DIE DRUCKSCHRIFTEN DES RENAISSANCETYPUS
neu, daß sie ganz im Gegenteil keine Rücksicht auf die beschränkten Möglichkeiten
der Feder des Schreibers nimmt, denn im Buchdruck läßt sich jede beliebige Form
leicht drucken, und daß sie in bedeutendem Maße die praktisch fast unbegrenzten
Möglichkeiten des Schriftschnittes und Schriftgusses nutzt.
Diese hervorragenden Druckqualitäten der Jensonschen Antiqua fanden unter den
zeitgenössischen Druckern und Liebhabern schön gedruckter Bücher starken Wider¬
hall, so daß Nicolas Jenson schon zu seinen Lebzeiten außergewöhnlich berühmt war.
Einen nicht geringen Anteil an seiner Berühmtheit hatte allerdings die von seinen
Zeitgenossen stärker bevorzugte Rotunda, die litterae venetae, welche Bezeichnung
manchmal auch für seine Antiqua verwendet wird. Innerhalb einer Zeitspanne von
zehn Jahren nach 1470 druckte Jenson an die einhundertfünfzig Bücher, die wegen
des bewundernswert hohen Niveaus ihrer Buchgraphik immer sehr geschätzt und ge¬
sucht waren. In allen bedeutenden Bibliotheken des westeuropäischen Kulturbereichs
haben in den Inkunabelabteilungen die häufig außerdem zusätzlich illuminierten
Bücher Jensons (Taf. XXI) auch heute einen besonderen Ehrenplatz. Diese hervor¬
ragende und anregende Tätigkeit Jensons war aber leider nur von kurzer Dauer und
wurde bald durch seinen Tod beendet, der Jenson 1480 in Rom ereilte, wohin er dem
Ruf Papst Sixtus' IV. gefolgt war. Zu dieser Zeit waren Ruhm und Ansehen des vene¬
zianischen Buchdrucks schon so groß, daß der Hinweis 'impressa littera Venetiana',
mit dem die Drucker in Lyon, Paris und Flandern ihre Werke den gebildeten Lesern
anboten, für ein Buch die Garantie guter Qualität war. Das Jensonsche Schrift- und
Druckmaterial erhielt nach Jensons Tod der venezianische Drucker Andrea Torne-
sanus de Asola, der Schwiegervater des Aldus Manutius, dessen Bedeutung für die
Geschichte des Buchdrucks und der Druckschrift wir alsbald die gebührende Auf¬
merksamkeit widmen werden.
Jensons Zeitgenossen schrieben die Vorzüge seiner Schrift mehr göttlicher Inspira¬
tion als menschlichem Scharfsinn zu, und etwa der gleichen Meinung sind seit der
Zeit des Auftretens von William Morris für die sogenannte Erneuerung der Schrift
beinahe alle Kenner auf dem Gebiet der typographischen Schriftkunst. Das seltene
Unisono des Lobgesangs auf Jensons Antiqua stören seit dem nur vereinzelte Stimmen,
die mit der allgemeinen Meinung nicht einiggehen. Einer von denen, die sich gegen
Morris' einseitige Unterschätzung der hervorragenden Persönlichkeiten der Schrift¬
geschichte nach 1470 wehren, ist Stanley Morison, der in seinem Werk Towards an
ideal type (Fleuron IL, 1924) an der Jensonschen Antiqua die bereits angeführten
ästhetischen Unzulänglichkeiten in der Ausgewogenheit des Schriftbildes beider Al¬
phabete, der kleinen Lettern und der Versahen, kritisiert. Wenn wir allerdings an die
hervorhebende Aufgabe der Versalien im Buchsatz denken, wird dieser Mangel doch .
zu einem Teil durch Vorzüge praktischer Art aufgehoben. An anderer Stelle wieder
ist derselbe Autor mit der Gestaltung der Serifen nicht zufrieden, einem sehr wichtigen
Element für die Wertung und Bestimmung einer Schrift, und mit der neuen Form des
Buchstabens h; auch in dieser Beziehung können wir, wie bereits gesagt, nicht ganz
mit ihm übereinstimmen. Aber alle diese Einwände, auch die berechtigtsten, verblassen
im Augenblick, da wir die reine Schönheit des Satzes einer Seite des Jensonschen
Druckes auf uns wirken lassen. Man mag zwar zugeben, daß bei günstigeren Vor¬
aussetzungen für den Buchdruck im kulturell führenden Florenz die Entwicklung der
Schriftzeichnung der Antiqua wahrscheinlich eine andere Richtung zu viel großarti-
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P.Candidiin libros Appiani iopbifcç Alexandrini ad Nico'
humquincüfuinmu роппБсст Prefario incipit fdiaffimc.
Рріапі Alexandrini bidona feu uè/
tcrü incuria:fcu tempora" iniquitate
deperdita : oc u cl u ti longo poftlimi"
nio ad nos redeùntë optimele maxi
me pötifex Nicolae quinte tuo nutu
tuoq; imperio e greca latinam faceré
inítituw ut non modo apud nofiros
nota effet fedulitas mei oblèquij: fed
ad poderos quoqj uirtutis tue. fama
tranliret.Quid enim dignius tuis mentis impendi potefbcj ut
i\ : qui in fequènti çuo bçc aliquando legent cu m çdifïaoru ni
magnitudinemornatu intuebunt: queçtatenoihatuoaufpi'
do conicela lunt/ te Nicolau eumene intelligant: quinó mi'
norem in recuperandis libris/ q in reftituendis mcenibus buie
urbi adbibueriscuram. Et .pfefto licet illa preclara: & magna
flnt.'que. manu &arteconirant: & a plu rimi s fummo ingenio
dih'gcntiaq? parantur/prçfhntiora tarnen babenda erunt: quc
ftudris adiunft a/ monumcntis quoqj feruantur litreraru. Itaœ
quiPetriBafilice. contiguamdomum admirant a te ftructam
quadrato lapide: quiHadriani molem uidfiìm reih'cutä: qui
deona templú ab Agrippa condirà a te fuffcâû çtare nolrra :
qui plura alia breuicefiurauetufrati ni tuaaritasadmouifTec
pias manus/ eoldéquocj ad mirati cóueniet tot illufrres libros
ad nos tua opera traducios e greets: nec tua m lâpienriâ nomen
dignitatë cómemorarionelaudis fuç immunes preterire: etfï
non fcuius tempo ris effe putem uittutestuas degan n'ori mìo
debitas in mediû proferre bocfolû dixerim te bis rebus gefhs
aflêcutum ut uerus preful digniffimus princeps baberere.Scd
ut ad Appianii redeam Doleo equidé funame pater his i hbris
54. Appianos, Historia Romana. E. Ratdolt, 1477.
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