DIE DRUCKSCHRIFTEN DES RENAISSANCETYPUS
pressen. Irgendein Streben nach ästhetischer Qualität ihrer beinahe senkrechten Schrift¬
zeichnung konnte übrigens vorläufig auch im Hinblick auf die geringe Größe des
Schnittes nicht deutlicher zur Geltung kommen. Um ihre Sparsamkeit maximal zu
nutzen und den Handschriftcharakter möglichst zu betonen, wurde das Alphabet der
Aldinschen Italika (Abb. 65) mit einer Menge Ligaturen ergänzt, in denen die Zeich¬
nung der einzelnen Lettern handschriftartig verbunden war oder wo sich diese über¬
deckten. Die große Zahl der Kürzungen und Ligaturen - im Vergil wurden ihrer mehr
als siebzig gezählt - erschwerte und verteuerte den Satz, weshalb sie in den weiteren
Büchern der bilhgen Aldinschen Klassikeredition in immer kleinerer Zahl vorkommen.
Besonders typisch für die Aldinsche Italika ist die Begleitung des ausgesprochen kursiv
konzipierten und geneigten kleinen Alphabets durch senkrechte, die mittlere Buch¬
stabenhöhe nur wenig überragende Versalien vom Schnitt etwa der ersten Entwicklungs¬
stufe der Aldinschen Antiqua im Traktat des Pietro Bembo. Die Verbindung dieser
beiden zeichnerisch so verschiedenen Alphabete zu einem Schriftensemble ist aber
kein Hindernis für die außergewöhnlich günstige graphische Wirkung des Satzes der
Aldinschen Italika, und es dauerte lange, bis dieses Prinzip fallengelassen wurde.
Die Italika von Aldus Manutius und Francesco Griffo war ein wichtiger Beitrag,
und deshalb sind die Verdienste beider Mitarbeiter in dieser Beziehung mit Recht
sehr hoch einzuschätzen. Aber auch hinsichthch der Antiqua darf man ihre Verdienste
nicht nur als Impuls zur Weiterführung der formalen Entwicklung der Schrift dieser
Klasse hoch bewerten. Vielmehr ist es ihnen auch zu danken, daß die Zeichnung der
Drucklettern seit der Zeit endgültig aufhört, eine Imitation handschriftlicher Schriften
zu sein und sich künftig unter den sie immer weniger einschränkenden technischen
Bedingungen selbständig entwickelt. Die außergewöhnlich fruchtbare Zusammenarbeit
beider Persönlichkeiten endete mit dem Tode des Aldus Manutius im Jahre 1515.
Seine kulturell verdienstvolle Tätigkeit als Herausgeber und Drucker wurde zunächst
von seinem Schwiegervater Andrea Tornesanus de Asola fortgesetzt, der selbst Inhaber
der ehemaligen Jensonschen Druckerei und Vormund von Aldus' unmündigem Sohn
Paolo Manuzio war. Dieser steigerte nach Erreichung der Volljährigkeit den Ruhm
des geerbten Unternehmens, aber nur was die Verlegertätigkeit betrifft, denn an den
drucktechnischen Dingen hatte er, wie es scheint, ein weitaus geringeres Interesse als
sein Vater. Für die Geschichte der Schrift stellt seine Tätigkeit keinen erheblichen
Beitrag dar, denn er druckte mit den Schriften seines Vaters, die später durch einige
Kollektionen fremden Ursprungs ergänzt wurden. Nach Paolos Tod im Jahre 1574
erbte das Unternehmen sein Sohn Aldo Manuzio d. J., der zwar ein hervorragender
Philologe, aber ein so erfolgloser Unternehmer war, daß er im Jahre 1585 die direkte
Leitung des geerbten Betriebes abgeben und diesen schließlich im Jahre 1590 schließen
mußte. Damit endete das hundertjährige Bestehen des verdientermaßen berühmten
venezianischen Unternehmens des Aldus Manutius, keinesfalls aber das Bestehen und
die Bedeutung seiner Schriften. Inzwischen nämhch verdrängte die Aldinsche Antiqua
in zahlreichen Imitationen und Varianten die Antiqua des sogenannten venezianischen
Typus rasch nicht nur aus den Pressen der anderen Drucker in Venedig und im übri¬
gen Italien, sondern auch im ganzen westlichen Europa. Die größte Bedeutung für
die künftige Entwicklung der Aldinschen Antiqua hatte jedoch ihre Akklimatisierung
in Frankreich; dort erhielt sie eine Form, die in Europa für ganze Jahrhunderte tradi¬
tionell wurde. Ein etwas anderes Schicksal widerfuhr der Aldinschen Italika, und
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ITALIKA DES ALDINSCHEN TYPUS
auch ihr Einfluß auf die weitere Entwicklung der Schriften dieser Art war nicht so
durchgreifend, wie man häufig annimmt.
Aldus Manutius bestimmte seine Italika zur Schrift für den Satz ganzer Texte
manchmal sehr umfangreicher Bände, und dafür verwendete er die Italika auch aus¬
schließlich. Der große kommerzielle Erfolg seiner billigen Klassikerausgabe war wohl
einer der Hauptgründe für den großen Erfolg dieser ersten Italika, deren ausschließliche
Verwendung sich Aldus durch ein besonderes Patent des Senats der Republik Venedig
und durch päpsthche Privilegien zu sichern suchte. Diese Privilegien scheinen jedoch
im Hinblick auf die Aldinsche Italika nicht sehr wirksam gewesen zu sein, denn sehr
bald traten bei anderen Druckern in Venedig und im übrigen Italien Nachahmungen
in Erscheinung. So besaß zum Beispiel bereits im Jahre 1503 Lucantonio Giunta in
Venedig seine Kopie der Aldinschen Italika, und im selben Jahre druckte der bereits
genannte Geronimo Soncino in Fano mit einer Italika vom ursprünglichen Schnitt
Francesco Griffos. Im Jahre 1516 begann Griffo selbst in Bologna mit seiner dritten
Italika zu drucken, und im selben Jahre druckte auch Filippo Giunta in Florenz mit
seiner eigenen Version der Aldinschen Italika und später auch Antonio Biado in Rom
und Francesco Marcolini da Forli in Venedig. Am meisten jedoch beeilte sich der
Lyoner Drucker Balthazar da Gabiano, der die erfolgreichen Aldinschen Editionen
auf jede Weise fälschte. Aldus Manutius selbst protestierte bereits im Jahre 1503 gegen
diese Fälschungen, wobei er ihnen Druckfehler vorhielt, aber völlig erfolglos, denn
im Jahre 1512 kam zu den Lyoner Plagiatoren ein weiterer hinzu, Barthélémy Trot.
Ein anderer weitaus seriöserer Drucker in Lyon, Sébastien Gryphius, besaß ebenfalls
eine Italika des aldinschen Typus, die offenbar wie der Großteil seiner Schriften aus
Basel importiert war. Die Italika des Gryphius fand besonders in Spanien großen
Widerhall, wohin er seine Bücher verkaufte, so daß die spanischen Kalligraphen, wie
Francisco Lucas in seiner Mustersammlung aus dem Jahre 1580, Schriften dieser Art
mit dem Namen letra del Grifo bezeichneten.
In Paris zeigte sich die erste Italika im Jahre 1512 bei Guillaume Le Rouge, der sie
in zwei Graden besaß. Während Le Rouge dem kleineren die unscheinbaren Versalien
der Antiqua des venezianischen Typus beifügte, ergänzte er den größeren Grad ku¬
rioserweise mit unverhältnismäßig großen ornamentalen Versalien eines im Stil ge¬
mischten Typus (Abb. 68). Eine weitere und viel bessere Aldinsche Italika hatte Thiel¬
mann Kerver und nach ihm auch Pierre Gromors, Pierre Vidou, Chrestien Wechel,
Simon de Cohnes, Robert Estienne und andere Pariser Drucker.
Die erste ziemlich schwerfällige Version der Aldinschen Italika in Deutschland
besaß gegen 1510 Sebaldus Striblita in Erfurt. Das Jahr 1515 wird gewöhnlich als
Datum der ersten Verwendung der Italika durch Johann Frobenius in Basel angege¬
ben, aber seine typische Variante der Aldinschen Itahka wurde nicht vor 1519 fest¬
gestellt (Abb. 67). Der Baseler Version des Frobenius ähneln Italikaschriften, die
schon nach 1520 weitere deutsche Drucker besaßen, wie etwa Knoblouch und Schott
in Straßburg, Johann Schöffer in Mainz, Johann Petri in Nürnberg u. a. Die erste
Itahka in den Niederlanden war wahrscheinlich eine Rephk des Aldinschen Typus,
mit der Thierry Martens seit 1522 druckte. Im Jahre 1528 kommt die erste, wohl aus
Frankreich oder Deutschland importierte Itahka des gleichen Typus bei Wynkyn de
Worde in England vor. Eine Italika von interessanterem Schnitt besaß gegen 1530
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