche
Lebensfähigkeit bewies. Auch zweihundert Jahre nach Garamonds Tod konnte sich
sie jeder Drucker überall in Europa besorgen, ohne sich der Bezichtigung eines typo¬
graphischen Archaismus auszusetzen. Und wie sie noch im 18. Jahrhundert lebendig
und nicht veraltet war, hat sie auch heute nicht an Lebenskraft eingebüßt, nachdem
161