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Зб. Cancellaresca romana. Giambattista Palatino, 1540.
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3J. Cancellaresca formata. Giambattista Palatino, 1540.
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LETTERA CANCELLARESCA
sehr bald je nach dem Grad der Förmlichkeit ihres Duktus verschiedene Formen zu
unterscheiden, obwohl, da sie wahrscheinlich nicht immer dieselbe Form im Sinn
hatten, ihre Klassifikation nicht völlig eindeutig und zuverlässig ist. Diese Unsicher¬
heit übertrug sich auch auf die moderne Fachliteratur, und manchmal ist es wirklich
schwer, festzustellen, welche Form der eine oder andere Autor meint. Am zuverläs¬
sigsten erscheint mir die Klassifikation, die Hermann Deutsch in seiner Geschichte
der abendländischen Schreibschriftformen aus dem Jahre 1928 nach dem Beispiel der
oben genannten kalligraphischen Sammlung G. B. Palatinos von 1540 verwendet.
Wenn wir uns an die gleiche Quelle halten, können wir nach Palatino drei Haupt¬
formen der italienischen Kanzleischrift unterscheiden.
Deren erste, die CANCELLARESCA ROMANA oder cancellaresca comuna, ist die
sehr getreu übernommene lettera di brevi und unterscheidet sich nur durch größere
Vollkommenheit der Schreibausführung von der üblichen Kursiv der Urkunden der
päpstlichen Kanzlei. Größere Sorgfalt macht sich in der Genauigkeit der stabilisierten
Schriftzeichnung der einzelnen Buchstaben bemerkbar, die in den kalligraphischen
Mustersammlungen größtenteils getrennt geschrieben sind. Die Betonung der Spar¬
samkeit der Schriftzeichnung äußert sich im Alphabet der cancellaresca romana als
weitere Verengung des Schriftbildes, die bei Verwendung einer ziemlich breit zuge¬
schnittenen Feder auch zu einer merklichen Zuspitzung am Fuß und Scheitel der
runden Buchstaben führt. Die verhältnismäßig langen Schäfte der Buchstaben b, d, h,
к, l, die gewöhnlich mindestens das Doppelte der mittleren Schrifthöhe erreichen,
zeigen den gleichen Ausgang mit nach rechts gerichteten keulenförmigen Bögen wie
die Schriften der päpstlichen Breven. Ebenso nach links gebogen sind die Unterlängen
der Buchstaben^, q,yunà der rechts aufwärtsweisende Zug des x. Die Buchstaben/
und langes s werden ebenfalls mit einem deutlichen Ausweichen des Bogens nach
rechts oben und links unten geformt. Die Gestalt des g wird in der typisch kursiven
einbäuchigen Form mit der kalligraphischen Schlinge gezeichnet, die mit einem ge¬
brochenen Bogen zum Bauch des Buchstabens zurückkehrt.
Die cancellaresca romana als Haupt- und Grundform der italienischen Kanzlei¬
schrift fehlte in keinem den Kursivschriften gewidmeten italienischen kalligraphischen
Sammelwerk der Renaissance. Den Reigen führte in dieser Beziehung das Werk La
Operina di Ludouico Vicentino da imparare di scriuere littera Cancellarescha an,
herausgegeben 'cum gratia e privilegio' im Jahre 1522 (Abb. 34) in Rom. Ludovico
Vicentino ergänzte den Wortlaut des Titelblattes auf der Rückseite durch den Text :
Il Modo & Regola de scriuere littera corsiua ouer Cancellarescha etc. Dieser ausge¬
zeichnete Kalligraph, der nicht vergaß, sich 'scrittore di breui apostolici' zu unter¬
schreiben, war in seinem Fach als Autorität über andere berufen, und es ist nicht zu
bezweifeln, daß sein Werk erstrangigen Einfluß auf die weitere Entwicklung der ita¬
lienischen Kalligraphie hatte. Die Schriftproben führten Eustachio Celebrino und
wahrscheinlich auch Ugo da Carpi für Vicentino meisterlich in Holzschnitt aus, und
beide druckten sie 1525 in ihren eigenen Schreibmusterbüchern nach, aber unter
Weglassung des Namens des eigentlichen Autors und seiner Verdienste. Übrigens lag
auch anderen zeitgenössischen Schreibmeistern nichts an der Demonstration der
eigenen Persönlichkeit, und sie begnügten sich nicht nur mit der Wiederholung von
Standardformen, sondern behielten auch die Art der Anordnung ihrer Publikationen
bei. Nichtsdestoweniger kann man die hervorragende graphische Qualität der italie-
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