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28. Humanistische Majuskel und Minuskel des 16. Jahrhunderts.
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HUMANISTISCHE MINUSKEL
Text die Einheit des graphischen Bildes der Seite nicht stören. Nach der Methode, die
Sinibaldi und andere hervorragende italienische Kalligraphen anwandten, erreicht
die Majuskelhöhe hier niemals die Höhe der langen Schäfte der Buchstaben b, d,f к, l
und langes s, was graphisch ein außergewöhnlich günstiger Grundsatz im Vergleich
zur späteren Gewohnheit der Druckschriftenschneider ist, die bei einer größeren Höhe
der Versalien das Satzbild der Seite durch die hervortretenden Flecken der Drucker¬
schwärze unangenehm beunruhigten. Im 16. Jahrhundert gewann die humanistische
Minuskel samt der sie begleitenden Majuskel, soweit sie sich in der Buchproduktion
überhaupt noch neben ihren Druckvarianten erhielt, schnell typographischen Cha¬
rakter. Auch in den Handschriften so bedeutender Schreiber, wie des Girolamo Paglia¬
rolo und des Pierantonio Sallando, oder in Schönschriftvorlagen wie Taglientes lettera
antiqua tonda, wurde ihr Duktus kontrastreicher, die Schattenachse richtete sich auf
und die Serifen wurden länger und flacher (Abb. 28). In den Sammlungen der Kalli¬
graphen aus der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts erstarrt die Ziselierung ihrer
Zeichnung in dieser Hinsicht dann zu einem unveränderlichen, eine weitere Ent¬
wicklung ausschließenden Standard.
Die humanistische Minuskel wirkt in ihrer runden Standardform schon ganz mo¬
dern, was auch natürlich ist, denn die weitere Entwicklung, deren einziger Ausgangs¬
punkt sie ist, brachte in der Buchschrift nur unwesentliche Veränderungen ihrer voll¬
kommenen Grundzeichnung. Darum kehren auch die modernen Schriftkünstler immer
wieder zu ihr zurück, in dem Bemühen, ihr in einer eigenen, mehr oder weniger
persönlich gefärbten Bearbeitung ihres Alphabets Geltung zu verschaffen. Dieses lo¬
benswerte Interesse brachte uns nicht nur eine ganze Reihe schöner Vorlagen beider
Alphabete der humanistischen Schrift für den Schönschriftunterricht, wie zum Bei¬
spiel jene von Eric Gill, Percy J. Delf Smith, Jan Tschichold u. a., sondern außerdem
auch eine gute Druckimitation in Form von Druckskripten, von denen wir einige
später noch erwähnen werden.
In den italienischen humanistischen Handschriften kommt vereinzelt neben ge¬
treuen Repliken der romanischen Form der karolingischen Minuskel auch eine an¬
dere, etwas abgeänderte der humanistischen Minuskel vor, die sich durch einen etwas
schärferen Duktus und eine abweichende Gestalt der aus der langobardisch-beneven-
tanischen Schrift übernommenen Buchstaben e und r auszeichnet. Nach Poggio, der
ausdrücklich zwischen antiquae litterae, quae gallicum redoleant und antiquae ad morem
nostrum unterscheidet, handelt es sich hier um die beabsichtigte Belebung einer ein¬
heimischen Form (Friedrich). Dieser Versuch hatte aber zweifellos keinen großen
Erfolg neben der sich sehr rasch einlebenden neokarolingischen Minuskel, die sich im
Lauf der Zeit auch im übrigen Europa verbreitete und die Schriften des gotischen
Typus aus den lateinischen Laienhandschriften und in Westeuropa auch aus den lite¬
rarischen Werken in den Nationalsprachen verdrängte. Die humanistische Minuskel
wurde gleichzeitig nach dem Beispiel der päpstlichen Kanzlei zur Urkundenschrift
der königlichen Kanzlei. Hier allerdings erhielt sie nach einer gewissen Zeit einen
mehr oder weniger kursiven Charakter, aber in den Anfängen unterschied sie sich
nur wenig von ihrem Buchvorbild. In der Kanzlei des Königs von Böhmen wur¬
den noch vor dem Ende des 15. Jahrhunderts die lateinischen Urkunden mit
humanistischen Minuskeln geschrieben, während man die tschechischen Urkun¬
den auch weiterhin in der Kursivschrift des gotischen Typus abfaßte. Etwas früher
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