DIE DRUCKSCHRIFTEN DES RENAISSANCETYPUS
weil sein Wirken von sehr kurzer Dauer war, da er schon 1534 als Protestant und
Drucker verdächtiger Bücher verbrannt wurde. Die nahe Verwandtschaft seiner An¬
tiqua mit der Schrift Robert Estiennes unterstützt sicherlich diese durch historische
Quellen nicht belegbare Entwicklungsrekonstruktion der englischen Forscherin, die
weiterhin aus der nicht weniger nahen Verwandtschaft der Estienneschen Antiqua
mit den Schriften der Bücher, die seit 1545 von Garamond selbst oder mit ihm eng
verbundenen Druckern herausgegeben wurden, den Schluß zieht, daß die Antiqua
Robert Estiennes nicht Garamonds Werk, sondern nur seine Vorlage war.
Mit dieser absoluten Leugnung der Verdienste Garamonds kann man sich aber
kaum einverstanden erklären, wenn man den Widerhall bedenkt, den sein Werk be¬
reits unter seinen Zeitgenossen fand, die seine Verdienste außerordentlich hoch ein¬
schätzten. Der hervorragende und zu seiner Zeit so anerkannte Renaissancekünstler
konnte wohl nicht ganz ohne Anteil an der Zeichnung der Schrift sein, die in der
Zeit seiner Lebensreife und sicher außergewöhnlichen schöpferischen und handwerk¬
lichen Erfahrung entstand. Um 1480 geboren, hatte er bereits sein fünfzigstes Lebens¬
jahr überschritten oder war ihm doch nahe, als die Schrift Robert Estiennes heraus¬
gegeben wurde. Sein Handwerk erlernte er außerdem sehr frühzeitig, wohl von seinem
Vater oder im Kreise seiner Familie. Claude Garamond oder Garamont, in lateini¬
schen Texten auch als Claudius Garamondus unterschrieben, sagt von sich selbst, daß
er schon im Alter von fünfzehn Jahren Schriftstempel in der Größe der Cicero in Stahl
zu schneiden verstand, während die kleineren Schriftgrade den älteren und erfahre¬
neren Gefährten anvertraut wurden. Aber auch die Cicero, eine Größe von bloßen
zwölf typographischen Punkten, ist sicher eine beachtliche Leistung für einen Lehrling
dieses Alters. Es ist nicht bekannt, welche Schriften er in seiner Jugend schnitt, aber
wahrscheinlich waren es die einer Antiqua venezianischen Schnitts und vielleicht auch
Schriften des gotischen Typus. Laut Überlieferung war es erst Geoffroy Tory, zu dem
Garamond in einem Schülerverhältnis gestanden haben soll und der ihn auf die
Qualität der aldinschen Antiqua vom Schnitt des Poliphilus und zuvor vielleicht auch
auf den Schnitt der Schrift des Traktats De Aetna aufmerksam machte. Als Schrift¬
schneider konnte sich Garamond allerdings nicht lange selbständig äußern, denn zu
dieser Zeit gehörten die französischen Schriftschneider und -gießer noch zur Zunft der
Drucker und konnten zu diesen höchstens in der gleichen gegenseitigen Beziehung
stehen, wie zum Beispiel in Italien Francesco Griffo zu Aldus Manutius. 1539 wurde
die Schriftgießerei durch königliches Dekret zu einem selbständigen Gewerbe erklärt,
und erst nach diesem Jahre vermochte Garamond Schriftmaterial an Drucker zu
liefern, wie etwa an Simon de Colines, Robert Estienne u. a., zu denen er allerdings
vorher im Lohnverhältnis stehen konnte. Seit 1540 kann also jede beliebige Druck¬
schrift in einer ganzen Reihe von Druckereien auftauchen, sogar in verschiedenen
Ländern.
Den eigentlichen Ruhm Garamonds begründete und den Titel eines königlichen
Schriftgießers erwarb ihm jedoch eine griechische Druckschrift aus dem Jahre 1543,
die sogenannten grecs du Roy, mit deren Schnitt ihn der dem Buchdruck geneigte König
Franz I. betraute. Unter den Versalien der mittleren Grade dieser griechischen Schrift
kommen Buchstaben der Antiqua Robert Estiennes aus dem Jahre 1532 vor, was als
Zeugnis für die Urheberschaft Garamonds am Schnitt dieser historisch bedeutenden
Antiqua gelten kann. Die erste sicher datierbare und Garamond zuerkennbare An-
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Les mots francois felon lordre
des lettres, ainfi que les fault
eferire: tournez en latin, pour
les enfans.
A PARIS
De b'mprimerie de Rob.Efiiëne Imprimeur du Roy.
M. D. XL III!.
Auec priuilege du Roy.
y5. Robert Estienne, 1544.
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