DIE DRUCKSCHRIFTEN DES RENAISSANCETYPUS
Verhältnisses zwischen dem kleinen und großen Alphabet gelegt wurde. Im Hinblick
auf die graphische Einheit des Satzspiegels haben die Versalien ein mit Absicht niedri¬
geres Bild als die Oberlängen der kleinen Lettern, und ihre Zeichnung ist auch ein
wenig schwächer. Damit wurde ein Zusammenfließen der Zeichnung beider Alpha¬
bete zur Farbeinheit der Satzfläche erreicht, die nicht mehr durch die Flecken der
unverhältnismäßig großen, auf die Höhe der Oberlängen der Minuskeln gebrachten
Versahen gestört wurde, wie dies bei der Schrift Nicolas Jensons der Fall war. Die
bedeutende und unvergängliche typographische Qualität dieser zweiten Entwicklungs¬
stufe der Aldinschen Antiqua war die Ursache ihres großen Widerhalls und ihres
Einflusses auf die weitere Entwicklung der Druckschrift. Ihre Schönheit und Verwend¬
barkeit können wir übrigens auch heute noch in der vollendeten Replik erkennen, die
unter dem Namen Poliphilus im Jahre 1923 von der Schriftgießerei Monotype Co.
herausgegeben wurde.
Wie bereits gesagt, war Aldus Manutius vor allem Herausgeber; der graphische
Aspekt des Druckgeschehens stand nicht im Vordergrund seines Interesses, das vor¬
wiegend den literarischen Werten der von ihm verlegten Bücher galt. Um wieviel
mehr könnte die Schönheit der Schrift des Pohphil hervorragen, wenn Aldus der
Qualität des eigenen Druckverfahrens mehr Aufmerksamkeit gewidmet hätte. Den¬
noch strahlt jede Seite des lichten Satzes dieses Werkes den Zauber der italienischen
Renaissance mit all ihrem Glanz, ihrer Sonne und ihrer Lebensfreude aus. Aldus war
keiner der vielseitigen Drucker aus der Inkunabelzeit mehr, die sich durch eigenes
handwerkliches Können alles notwendige Material beschafften, das zum Betrieb ihres
Gewerbes erforderlich war. Er war kein Zeichner, auch kein Schneider seiner Lettern,
und er war darum gezwungen, sich sie auf andere Weise zu beschaffen als seine Vor¬
gänger. Obwohl Aldus Manutius die notwendige technische Begabung und das tech¬
nische Interesse abgingen, hatte er andererseits Glück bei der Wahl eines geeigneten
Mitarbeiters, den er nach dem Zeugnis einer ganzen Reihe unzweifelhafter Quellen
in dem bekannten Stecher Francesco Griffo da Bologna fand. Über das Leben dieses
hervorragenden Künstlers ist vor der Periode seiner Zusammenarbeit mit Aldus Ma¬
nutius im wesentlichen nichts bekannt, und es gab deshalb Versuche, ihn mit dem
Maler Francesco Raibolini aus Bologna zu identifizieren. Diese Ansicht wird, obwohl
bereits im Jahre 1883 von Giacomo Manzoni widerlegt, dennoch bis heute häufig
wiederholt. Bisher weiß man über Griffo nur so viel, daß er nach dem Tode von Aldus
Manutius im Jahre 1516 von Venedig nach Bologna zurückkehrte, wo er als Drucker
bis 1518 wirkte, da seine Tätigkeit und Arbeit tragisch endeten. Im Mai des genannten
Jahres versetzte der temperamentvolle Griffo im Streit seinem Schwiegersohn mit
einer Eisenstange einen so schweren Schlag, daß der junge Mann seiner Verletzung
erlag. Aus den Dokumenten, die Emiho Orioli im Jahre 1899 veröffentlichte, geht
zwar nicht unmittelbar hervor, daß Griffo wegen seines Verbrechens hingerichtet
wurde, aber die Wahrscheinlichkeit eines solchen Endes beweist der Umstand, daß
Griffo im Jahre 1519 nicht mehr am Leben war.
Die Aldus Manutius zugeschriebenen Verdienste um die Antiqua seiner Druckerei
müßte man also gerechterweise Francesco Griffo zuerkennen und diese für die weitere
Entwicklung der Antiqua so bedeutungsvolle Schrift somit nicht als Aldinsche An¬
tiqua, sondern als Griffosche Antiqua bezeichnen. Doch die Bedeutung der Persönlich¬
keit des Aldus Manutius in der Geschichte des Buchdrucks stellte diejenige seines
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64. Aldinsche Antiqua. A. Manutius, і4дд.