DIE DRUCKSCHRIFTEN DES RENAISSANCETYPUS
wir uns bei der Aufzählung von Beispielen der Antiqua des venezianischen Typus nicht
auf charakteristische Proben aus den Hauptzentren des europäischen Renaissance-
Buchdrucks beschränken sollten. Der französische Buchdruck, der im 16. Jahrhundert
die Entwicklungsrichtung der Druckschrift für ganze Jahrhunderte bestimmte, ent¬
wickelte sich von Anfang an selbständig in zwei verschiedenen Zentren, nämlich in Paris
und in Lyon. Nach Paris brachte ihn Guillaume Fichet, Professor an der Sorbonne,
und deren Rektor, der ehemalige Schüler der Baseler Universität Johann Heynlin, nach
seinem Geburtsort Stein in Baden de la Pierre genannt. Auf Einladung dieser gelehrten
Humanisten kamen im Jahre 1470 die drei bereits erwähnten Landsleute Heynlins
nach Paris - die Drucker Ulrich Gering aus Konstanz, Michael Friburger und Martin
Crantz aus Kolmar - und begannen hier ihre Tätigkeit mit einer Antiqua des vene¬
zianischen Typus, deren Muster ihnen Heynlin mit einer Schrift der von Sweynheim
und Pannartz 1469 in Rom gedruckten Commentarii Gäsars gegeben haben soll. Diese
Pariser Antiqua, als deren Autor wahrscheinlich Ulrich Gering, offenbar der kühnste
unter seinen Gefährten, gelten muß, war im Vergleich zur Schrift Sweynheims und
Pannartz' ein sehr primitives Erzeugnis, um so mehr noch im Vergleich zur ausge¬
reiften Schrift Nicolas Jensons oder anderer venezianischer Drucker dieser Epoche.
Die unausgeglichene, ziemlich eckige Zeichnung der Minuskeln mit sehr stumpfen
Serifen, dem über den Schaft gezogenen Strich des Bauches beim Buchstaben h, den
archaischen Schenkeln des k, den mißlungenen begleitenden Versahen, konnte den
geläufigen heimischen Schriften des gotischen Typus nicht einmal in der humanisti¬
schen lateinischen Literatur erfolgreich konkurrieren. Darum brachte auch der erste
Druck der Sorbonne, die Epistolae des italienischen Gelehrten Gasparinus Barzitius
aus dem Jahre 1470 (Abb. 56), den Druckern offenbar keinen großen Erfolg, denn
schon 1472 mußten sie ihre Tätigkeit an der Sorbonne einstellen. Nach diesem Mißer¬
folg richteten sie sich eine Werkstatt in der Rue St. Jacques ein, wo sie sich bemühten,
mit der bereits genannten Gotico-Antiqua dem lokalen Geschmack zu entsprechen.
Eine neue Antiqua versuchte Gering erst 1478, als ihn seine Gefährten bereits ver¬
lassen hatten und nach Deutschland zurückgekehrt waren. Und diesmal gelang ihm
eine formal unverhältnismäßig reinere Schrift, als es die des ersten Versuches gewesen
war. Dennoch konnte er sich auch in dieser Antiquaschrift noch nicht von einigen
Überbleibseln lösen, wie zum Beispiel dem ungewöhnlich abgebogenen Füßchen des
Buchstabens h, der durchgehenden Eckigkeit der verhältnismäßig schmalen Schrift¬
zeichnung und der Verwendung gotischer Abkürzungen.
Antiquaschriften des frühen venezianischen Typus von sehr unterschiedlicher Qualität
besaßen nach Gering auch andere Pariser Drucker der Inkunabelzeit, wie etwa César
und Stoll, die um 1474 aus kuriosen Varianten der Antiqua von Johann und Wendelin
da Spira mit über die Schäfte der Buchstaben b und h gezogenen Strichen der Bäuche
und aus bemerkenswert verzierten, aber immer von der gotischen Schriftkunst beein¬
flußten Versalien setzten. Eine weniger individuelle Schrift dieses Typus verwendeten
Drucker, die etwa seit 1475 in einer Atelier du Souflet Vert genannten Werkstatt
wirkten, oder ein anderer, nur sehr wenig bekannter Drucker namens Antonius Ve-
netus, dessen Antiqua aus dem Jahre 1502 einen gewissen Einfluß auf die englischen
Schriften des venezianischen Schnittes hatte. Aber keine der Antiquaschriften dieser
Drucker vermochte bis dahin die Stellung der Schriften des gotischen Typus zu er¬
schüttern, denn erst nach 1500 begann sich die Entwicklung in Paris zugunsten der
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