DIE SCHRIFTEN DER RENAISSANCE-HANDSCHRIFTEN
In Florenz, dem Zentrum der Buchkunst und des Buchhandels, gab es eine ganze
Straße der Buchhändler, die Via degli Librai, jetzt Via della Condotta, wo sich die
Berufs- und Amateurschriftsteller, die litterati und ihre Gönner versammelten. Der
größte unter diesen florentinischen Buchhändlern war Vespasiano da Bisticci, Berater
und Begründer der Bibliotheken Cosimos de Medici, des Herzogs von Urbino, des
Königs von Neapel Ferdinand von Aragon u. a. Davon, wie Vespasiano bei der
Gründung der Bibliotheken seiner mächtigen Auftraggeber zuwegeging, zeugt das
Beispiel Cosimos de Medici, dem Vespasiano riet, sich nicht auf den direkten Ankauf
der jetzt schon schwer erreichbaren Handschriften zu verlassen, sondern sich neue
Abschriften der unbedingt nötigen Bücher zu besorgen. Zu diesem Zweck mietete
Vespasiano für Cosimo 45 Schreiber, die in einer Frist von 22 Monaten an die 200
Bände lieferten. Unter diesen Lohnschreibern erfreuten sich jene, die die griechische
Sprache beherrschten, einer besonderen Wertschätzung; sie trugen den Ehrentitel
scrittori. Die übrigen, nur copisti genannten, waren entweder Abschreiber von Beruf,
oder arme Gelehrte und Studenten, die sich auf diese Weise etwas hinzuverdienten.
In Rom gab es zur Zeit Nikolaus V. unter diesen Kopisten einen großen Prozentsatz
von Fremden, vor allem Franzosen und Deutschen, wahrscheinlich Menschen, die
irgendwelche Angelegenheiten bei der päpstlichen Kurie zu regeln hatten und genötigt
waren, auf diesem Weg die Ausgaben für den Aufenthalt zu bestreiten. Hoch über den
Durchschnitt dieser Abschreiber ragten einige bedeutende Kalligraphen hinaus, die
sich unter den zeitgenössischen Bibliophilen höchster Wertschätzung erfreuten. Einer
davon war Poggio Bracciolini selbst, der auf seine Berühmtheit als Kalligraph unter
den Zeitgenossen großen Wert legte. Ein weiterer war der Schüler Niccolòs, Antonio
Mario, ein geborener Florentiner, der einer der leistungsfähigsten Kalligraphen seiner
Zeit war. Für den Hof der Medici arbeiteten Gherardo del Ciriagio und Antonio
Sinibaldi, in Bologna wirkten Pierantonio Sallando und Girolamo Pagliarolo, in Pa¬
dua Bartolomeo di San Vito, in Sorrent Giovanni Rinaldo Mennio, in Rom arbeiteten
hauptsächlich für die von Papst Nikolaus V. begründete vatikanische Bibliothek viele
weitere Berufskalligraphen, aber auch dort waren hervorragende Schönschreiber aus
der Reihe der Gebildeten nicht selten. Alle diese Berufs- und Amateurkalligraphen
hinterließen herrliche Handschriften, die in einer formalen, senkrechten und diszipli¬
nierten Buchschrift verfaßt sind, wie sie später auch zum Ideal der ersten Buchdrucker
bei der Schaffung der Druckschriften des Renaissancetypus wurde.
Als neubelebte karolingische Minuskel unterschied sich die humanistische Minuskel
von ihrem Prototyp natürlich gar nicht, oder nur ganz unmerklich. Darum kann man
beide Schriften manchmal nur nach den geringfügigen Abweichungen unterscheiden,
die größtenteils gar nicht mit der Schriftzeichnung zusammenhängen. Im Alphabet
der humanistischen Minuskel (Abb. 26) ist es zum Beispiel der von nun an immer
senkrechte Schaft des Buchstabens a, die neue Modifikation des g, der ¿-Punkt, einige
charakteristische Abkürzungsformen und die Art der Verwendung der runden Form
des r. Ein weiteres Zeugnis für den humanistischen Ursprung der Handschrift ist die
Verwendung arabischer Z¡ffern> die zwar schon im Verlauf des 12. Jahrhunderts nach
Europa eingeführt wurden, deren Benutzung aber lange Zeit nur auf mathematische
Schriften beschränkt blieb. Im Handel waren arabische Ziffern zum Beispiel aus¬
drücklich verboten. Erst im 15. Jahrhundert verbreitete sich ihre Kenntnis und Ver¬
wendung unter dem Einfluß des Buchdrucks weiter, und auch in Handschriften kom-
62
a&bbatetoca
coctbbt>fceboe'
63